Text: Christoph Gunßer
Transparenzfrei, wie die DDR war, verfügte in den 1960er-Jahren irgendein Gremium den Abriss der Altstadtreste am Jenaer Eichplatz, um den in jeder Stadt obligatorischen Aufmarschplatz zu schaffen. Als städtebauliche Dominante schuf Hermann Henselmann 1972 an der Westseite ein zylindrisches Hochhaus von 145 Metern Höhe und 33 Metern Durchmesser, von den Einheimischen bald „Keksrolle“ oder „Penis jenensis“ genannt. Offiziell heißt es heute Jentower.
Zur Wendezeit wurden auf dem Platz Bürgerforen mit bis zu 40.000 Teilnehmern abgehalten. Er dient seither als Park- und gelegentlicher Festplatz. 1993 gab es einen städtebaulichen Wettbewerb, den das damalige Büro Trojan, Trojan + Neu aus Darmstadt gewannen. Die Planer sahen eine moderne Mischbebauung mit einheitlicher Traufhöhe entlang der historischen Baulinien vor. Der städtebauliche Rahmenplan wurde mehrfach überarbeitet. Doch fand sich lange kein Investor. Erst 2011 bewarben sich neun Teams auf die Ausschreibung, die 2014 zu einem Debakel führte.
Ein „Hauch von Stuttgart 21“
Der erwählte Entwurf, den eine lokale Baugenossenschaft mit einem regionalen Developer entwickelt hatte, galt Vielen als „Einheitsbrei“. Durch Jena wehte ein „Hauch von Stuttgart 21“, wie die Thüringische Landeszeitung (TLZ) im Januar 2014 schrieb: Der intransparente Verkauf und die geplante Bebauung erregten linke wie konservative „Wutbürger“. Es gab Unterschriftensammlungen, Demos und Beschimpfungen von beiden Seiten. Kurz vor der Kommunalwahl wollte die rot-schwarz-grüne Koalition im Stadtrat keine Basta-Politik betreiben und setzte eine „Bürgervollbefragung“ an. Die ging im März 2014 nicht in ihrem Sinne aus: 62 Prozent der Bürger votierten gegen die Pläne. Der Verkauf wurde gestoppt. Die Stadt stand vor einem Scherbenhaufen.
Mit „Eiszeit“ und „Schockstarre“ beschreibt Fritjof Mothes die Situation nach dem Votum. Den professionellen Moderator vom StadtLabor Leipzig holte der Jenaer Stadtrat im April 2015 ins Boot, um wieder Bewegung in die Sache zu bringen. Über ein Jahr lang arbeitete er intensiv mit allen Beteiligten. Er führte zunächst über fünfzig Einzelgespräche, um herauszufinden: „Was braucht das Zentrum?“ Im kleinen Kreis ging es dann darum, „die Leute wieder sprechfähig zu machen“ – eine Strategie, die Mothes in der Tradition der „runden Tische“ der Wendezeit sieht.
Per Werkstatt zum Ziel
Im vorigen Jahr wurde es in drei ganztägigen Planungswerkstätten mit zufällig ausgewählten Bürgern konkreter. Auch eine Jugendwerkstatt gab es zum Thema. Man einigte sich auf zehn Gebote für die Neubebauung, die zwar recht allgemein gehalten waren, aber für einen konstruktiven Konsens standen. Bemerkenswert: Neben Themen wie Generationen- und soziale Gerechtigkeit fand sich in der „Eichplatz-Bibel“ (TLZ) auch der Wunsch nach „überregionaler Ausstrahlung“ der Bebauung.
Webseiten der Stadt und der Bürger-AG „Mein Eichplatz“ machten den Prozess auch für Außenstehende transparent. Öffentliche Fachvorträge beleuchteten ähnliche Planungen andernorts. Die regionalen Medien berichteten ausführlich. Moderator Mothes erlebte die Jenenser als kompetent und offen. Immerhin hat die Stadt Deutschlands höchste Akademiker-Dichte nach Erlangen. Da habe dann schon manch einer mit dem Zollstock am Modell nachgemessen, was denn da vorgeschlagen wurde.
Im letzten Sommer beauftragte der Stadtrat das Planungsbüro AS+P aus Frankfurt, die Ergebnisse aus den Planungswerkstätten in praktikable räumliche Konzepte zu übersetzen. Auf mehreren öffentlichen Veranstaltungen wurden bald 27 Varianten diskutiert, von denen im November noch eine übrig war, aus der ein Rahmenplan-Entwurf entstand. Dieser sollte Mitte Januar vom Stadtrat verabschiedet werden. Nach Auskunft des Planungsamts-Chefs und Stadtarchitekten Matthias Lerm soll nun zügig nach Investoren für die Bebauung gesucht werden. Er äußerte sich skeptisch zu der für die Architektenschaft interessanten Frage, ob noch offene Wettbewerbe vorgeschaltet werden.
Höhepunkt statt Blockstruktur
Zum Erstaunen der beteiligten Experten hat sich die vorgesehene Eichplatz-Planung durch die Bürgerbeteiligung deutlich verändert. War im abgelehnten Bebauungskonzept noch eine recht brave Blockstruktur vorgesehen, die im Sinne der „europäischen Stadt“ die Reparatur des Vorhandenen anstrebte, so wählten die engagierten Bürger am Ende aus den vorgeschlagenen Varianten einstimmig die kühnste, dichteste Bebauung aus: Um zur Altstadt hin Freiflächen zu gewinnen, türmen sich im Westen vor dem Jentower, wo die Abstandsregeln dies zulassen, die Baumassen zu drei kleinen Hochhäusern auf. Der in der Tallage omnipräsente plumpe Tower würde auf diese Weise eingehegt und zu einer Art Downtown-Cluster umgestaltet.
Stadtarchitekt Lerm, der früher schon festgestellt hatte, Jena sei eigentlich „fertig gebaut“, kann sich damit anfreunden. Er nimmt heute gern auf Tokio, New York und San Gimignano Bezug, wo es ja auch städtisch „gezähmte“ Hochhäuser gebe.
Wieder Deals mit Investoren?
Dass solche kleinen Hochhäuser indes kaum wirtschaftlich realisierbar sind, gesteht auch er ein. Vermutlich müssten die geplanten drei Hochhäuser deshalb einem Investor überlassen werden, meint er. Ob dann am Ende nicht doch ein großer Turm daraus wird? Die auch in Jena wenig qualitätvolle Investorenarchitektur der Nachwendezeit sollte den Verantwortlichen eigentlich eine Warnung sein, hier zu viele Kompromisse zu machen. Der alte Kurzschluss Hochhaus gleich Zukunft sollte selbst im Technik-affinen Jena nicht zu langlebigen Fehlern verleiten.
Ein kritischer Parameter wird deshalb die Körnung sein. Kein Baufeld werde über 2.000 Quadratmeter groß, heißt es gegenwärtig. Auch der Nutzungsmix spielt eine große Rolle: Allerdings wird entgegen früheren Planungen für ein Kulturhaus und eine Markthalle keine öffentliche Nutzung mehr eingefügt; dafür wurden teilweise andere Standorte gefunden. Gewerbliche und Wohnnutzungen sollen einziehen, wobei man auch offen ist für „alternative“ Investoren zusätzlich zu den privaten, was in Jena offenbar auf die etablierten Wohngenossenschaften hinauslaufen wird, die schon das Vorgängerkonzept prägten. Und Gewerbe ist ja nicht gleich Gewerbe: Laut einer aktuellen Studie gibt es in Jena kaum mehr Bedarf an großflächigem Einzelhandel. Kleine Läden mit straßenseitigem Zugang, die Leben ins Quartier bringen, ließen sich baurechtlich festschreiben.
Moderator Mothes hält es denn auch für wünschenswert, „den Prozess der Investorenfindung zu begleiten“. Das Kapital ist aber bekanntlich ein scheues Reh. Im Übrigen wäre es auch kein Drama, würde der Eichplatz nicht in einem Zuge bebaut. Selbst die geplante Tiefgarage unter dem Platz lässt sich abschnittsweise errichten. Und der Erlös aus dem Verkauf der knapp 10.000 Quadratmeter Bauland wird nach Abzug der Kosten für alle nötigen Arbeiten auch nicht mehr erheblich sein.
Christoph Gunßer ist freier Fachautor. Er lebt in Bartenstein (Baden-Württemberg).
Mehr Informationen und Artikel zum Thema Transparenz finden Sie in unserem DABthema Transparenz.
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