Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Maximum im Minimum“ im Deutschen Architektenblatt 06.2024 erschienen.
- Schmergow: Industrielle Halle mit Kernhaus
- Werder (Havel): Wohnen nach den Vorgaben der Natur
- Ihlow: Erlebbare Materialien und einfache Konstruktion
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Schmergow: Industrielle Halle mit Kernhaus
Für Markus Rampl vom Berliner Büro c/o now ist die Designphilosophie von Pritzker-Preisträgerin Anne Lacaton prägend. Sie hatte an ihre Kollegen appelliert: „Bauen Sie großzügige Räume zu geringstmöglichen Kosten, mit einem Sinn für Wirtschaftlichkeit, der nicht auf Komfort und Schönheit verzichtet. Geben Sie nur ein Minimum aus, um das Maximum zu erhalten.“ Umgesetzt hat das junge Architektenteam von c/o now dieses Motto in einem Einfamilienhaus im 850-Seelen-Dorf Schmergow in Brandenburg.
In einer industriell anmutenden Halle mit einer Grundfläche von 200 Quadratmetern haben die Architekten (zunächst) zwei Wohnebenen untergebracht. „Die Einfachheit dieses Hauses beruht einerseits auf dem leicht verständlichen Haus-im-Haus-Konzept und andererseits auf der klaren und einfachen Konstruktionsweise“, erläutert Markus Rampl. „Man sieht die Materialien und wie das Bauwerk zusammengesetzt ist.“
Kaum Verbundwerkstoffe verbaut
Die in Holzbauweise vorgefertigte Halle ist mit Trapezblechen verkleidet und mit Licht- und Sandwichpaneelen bedeckt. Letztere sind – neben dem Stahlbeton der Fundamente – der einzige Verbundwerkstoff. Gewählt wurden sie vor allem, um das Geräusch des Regens auf dem Blechdach abzuschwächen und die Kondensatbildung auf der Dachunterseite zu minimieren. „Die Sandwichpaneele waren dabei die wirtschaftlichste Lösung“, erklärt der Projektleiter.
Natürlich belüftet und belichtet
Zum Garten öffnen sich zwei riesige Schiebetore, zwei kleinere Öffnungen mit Schiebeläden ermöglichen eine gute Durchlüftung. Im Innern der Halle war zunächst eine unterstützende Grundbeleuchtung vorgesehen. Die wurde bislang nicht realisiert – „weil durch die transluzenten Elemente im Dach und die Lichtbänder an der Fassade immer ausreichendes, sehr schönes diffuses Streulicht fällt“, freut sich Markus Rampl.
Haus im Haus: Klimahülle schützt das Wohnhaus
Die großzügige Halle dient als witterungsfeste und winddichte, nicht klimatisierte Hülle für das Kernhaus. Dieses besteht im Erdgeschoss aus Dämmziegeln, darauf wurde ein deutlich kleineres Obergeschoss in Holzständerbauweise errichtet. Dank der geschützten Situation waren weder spezielle Materialien noch Oberflächenbehandlungen oder aufwendige Abdichtungen erforderlich.
So mussten etwa für die Holzterrasse, die als großzügiger Außenbereich das obere Wohngeschoss ergänzt, keine verschweißten Bitumenbahnen verbaut werden. Dort, wo sich im Wohnkubus die dreifachverglasten Kunststofffenster befinden, sind in der Außenhülle Schiebeelemente. Dieser mehrschichtige Aufbau ist nicht nur einfach und kostengünstig, er hat auch in der Nutzung erhebliche Vorteile.
Das Grundstück befindet sich in exponierter Lage am Ortseingang an einer großen Dorfstraße und direkt neben einer Bushaltestelle. Durch das Haus-im-Haus-Konzept ist das Gebäude samt einem Teil seiner aktuellen Außenflächen nicht abgeriegelt, es ermöglicht aber den Rückzug in die Privatsphäre.
Erweiterung in Leichtbauweise und Eigenleistung möglich
Insgesamt ist derzeit eine Nutzfläche von 90 Quadratmetern beheizt. Bei Bedarf könnte sie auf bis zu 400 Quadratmeter vergrößert werden, zum Beispiel durch Einbeziehung der Dachterrasse oder Erweiterungen im übrigen, noch unbebauten Indoor-Bereich.
Das können die Bauherren dann in Leichtbauweise in Eigenleistung bewerkstelligen. „Für die beheizbare Fläche haben die Bauherren rund 2.000 Euro brutto pro Quadratmeter ausgegeben (Kostengruppe 300 und 400). Wenn sie jetzt den Wohnbereich erweitern, kostet das nur noch rund 400 Euro pro Quadratmeter“, bilanziert Markus Rampl.
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Werder (Havel): Wohnen nach den Vorgaben der Natur
Gut 20 Kilometer von Schmergow entfernt, in Werder an der Havel, haben Jurek Brüggen (undjurekbrüggen, Berlin) und Sebastian Sailer (KOSA Architekten, Heiligenberg) ebenfalls ein Einfamilienhaus mit Klimazonen konzipiert. Die Brutto-Kosten pro Quadratmeter Wohnfläche betrugen hier knapp 2.400 Euro (Kostengruppe 300, 400, 500). „Vorgabe der Bauherren war, ein möglichst ökologisches Haus im weitesten Sinne zu konzipieren und das in die Natur zu integrieren“, erläutert Sebastian Sailer. Im Dialog ist die Idee eines Jahreszeitenhauses entstanden: Nur ein Teil des Gebäudes wird beheizt. Hierhin ziehen sich die Bewohner im Winter zurück.
Weniger Komfortansprüche, weniger bauphysikalische Probleme
„Viele unter anderem bauphysikalische Probleme entstehen durch den Wunsch, im gesamten Haus immer eine konstante Komfort-Temperatur zu haben“, sinniert Jurek Brüggen. Er findet: „Wenn man akzeptiert, dass sich die Umgebung im Tages- und Jahresverlauf verändert, und das Gebäude in diesen Wechsel integriert, kann man wesentlich einfacher bauen. Durch Klimazonen lässt sich die beheizte Fläche verringern, und auch die Haustechnik insgesamt – und in der Folge der Wartungsaufwand – kann erheblich reduziert werden.“
Konstante Temperatur im Sockel aus Beton
Das rechteckige Sockelgeschoss des Werderaner Jahreszeitenhauses besteht aus einem Betonhohlkörper mit sichtbarer Holzverschalung. Hier, auf einer Fläche von 85 Quadratmetern, sind alle notwendigen Funktionen wie Schlafzimmer, Bad, Toiletten, Ess- und Wohnbereich sowie Stauraum untergebracht.
Frei stehende Holztrennwände gliedern den Raum. Innen liegende Fenster aus Holz schützen vor der Witterung. Zwei große Schiebefenster öffnen den Weg zum Garten. Nur diese Ebene wird im Winter beheizt. „Der Beton sorgt durch seine monolithische Masse für eine relativ konstante Temperatur. Dadurch, dass der Baukörper im Norden in den Hang eingegraben ist und im Süden von der Sonne erwärmt wird, fällt der Wärmebedarf sehr gering aus“, beschreibt Jurek Brüggen.
Winterquartier für Pflanzen wird zum Sommerwohnraum
Bei wärmeren Außentemperaturen dehnt sich der Wohnbereich nach oben aus. Auf dem Flachdach des Betonkubus sitzt als zweiter Layer wie in Schmergow ein kleinerer, leichter Holzpavillon. Er kann gut mit wechselnden Temperaturen umgehen. Dank der Abwärme von unten finden hier empfindliche Pflanzen ein Winterquartier. Im Sommer werden die Falttüren zur umlaufenden Terrasse geöffnet und die mobilen Küchenelemente werden aus dem Erdgeschoss nach oben geholt.
Verbunden sind die beiden Geschosse durch eine hölzerne Innentreppe, die zugleich als Bücherregal dient. Ein horizontales Schiebefenster am Kopf der Treppe trennt im Winter den oberen, unbeheizten Gebäudeteil vom unteren. „Tatsächlich war es höchst herausfordernd, das Fenster so an der Decke zu montieren, dass es gut läuft“, erklärt Sebastian Sailer.
Poetischer Entwurf, einfaches Prinzip
Bei allen Gedanken zu Funktionalität, Nachhaltigkeit und Einfachheit – der gestalterische Anspruch der beiden Architekten ist unübersehbar. „Die Ästhetik des Gebäudes ergibt sich daraus, dass es eine einheitliche, klare Geschichte erzählt“, so Jurek Brüggen. „Ein Stein liegt am Hang, als ob er immer schon dort war. In ihn werden Öffnungen geschnitten, eine Innengliederung eingefügt und ein Pavillon daraufgesetzt“, beschreibt Jurek Brüggen fast schon poetisch seine Entwurfsidee.
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Ihlow: Erlebbare Materialien und reduzierte Konstruktion
Weniger poetisch geht es auf der anderen Seite von Berlin, in Ihlow, zu. Hier hatten Albert Herrmann und Bernd Miosge (heute AG8 Architektur, Berlin) in Zusammenarbeit mit Yana Kyuchukova bei der Planung eines Einfamilienhauses das simple und zugleich herausfordernde Anliegen, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, ohne banal zu werden. „Für uns bedeutet einfaches Bauen, mit einfachen Mitteln besondere Qualitäten zu erzeugen. Das kann sich sowohl in der Konzeption als auch in der Konstruktion und Materialität widerspiegeln“, fasst Bernd Miosge zusammen.
In diesem Fall war der zentrale Gedanke, eine großzügige Wohnhalle herzustellen. Dieser Wohn-Koch-Arbeits-Hobbyraum samt Holzofen bildet den Mittelpunkt des eingeschossigen Hauses. Er nimmt mehr als die Hälfte der 125 Quadratmeter Nutzfläche ein. Bodentiefe Fenster und Festverglasungen an den beiden Längsseiten des Hauses lassen das Licht hereinfluten. An den Stirnenden befinden sich je zwei minimalistische Individualräume und ein Bad.
Günstiges Systemdach aus Sandwich-Elementen
Der luftige Hallencharakter wird nicht nur durch die Größe des Wohnraums, sondern auch durch das kostengünstige gewölbte Systemdach aus Sandwich-Elementen mit integrierter Dämmung erzielt. Der monolithische Baukörper darunter ist einschalig aus ungefüllten Dämmziegeln gemauert. An der geschlämmten Außenseite sind die Fugen und die Oberflächenstruktur der Steine sichtbar. Im Innenraum ist das Mauerwerk großteils unverputzt, der Estrichboden versiegelt. Oberhalb der Porotonwände bilden Holzplatten die Wand bis zum Deckengewölbe.
Materialien und Konstruktion bleiben sichtbar
„Das war uns wichtig, um der industriellen Materialität des Daches etwas entgegenzusetzen und den Raum wohnlicher zu machen“, betont Bernd Miosge. Die Zwischenwände zu den Individualräumen bestehen aus Trockenbau, die Böden dort sind mit Linoleum ausgelegt. „Einfachheit heißt auch, Bauteilschichten in der Konstruktion zu reduzieren. Dies ermöglicht gleichzeitig, die Materialität der Konstruktion im Bauwerk erlebbar zu machen“, so Albert Herrmann.
Es soll ungewöhnlich statt billig aussehen
Alles in allem kam man so auf einen günstigen Baupreis von knapp 2.000 Euro brutto pro Quadratmeter Bruttogrundfläche (Kostengruppe 300, 400). Dem Architektenteam war dabei durchaus bewusst: Reduktion birgt immer die Gefahr, dass das architektonische Niveau leidet und man einem Gebäude im Wesentlichen nur noch ansieht, wie kostengünstig es errichtet wurde.
Ihre Strategie, das zu vermeiden? „Wir versuchen, durch die Kombination verschiedener einfacher Mittel eine Besonderheit zu erzeugen. In Ihlow haben wir zwei einfache Dinge kombiniert, die eigentlich nicht zusammengehören: einen Einfamilienhaus-Bungalow mit einem Industriedach“, erklärt Bernd Miosge.
Einfach und günstig, aber nicht beliebig
Man kann sagen: Das Konzept ist aufgegangen. Gemeinsam ist so allen drei Einfamilienhäusern: Sie sind einfach konstruiert, auf das Wesentliche reduziert und kostengünstig – aber alles andere als beliebig. Im Gegenteil: Im Zusammenhang zeigen sie, welche Vielfalt mit diesen Prämissen möglich ist.
Weitere Beiträge zum Thema finden Sie in unserem Schwerpunkt Einfach.
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Nicht mein Fall.
Sehr interessante Denkansätze!
Aber:
200m² Flächenversiegelung für 90 m² Wohnfläche in Beispiel 1? Erst mit einem weiteren Ausbau der Wohnfläche wird das Verhältnis besser.
Bei Beispiel 2 beim unbeheizten Obergeschoss werden die Grundsätze des konstruktiven Holzschutzes stark vernachlässigt: die vielen ungeschützen Holzpfosten sind jetzt schon stark vergraut, frühe Schäden sind vorprogrammiert, insbesondere an den spritzwasserbelasteten Fußpunkten. Nachhaltig ist anders.
Die Kritik zum Beispiel 1. kann ich nicht ganz beistimmen. Natürlich braucht das Streifen-Fundament der äußeren Hülle auch einige m2 der Versiegelung. Aber dafür ist ja im Innern nicht alles voll versiegelt.
Aber genau diese Hülle bietet auch eine Mega Fläche für Dach und Fassaden PV . Und das ist schon einmal ein großer Vorteil zur Dezentralen-Selbstversorgung. Im inneren geht es auch von der Bauzeit ganz schnell, wenn man die Fertig-Modul-Bauweise dort anwendet. Geht aber auch schnell und günstig mit vorgefertigter Holzrahmen-Bauweise, wenn man entsprechend Eigenleistung einbringen möchte. Da ja schon eine verschließbare Außenhülle vorhanden, können Eigenleistungen auch über die Wochenenden über einen längeren Zeitraum mit eingebracht werden. Also auch ein finanzieller Vorteil für geübte Bauherrn die selber möglichst viel in Eigenleistung erbringen würden.
Aufgrund dieser Vorzüge, finde ich die Idee nicht schlecht.
Die 2. Variante gefällt mir da schon rein optisch weitaus weniger. Sieht so ein wenig nach überbauter Garage oder neuer Nutzung eines Abbruchhauses aus.
Die 3. Variante hat ein wenig was vom Ferienhaus-Styl, würde aber wenn alles Barrierefrei umgesetzt, als gutes Rentner Häuschen ankommen. Oder auch für junge Leute mit kleiner Geldbörse . Serielle Fertigung vorrausgesetzt. Das Dach sollte was die Tragfähigkeit angeht, natürlich ebenso mit Solar bestückbar sein.
Danke für das Zusammenstellen der inspirierenden Beispiele. Gerne mehr.