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Zurück Bürgerbeteiligung per Charrette

Ein Karren für alle

Das Planungsverfahren Charrette – zu Deutsch Karren – integriert Laien und Experten.

01.02.20087 Min. Kommentar schreiben
Expertenplan: In einem aktuellen Charette-Verfahren entwirft die Stadt Sundern in Nordrhein-Westfalen ein Konzept für ihr Zentrum.

Dr. Harald Kegler

Das gotische Rathaus zu Wesel gefällig oder das Kloster Dargun in Mecklenburg? In Frankfurt das Thurn- und ­Taxis-Palais, den Neorenaissance-Turm „Langer Franz“ oder gleich eine halbe Altstadt? In Nürnberg lieber das Pellerhaus oder das Schwedenhaus, in Potsdam das Stadtschloss oder die Garnisonkirche?

„Ich habe nicht gedacht, dass Planen so viel Spaß macht!“, lautete das Fazit einer Bürgerin, die an der Charrette in Sundern (NRW) teilgenommen hatte. Auf welcher Bürgerversammlung hört man schon ein solches Kompliment? Charrette bezeichnet eine Methode des gemeinsamen, offenen und öffentlichen Planens, also eines gemeinsamen Ziehens des symbolischen Karrens.

Die Methode wurde als Verfahren in den letzten 20 Jahren in Frankreich, vor allem aber in Großbritannien, Kanada und den USA erprobt und ist längst nicht mehr nur auf die Stadtplanung begrenzt. Sie verknüpft verschiedene Formen der Beteiligungsverfahren. Ein wichtiger Vorzug der Charrette ist die Verknüpfung von informellen und förmlichen Verfahren bei der städtebaulichen Planung, etwa der frühzeitigen Beteiligung der Bürger und Behörden nach den Paragrafen 3 und 4 des Baugesetzbuchs oder die Vorbereitung von Wettbewerben zu Teilbereichen, die sich aus dem Charrette-Ergebnis ableiten.

Volksplan: Das Konzept wird von den Bürgern mitgetragen.

Planungsfreude und Bürgerrespekt

Bürger, Experten für Raumgestaltung (Stadtplaner und Architekten) und Verwaltungsmitarbeiter wirken gemeinsam und arbeiten interdisziplinär mit Fachleuten wie Verkehrsplanern, Demografen, Umweltexperten oder Ökonomen. Alle treffen sich am Plan. Hier wird mit dem Stift in der Hand argumentiert, inspiriert und optimiert. Stadtplaner und Architekten spielen dabei eine Schlüsselrolle: Sie sind nicht Protokollanten des Bürgerwillens, sondern kreative Anreger, fachliche Korrekteure, aber auch geduldige Disputanten und unparteiliche Zuhörer. Wenn die Bürger und Verwaltungen ernst genommen werden, nehmen sie auch die Planer und Architekten ernst. Es findet so etwas wie ein schrittweises Annähern, wechselseitiges Lernen und gemeinsames Erkunden von „Neuland“ statt. Die konzen­trierte und intensive, dabei zugleich offene und nicht von einer „Gefällepädagogik“ (der Wissende sagt dem vermeintlich Unwissenden, was schön und richtig ist) geprägte Atmosphäre verhilft zu jener Planungsfreude, die der Autor bei den zahlreichen Charrettes in den letzten Jahren immer wieder erleben durfte.

Eine dreistufige Charrette (die Grundform) beginnt mit einer Erkundung des Gebietes mit öffentlichen Planungsspaziergängen (Rundfahrten), Stakeholder-Gesprächen, Informationsforen, Dokumentenanalysen sowie einer breiten Öffentlichkeitsarbeit über verschiedene Medien. Hinzu kommt die Konstituierung einer Kerngruppe, die – bestehend aus Planern und Architekten, Verwaltung und Vertretern von lokalen Initiativen – den gesamten Charrette-Prozess federführend organisiert und permanent reflektiert. In dieser Phase kann bereits eine Mini-Charrette (oder mehrere) integriert werden, bei der zu einzelnen Themen mit der Öffentlichkeit ein erstes Herantasten an die eigentliche Planungsarbeit vollzogen wird. Hier wird vor allem Vertrauen aufgebaut.

Kurz danach schließt sich die Haupt-Charrette an. Sie dauert in der Regel drei bis sieben Tage und findet im Bearbeitungsgebiet an einem öffentlich gut zugänglichen Ort statt. Während dieser Zeit wird täglich in aller Öffentlichkeit am Plan gearbeitet. Dabei werden die einzelnen Tage thematisch und in sich organisatorisch gegliedert. Am „1. Tisch“ wird zum Beispiel im Diskurs an einzelnen, in der Vorphase ermittelten Themen unmittelbar am Plan gearbeitet. Hier geht es keineswegs um „Schönwetterthemen“, bei denen ein Konsens leicht fällt. Gerade die Fragen des fließenden und ruhenden Verkehrs spielten regelmäßig eine zentrale Rolle bei den Auseinandersetzungen. Hier wurden mit dem Charrette-Verfahren stets keine faulen Kompromisse, sondern zukunftsweisende Lösungen gefunden – ein nicht einfacher Weg.

Wenn Experten zuhören

In diesem Prozess spielen Planer und Architekten als „Raumexperten“ die Rolle des Moderators, des Anregers, Kritikers und, besonders wichtig, des Zuhörers. Die hier entwickelten Lösungsansätze werden am „2. Tisch“ durch Fachleute unterschiedlicher Herkunft durchgearbeitet, überprüft und mit neuen Anregungen versehen. Diese gehen dann an den „1. Tisch“ zurück. Nach einer weiteren Erörterung und einem „Durchlauf“ am „2. Tisch“ werden die gefundenen Lösungen am „3. Tisch“ in den allmählich wachsenden und reifenden Entwurf des Masterplanes ­(beziehungsweise von Detailplänen) eingearbeitet. Der Masterplanentwurf wird dann meist am Abend in einem offenen Bürgerforum vorgestellt, diskutiert und kritisiert. Dies fließt am nächsten Tag wieder in die Planungsarbeit ein – der Prozess wiederholt sich auf der nächsten Stufe. Nach einer Woche ist ein Masterplan gereift, der am Ende als Grundkonzept von der Öffentlichkeit in einem abschließenden Forum bestätigt und zur Vertiefung und förmlichen Debatte an die Stadträte weitergeleitet wird.

Bagger-Beteiligung: Auch das Freilicht­museum Ferropolis in Sachsen-Anhalt mit seinen gigantischen Braunkohlebaggern war Gegenstand einer Charrette.

In der unmittelbar anschließenden dritten Phase wird dann der Masterplan detailliert durch- und ausgearbeitet – teils auch schon Detailpläne. In den zuständigen Ausschüssen der Stadträte wird noch einmal darüber beraten – auch hier öffentlich. Letzte Hinweise fließen dann in die Endfassung des Masterplanes ein, der am Ende förmlich vom Stadtrat beschlossen wird – als Grundlage für die aufzustellenden Bebauungspläne oder für die Ausschreibung von Wettbewerben für einzelne Objekte oder Ensembles. Diese Wettbewerbe gewinnen eine neue Qualität: Sie fußen auf einem Masterplan mit dem entsprechenden Regelwerk und ermöglichen kreative Lösungen im Rahmen einer städtebaulichen Gesamtstrategie.

In Deutschland wurde in den vergangenen fünf Jahren eine Reihe von Charrettes mit unterschiedlichen Aufgaben und örtlichen Situationen durchgeführt. Nicht alles wurde unmittelbar umgesetzt. Die aufgebaute Beteiligungskultur wirkte jedoch in jedem Fall nach. Das Spektrum der Charrettes reichte von mehrtägigen Veranstaltungen bis zu sich über sieben Monate erstreckenden Verfahren. Der Zeitrahmen ist vom Umfang der Aufgabe, von den örtlichen Bedingungen, vom Finanzrahmen und mehr abhängig.

So enthielt die Charrette 2000/2001 in Eggesin eine Mini-Charrette über drei Tage, der ein halbes Jahr später eine einwöchige Aktion folgte. Es ging primär um den Umbau der Plattenbaugebiete in der Stadt. In der Charrette wurde jedoch der Bogen von der regionalen Strategie bis zur konkreten Durcharbeitung der Umbauten gespannt. Es entstand ein Strategiekonzept, das mit großer Beteiligung der Bewohner erarbeitet worden ist.

Erst Wettbewerb, dann Charrette

In Gräfenhainichen nutzte dagegen die Stadt den Aufruf zur Beteiligung am Bundeswettbewerb zum Stadtumbau Ost, um eine Konzeption mit Bürgerbeteiligung zu erstellen. Innerhalb eines halben Jahres entstand in der „klassischen“ Dreistufigkeit ein Planwerk für die gesamte Stadt sowie für die ausgewählten Umbaugebiete. Das wesentliche Ergebnis war jedoch, ausgehend von einer Anregung durch die Bürgerschaft im Verfahren, die strategische Ausrichtung der Stadtentwicklung auf erneuerbare Energien: „Stadt mit Neuer Energie“ im Sinne einer regionalen Au­tarkie. Dies wird inzwischen schrittweise umgesetzt. Bei dieser Charrette hatte sich die Stadt entschlossen, einen beschränkten Wettbewerb vorzuschalten, um die geeigneten Planer für die Mitwirkung an der Charrette zu finden. Wichtig sind hier neben der Fachkenntnis die Kreativität und die Fähigkeit zur Kooperation mit Bürgern und anderen Fachdisziplinen. So entstand ein wirklich interdisziplinäres Kernteam, das effektiv und kommunikativ mit den Bürgern agierte. Die Auszeichnung mit einem ersten Preis im Bundeswettbewerb zum Stadtumbau Ost belohnte die Betei­ligten. Eine zweite Charrette in Gräfenhainichen galt der Freiraumgestaltung von Ferropolis, der „Stadt aus Eisen“ im ehemaligen Braunkohletagebau Golpa-Nord.

Keine faulen Kompromisse, sondern zukunftsweisende Lösungen: Ein Charette-Verfahren ist kein einfacher Weg.

Bei der Charrette im Gladbecker Stadtteil Rentfort-Nord ging es um den Umbau des Stadtteilzentrums aus den 1960er-Jahren. Zusammen mit der Universität Dortmund erarbeiteten Studenten, Fachplaner und Bewohner eine Planung für den unmittelbaren Umbau des Zentrums und seine Einbindung ins Umfeld. Es gelang insbesondere, die Gewerbetreibenden, Stadtteilinitiativen und auch ausländische Bewohner als aktive Mitgestalter zu gewinnen. Vereinbart wurde, das Hochhaus abzureißen und ein stadträumliches Ensemble niedrigerer Bauten unter kreativer Einbeziehung vorhandener Strukturen zu schaffen.

Die Innenstädte von Merseburg und Sundern standen im Zentrum von Charrettes, die sich jeweils über ein Dreivierteljahr erstreckten. In Merseburg ging es um den ­Wiedergewinn des historischen Zentrums am Markt als Teil einer Strategie zur Reurbanisierung. Sundern erstrebte einen komplexen Masterplan für die Innenstadt als regionales Zentrum im ländlichen Raum. Er entstand mit breiter Beteiligung ganz unterschiedlicher Bewohnergruppen und Investoren und ist vom zuständigen Stadtratsausschuss als Grundlage für die Umsetzung ­bestätigt. Eine derartige Verflechtung des informellen Planungsverfahrens mit den notwendigen förmlichen Schritten der Bebauungsplanung ist ideal.

Dr. Harald Kegler betreibt das Labor für Regionalplanung in Gräfenhainichen (Sachsen-Anhalt).

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