Text: Nils Hille
Bevor ein Büro überhaupt einen speziellen Gebäudetyp planen darf, muss es schon zwei dieser Art erfolgreich gebaut haben. Dieser offensichtlichen Unlogik scheinen Auslober von Wettbewerben gerne mal zu folgen – gerade auch bei Bahnhöfen. Und vor eben diesem Problem stand das Hamburger Büro Architekten Gössler, das sich heute Gössler Kinz Kerber Kreienbaum Architekten oder kurz GKK nennt, Anfang der 1990er-Jahre. Gerne wollten sie sich mit Bauten an und über Schienen beschäftigen, doch wie soll ein junges Team einen Fuß in die Tür der Bahn bekommen? Durch Zufall kam das Deutsche Architektenblatt ihnen dabei damals zu Hilfe. Die Redaktion stellte junge Planer vor, die sich gerade selbstständig gemacht haben. Bernhard Gössler erinnert sich: „Der Erste war ich. Als der Artikel erschienen war, bekam ich einen Anruf von der Deutschen Bundesbahn, wie sie damals noch hieß, und man bot meinem damaligen Partner Daniel Gössler und mir einen kleinen Auftrag an.“ Die beiden nahmen ihn dankend an und durften sich so mit der Umnutzung der Gepäckaufgabe im Bahnhof Neumünster zu einer kleinen Ladenzeile beschäftigen. Nun hatten sie zumindest eine erste Bahnhofserfahrung, die sie vorweisen konnten.
Durch ein kleines Versehen bekamen sie wenige Jahre später dann gleich zwei Aufträge von der Deutschen Bahn. Das Büro beteiligte sich an dem offenen Wettbewerb zur Sanierung des Erfurter Hauptbahnhofs und reichte beim Antrag zur Teilnahme an der geschlossenen Ausschreibung für den Bahnhof Hannover Messe/Laatzen auch ein Bild ihrer Wettbewerbsteilnahme in Erfurt ein – obwohl dieser Wettbewerb noch gar nicht entschieden war. Bei beiden Ausschreibungen konnten sie so punkten. Eine parallele Arbeit an den zwei Projekten war aber nicht nötig, so Daniel Kinz: „Wenn nicht gerade ein Großereignis wie die Expo 2000 ansteht, zu dem der Bahnhof Laatzen als Aushängeschild fertig sein sollte, dauert ein Bahnhofsbauprojekt vergleichsweise lange. Das haben wir beim Hauptbahnhof Erfurt erleben müssen.“ Diese Geduldsproben für Planer haben meist mehrere Gründe: Der Bahnhof ist oft eines der prominentesten Gebäude eines Orts, vielfach das Tor zur Stadt. Hier diskutieren zahlreiche mehr oder weniger qualifizierte Interessenten mit. Auch die Finanzierung setzt sich häufig aus verschiedenen Quellen zusammen. Zudem werden Bahnhöfe bei laufendem Verkehr umgebaut, sodass eine viel intensivere Planung in Abstimmung mit dem Auftraggeber Bahn und seinen Fahrplänen erfolgen muss. All dies war auch in Erfurt der Fall. Bis sich hier die politischen und wirtschaftlichen Entscheider geeinigt hatten und GKK die Sanierung realisieren konnte, war das Jahr 2007 gekommen – zwölf Jahre nach dem Wettbewerb.
Doch das Hamburger Büro mit heute 40 Mitarbeitern hat nie den Spaß am Bahnhofsbau verloren, wie Bernhard Gössler sagt: „Nach den ersten Erfolgen wurden wir als Architekten mit Bahnhofsaffinität wahrgenommen. In Lübeck und Kiel konnten wir gemeinsam mit Ingenieurbüros dann gleich zwei weitere Hauptbahnhöfe umbauen. Die Bahn wollte uns auch dabei haben, um die dringend notwendigen gestalterischen Hochbauqualitäten sicherzustellen.“ Und weil sich GKK intensiv in die Verfahrensfragen und die behördlichen sowie technischen Vorschriften eingearbeitet hat – nach eigenen Aussagen als eines von wenigen Büros in Deutschland. Trotzdem muss sich das Büro auch immer wieder für neue Projekte bewerben und durch das Verfahren nach EU-Richtlinien durchkommen. Doch die Referenzen spielen ihnen in die Hände – so folgten einige S-Bahn-Stationen, unter anderem die zur Internationalen Bauausstellung in Hamburg.
Das gesammelte Detailwissen, das bei Bahnhöfen eine entscheidende Rolle spielt, hilft dem Büro ebenfalls weiter, so Gössler: „Wir denken bei jeder Tür, dass sie nicht nur gestalterisch passen soll, sondern dass da auch 25.000 Menschen am Tag durchlaufen werden.“ Sie denken ebenso daran, dass es nur noch einsehbare Schließfächerbereiche und keine toten Winkel mehr geben darf, um Vandalismus zu vermeiden und die Sicherheit zu erhöhen. Und sie denken immer über den Bahnhof hinaus, was auch ihr Projektespektrum vergrößert hat. GKK bauen Vorplätze wie in Heidenheim, Fußgängerbrücken über Gleise wie in Hamburg-Wilhelmsburg und Fahrradstationen wie am Kieler Hauptbahnhof. Büropartner Martin Kreienbaum, Architekt und Stadtplaner: „Immer steht eine Frage im Mittelpunkt: Wie kommt die Stadt am besten an den Bahnhof? Da herrscht vielerorts noch großer Optimierungsbedarf bei den Anbindungen.“ Wie auch im Ausland an und in Bahnhöfen, bei denen das Büro nun verstärkt tätig wird. So hat es die Haltestelle „Warschau Stadion“ zur Fußball-EM 2012 gebaut und wird auch Planungen für Stationen in Vietnam übernehmen.
Frühe Leidenschaft
Lokal statt national oder international sind die Bahnprojekte von WRS Architekten. Das zwölfköpfige Büro, ebenfalls mit Sitz in Hamburg, realisiert S-Bahnhöfe und Brücken ausschließlich im Norden Deutschlands. Stefan Röhr-Kramer, Architekt, Stadtplaner und einer der drei Partner bei WRS, hätte diesen Schwerpunkt früh erahnen können. „Ich habe schon als Kind begeistert mit der Modelleisenbahn gespielt und mich im Studium vor allem für Verkehrsbauten interessiert“, erzählt der heute 47-Jährige. Bis jetzt haben er und seine Kollegen fünf S-Bahnhöfe gebaut sowie diverse Machbarkeitsstudien und Entwürfe für weitere entwickelt. Die Hamburger Hochbahn fährt unter einem halben Dutzend Brücken von WRS durch – weitere werden folgen. „Es gelingt uns dabei nicht immer, alles Gestalterische durchzusetzen. Aber da es öffentlich wirksame Bauten sind, sehen wir es schon als unsere Aufgabe an, jedes Mal wieder mit einem hohen Anspruch an die Planung zu gehen“, sagt Röhr-Kramer.
So spricht er immer selbst bei den Fördermittelgebern Bund und Land vor, um sie zu überzeugen, dass mehr als der kostengünstigste Standard notwendig ist. Denn der Bahn würden diese funktionalen Allerwelts-Lösungen meist reichen, sagt er. Röhr-Kramer weiß also, dass er Werbung für Gestaltung machen muss: „Wer als Architekt nur aus dem Elfenbeinturm einen kreativen Plan rausreicht, wird keinen Erfolg haben, diesen auch umsetzen zu dürfen.“ Zwar ist ihm die Fördermittelbeantragung eigentlich ein Dorn im Auge, „aber wenn ich merke, dass ich meine Ideen so durchsetzen kann, dann hat sich der Aufwand ja gelohnt“, sagt er pragmatisch. Gerade bei Bahn-Projekten sei nicht nur der Gestalter gesucht, sondern ein kompetenter Berater für alle Fragen. So ist Röhr-Kramer auch mittlerweile Experte für Normen, Gesetze und Verordnungen zum Bahnhofs- und Brückenbau, zusätzlich zu den vielen technischen Regeln, die er sowieso berücksichtigt. „Wenn mir ein potenzieller Auftraggeber sagt, er möchte eine Fußgängerbrücke über sieben Gleise haben, dann rechne ich im Kopf die Breite und Abstände aus – und kann ihm sofort sagen, dass er eine Standardvariante aufgrund der Statik gleich vergessen kann.“
Diese potenziellen Auftraggeber sieht Röhr-Kramer vor allem in den Kommunen, die gerne einen Architekten hinzuziehen, der ihre Interessen dann kompetent gegenüber der Bahn vertritt. Und die ihn ansprechen, weil sie vielleicht einen der S-Bahnhöfe von WRS-Architekten selbst als Reisende erlebt haben, ihnen dieser gefällt und sie dann im Internet recherchieren, wer ihn gebaut hat. Dabei behält Röhr-Kramer immer auch den Blick fürs jeweilige Umfeld. Als die Hamburger Bahnlinie S3 verlängert und Neu Wulmstorf als Haltepunkt nun viel besser angebunden wurde, empfahl er gleich einen Ortsentwicklungsplan für die umliegende Fläche. Entstanden sind so auch ein Busbahnhof sowie zahlreiche Parkplätze für Autos und Fahrräder. „Ein Bahnhof oder eine Brücke stehen nie für sich alleine. Es sind immer zentrale Schnittbereiche von Stadtteilen, bei denen Sie auch an das Drumherum denken müssen. Erst im zweiten Schritt entwickeln wir aus diesem funktionalen Bedarf ein ansprechendes Design“, sagt Röhr-Kramer. Mit dieser ganzheitlichen, vorausschauenden Sichtweise kann WRS immer wieder bei den Kommunen punkten. Röhr-Kramer verfolgt dafür auch aufmerksam die Strecken-Ausbaupläne. Wenn er von einer neuen Linie hört, stellt er sich frühzeitig bei den dort anliegenden Kommunen vor. „Wenn dann die Bahn auf die Städte zugeht und eigentlich auf einen Architekten verzichten will, stellen die Kommunen mich gleich als ihren Planer vor – und unser Büro bekommt den Auftrag.“
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