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Kinderfreundlich gleich erfolgreich

Felicitas zu Dohna forscht für Arup über das Entwerfen für urbane Kindheiten. Wir sprachen mit ihr über Defizite und gute Beispiele weltweit, mutige Entscheidungen und kleine Eingriffe mit großer Wirkung

31.10.20198 Min. Kommentar schreiben

„Eine kinderfreundliche Stadt ist eine erfolgreiche Stadt“

Von Kerstin Kuhnekath

Frau zu Dohna, die Begriffe „kinderfreundlich“ und „Stadt“ widersprechen sich für viele. Was ist Ihre Motivation, zum Thema zu forschen?

Wir sind überzeugt davon, dass die gesamte Gesellschaft von einer kinderfreundlichen Stadtplanung profitiert. Diesen Monat feiert die UN-Kinderrechtskonvention ihr 30-jähriges Jubiläum. Sie ist ein wichtiger Meilenstein in der Geschichte der Kinderrechte weltweit, der Staaten verpflichtet, sich aktiv für das Wohlbefinden der Kinder einzusetzen. Das Thema ist also schon lange auf der Agenda der Entscheidungsträger, doch konzentriert es sich vor allem auf die Rechte und Beteiligung von Kindern. Wenn wir heute darauf zurückblicken, fällt auf, dass eine Lücke klafft zwischen Theorie und Umsetzung, zum Beispiel beim Thema Architektur und Stadtplanung. Wir möchten diese Lücke schließen.

Was macht eine kinderfreundliche Stadt aus?

Der wichtigste Indikator ist die Sichtbarkeit von Kindern jeden Alters im öffentlichen Raum. Die Zeit, die Kinder im Freien verbringen, ihre Möglichkeiten, sich selbstständig zu bewegen, und ihr Kontakt zur Natur zeigen, wie erfolgreich eine Stadt ist, nicht nur für Kinder, sondern für alle.

Woran kann man sich orientieren, um kinderfreundlich zu bauen?

1996 wurde die Child Friendly Cities Initiative (CFCI) von UNICEF und UN-Habitat ins Leben gerufen, um den Resolutionen der zweiten UN-Konferenz über menschliche Siedlungen (Habitat II) nachzukommen. Das Wohlergehen der Kinder wird darin zum ultimativen Indikator für einen gesunden Lebensraum, eine demokratische Gesellschaft und gute Regierungsführung erklärt. Die Teilnehmer einigten sich auf den Grundsatz, dass Städte gleiche Rechte und Möglichkeiten für Menschen jeden Alters bieten sollten, eine Ambition, die seitdem durch die UN Habitat III New Urban Agenda und die UN-Nachhaltigkeitsziele weiter an Bedeutung gewonnen hat. Allerdings liegt der Fokus stets vor allem darauf, die Rechte der Kinder zu stärken. Konkrete bauliche Lösungen werden nicht aufgezeigt. Wir haben Beispiele gesucht, um konkret aufzuzeigen, wie kinderfreundliche Stadtplanung gelingen kann. Wir hoffen so, Planern und Entscheidungsträgern einen Leitfaden zur Umsetzung an die Hand geben zu können.

Es gibt verschiedene schutzbedürftige Gruppen in der Gesellschaft. Warum ist die Perspektive der Kinder ausschlaggebend?

Die Verletzlichkeit von Kindern ist sehr hoch. Städtische Planungs-, Gestaltungs- und Management-Entscheidungen haben erhebliche Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung – insbesondere in Anbetracht von neuen Stressfaktoren wie Urbanisation und Klimawandel. Wir tragen die Verantwortung für ­eine gesunde und gute Zukunft für unsere Kinder und damit auch für die gesamte Gesellschaft. Wie der Bürgermeister von Bogotá, Enrique Peñalosa, sagte: „Eine Stadt, die für Kinder gut ist, ist für alle gut.“ Eine kinderfreundliche Stadt ist eine nachhaltige, erfolgreiche und gesunde Stadt. Eine Stadt mit ­einer hohen Lebensqualität für alle. Es gibt ­inzwischen weltweit eine aufstrebende kinderfreundliche Städtebewegung.

Auch in Europa gibt es gute Beispiele: Barcelona erprobt eine radikal neue Strategie, die den Verkehr auf Hauptverkehrsstraßen beschränkt. Dadurch entstehen 400 mal 400 Meter große Stadtblöcke mit internen Straßen, die Fußgängern und Radfahrern Priorität einräumen und dadurch zu „Bürgerräumen“ werden mit sicheren Grünflächen für Kultur, Freizeit und Gemeindeaktivitäten. Derartige Superblocks werden als leicht anwendbares und anpassungsfähiges Modell getestet, das die Lebensqualität von Kindern, Familien und Senioren verbessern kann.

Bei kinderfreundlicher Planung steht also die Verkehrsplanung im Mittelpunkt?

Kinder sind aufgrund ihrer geringeren Größe und Sichtbarkeit im Straßenverkehr und ihrer mangelnden Fähigkeit, die Geschwindigkeit zu beurteilen, gefährdeter, von Autos angefahren zu werden. Der Übergang von autofreundlich zu kinderfreundlich spielt also eine große Rolle. Straßen als multimodale öffentliche Räume und nicht als Bewegungskorridore zu betrachten, stellt den Menschen in den Mittelpunkt. Die Stadt Freiburg ist in dieser Hinsicht ein weltweit anerkanntes Vorbild. Seit 40 Jahren engagiert sich die Stadt für eine langfristige Verbesserung der Straßenräume: Die Geschwindigkeit der Autos wird in vielen Wohngebieten auf Schrittgeschwindigkeit reduziert, das Parken beschränkt und der öffentliche Nahverkehr ausgebaut. Die Strategie hat zu einer geringeren Autonutzung, mehr aktiver Mobilität und naturreichem Raum für alle Altersgruppen geführt, mit Aufenthaltsqualität für Familien mit Kindern, ältere Menschen und alle Anwohner.

Was hindert andere Städte daran, diesen guten und erfolgreichen Beispielen zu folgen?

Bei der Umsetzung von Maßnahmen zur Verbesserung der räumlichen Situation spielt der ökonomische Aspekt eine große Rolle. Die Städte und Investoren müssen immer überzeugt werden. Denn es gilt derzeit: Wo man sparen kann, wird gespart. Und: weg damit, wenn es nicht sofort einen guten Umsatz gibt. Unser Argument geht aber über die unmittelbaren finanziellen Auswirkungen im Hier und Jetzt hinaus. Es ist zukunftsorientiert und erfordert langfristiges Denken. Es geht darum, darüber nachzudenken, wie man bestimmte Dinge anders machen kann, die man sowieso schon tut. Anstatt also immer gleich zum Standard zu greifen, kann man zum Beispiel bei der Stadtmöblierung überlegen, wie man eine spielerische Aufwertung hinbekommt. Mit einem kleinen Budget lässt sich schon vieles verbessern. Kinderfreundliches Bauen muss überhaupt nicht mehr kosten. Ein Umdenken ist nötig.

Stadtmöblierung ist ein Anfang, aber damit ist es meist nicht getan. Welche verhältnismäßig kleinen Eingriffe können große Veränderungen bewirken?

Städte, die Kindern genug Raum geben, unterstützen diese in ihrer Entwicklung. Gerade für Kleinkinder und ihre prägenden ersten Lebensjahre muss es ausreichend Raum geben. Ein schönes Beispiel, wie man aus wenig Raum mehr machen kann, ist New York. Dort hat man das Schoolyard-Project ins Leben gerufen, weil die Kinder in der Stadt einfach zu wenig Platz hatten und kaum Grünräume. Also wurden die Schulhöfe nach dem Schulbetrieb für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht und begrünt. So waren zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: mehr Platz für die Kinder der Stadt und grünere Schulhöfe für die Schulkinder. Gleichzeitig erhöht sich so der Anteil der Versickerungsflächen, sodass die Stadt widerstandsfähiger gegenüber Überflutungen wird. In Paris gibt es eine ähnliche Bewegung auf Schulhöfen: Die Temperaturen im Sommer waren derart hoch, dass die Schüler die Schule nicht mehr besuchen konnten. Also hat man die asphaltierten Böden der Schulhöfe in Grünflächen umgewandelt. Multifunktionale Lösungen entstehen, wenn wir Städte kinderfreundlich bauen.

Für tief greifende Veränderungen ist aber doch ein größeres Budget erforderlich, oder?

Selbst in weniger reichen Ländern als den Industrieländern hat man den Wert kinderfreundlicher Stadträume für die Gesellschaft erkannt und investiert an dieser Stelle. Zum Beispiel hat der bereits erwähnte Bürgermeister von Bogotá, Enrique Peñalosa, eine sichere, saubere und kindgerechte Umgebung in seiner Stadt geschaffen. Er startete eine großflächige Initiative, die sich für eine kindgerechte Infrastruktur durch Verkehrsberuhigung, Spielstraßen und eine bessere Wegeführung einsetzt. Sein Einsatz war sehr mutig. Denn gerade in einem Land wie Kolumbien braucht es Überzeugungskraft, um so ein scheinbares Rand-Thema zu priorisieren und die Menschen davon zu überzeugen, dass die Diskrepanz zwischen Arm und Reich durch Kinderfreundlichkeit gemindert werden kann. Enrique Peñalosa hat sich mit diesem Denken durchgesetzt und hatte Erfolg damit: Gleich zweimal wurde er zum Oberbürgermeister von Bogotá gewählt, von 1998 bis 2000 und 2015 wurde er wiedergewählt.

Wodurch wird die Diskrepanz zwischen Arm und Reich verringert?

Bei der Lebensqualität in Städten geht es auch darum, welches Gefühl in der Community vorherrscht. Es muss öffentliche Räume für alle geben, in denen sich Menschen aller sozialen Schichten begegnen, wo man die Ungleichheit ausblenden kann. Die soziale Struktur muss eine durchmischte sein. In unserem Fallbeispiel Santiago de Chile ist das wunderbar gelungen: Dort ist ein Kinderpark entstanden, der einen durchgehenden, begehbaren Weg durch die Stadt und einen hochwertigen öffentlichen Raum bietet. Die Gestaltung zielt darauf ab, Spaß und Sicherheit auszubalancieren, um Spielräume zu schaffen, in denen Kinder sich ausleben können. Gleichzeitig entsteht ein weicher Übergang zwischen reichen und armen Stadtvierteln.

Wie geht es jetzt für Sie weiter?

Wir wollen Datenlücken schließen und Evidenzen sammeln. Als Teil der Real-Play-Coalition, die unter anderen von National Geographic, Lego und Ikea gegründet wurde, setzen wir uns außerdem für die Wichtigkeit des Spiels für die Entwicklung eines Kindes ein. Und als Experten für die gebaute Umwelt erforschen wir die Rolle von Städten und deren Infrastruktur, um mehr und bessere Spielmöglichkeiten zu schaffen. Wir setzen die Strategien für kinderfreundliche Städte selbst aktiv um und suchen Partner, die mitmachen. Ein paar Projektentwickler haben wir auch schon an Bord. Wir wollen, dass sich mehr Menschen mit dem Thema beschäftigen. Auch in Deutschland brauchen wir Partner und freuen uns, wenn sich engagierte Planer melden.

Felicitas zu Dohna ist Analystin in Arups Team für „Foresight, Research and Inno­vation“. Sie leitete die Forschung für den Urban­Child­ hoods­Report.

 

Ein Wegweiser für Erwachsene

„Designing for urban childhoods“ stellt 40 globale Fallstudien vor und empfiehlt 14 konkrete Interventionen für den Stadtumbau. Kommunalpolitiker, Stadtplaner, Entwickler und Investoren können sich dem Bericht zufolge an 15 allgemein formulierten Leitlinien orientieren, um gesündere und integrativere, widerstandsfähigere und wettbewerbsfähigere Städte zu schaffen. Die Publikation ist in der Reihe „Cities Alive“ erschienen. Sie wurde von Experten des international agierenden Ingenieurbüros Arup in Beratung mit externen Teams von Stadtplanern erstellt. Der Report ist auf Englisch verfasst und kann hier kostenfrei heruntergeladen werden.

Weitere Beiträge zum Thema finden Sie in unserem Schwerpunkt Kinder

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