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Elternhaus

Dem Umbau von Eigenheimen eilt der Ruf einer wenig einträglichen, dafür überaus anstrengenden Bauaufgabe voraus. Doch gerade in Regionen mit einer hohen Nachfrage nach Wohn­eigentum eröffnet sich für Architekten hier ein neuer Markt, der lukrativer ist als gedacht

01.11.20137 Min. 1 Kommentar schreiben

Text: Cornelia Dörries

Foto: Valentin Wormbs, Stuttgart
Nicht mehr wiederzuerkennen: Der Bestandsbau bildet nur noch die physisische Grundlage der fundamentalen architektonischen Metamorphose des Hauses H in Landau (Architekten: bfa, Stuttgart) (Foto: Valentin Wormbs, Stuttgart)

Sie sind die Babyboomer der jüngeren deutschen Architekturgeschichte: Einfamilienhäuser aus den Wirtschaftswunderjahren. Obwohl die meist bescheidenen Bauten mit ihrer Giebel- und Walmdach-Optik das Weichbild der städtischen Peripherie ebenso prägen wie große Bereiche des ländlichen Raums, spielen sie in der Diskussion um die baulich-ästhetische Weiterentwicklung des Wohnungsbestands keine Rolle – abgesehen von den anstehenden Maßnahmen zur Energieeinsparung. Noch nicht. Denn im Moment vollzieht sich gerade im Bereich dieser Immobilien ein Generationswechsel: Aus den Kindern, die oft selbst in solchen Eigenheimen aufwuchsen, sind inzwischen Erben geworden, die nun in die Häuser ihrer Eltern ziehen und dort selbst Familien gründen. Sie lassen diese Gebäude nicht nur mit einer neuen Wärmedämmung versehen, sondern fragen zunehmend auch umfassende Maßnahmen zur architektonischen Umgestaltung nach. „Das Auftragsvolumen gerade in diesem Segment nimmt zu“, bestätigt Architekt Rolf Heine aus Stuttgart, der auf gut 20 Jahre Erfahrung im Umbau von Wohnhäusern zurückblicken kann. Während nur etwa 30 Prozent seiner Aufträge Neubauten betreffen, entfallen auf Umbau und Modernisierung von Bestand inzwischen 70 Prozent. Heine beschäftigt sechs Mitarbeiter – drei fest angestellte und drei freie Architekten. Er führt die Verlagerung hin zum Umbau nicht nur auf die bei Gebäuden dieses Alters überfällige energetische Ertüchtigung zurück, sondern auch auf die veränderten Wohnansprüche der Erbengeneration. „Die Bauten dieser Zeit weisen oft sehr kleinteilige Grundrisse auf“, so Heine. „Typisch sind kleine, geschlossene Räume, eine vom Wohnbereich separierte Küche und winzige Kinderzimmer. Man könnte auch sagen: Es fehlt grundsätzlich an Großzügigkeit, Repräsentativität und Offenheit.“ Solche Qualitäten lassen sich nur durch strukturelle Eingriffe realisieren.

(Foto: Valentin Wormbs, Stuttgart)
Neues in alten Mauern: Die Architekten haben mit ihrem Entwurf dem Altbau ungeahnte Qualitäten entlockt. Das erfordert Präzision- und Mut. (Foto: Valentin Wormbs, Stuttgart)

So wird das Erdgeschoss durch die Entfernung von Trennwänden geöffnet und als räumlicher Zusammenhang mit einer neu organisierten Anbindung an den Außenbereich gestaltet; außerdem wird dem verbreiteten Bedürfnis nach großzügigen gemeinschaftlichen Räumen, geräumigeren Kinderzimmern oder offenen Spielfluren Rechnung getragen. „Nicht selten bilden die Ansprüche der Kinder den Ausgangspunkt; die Interessen der Eltern sind oft nachgeordnet“, fasst Heine zusammen. Neben jungen Familien sind für sein Büro auch ältere Bauherren eine wichtige Klientel, wenn es um Umbauten vorhandener Immobilien geht. „Bei dieser Gruppe dreht sich alles um Barrierefreiheit und altersgerechte Modernisierung, aber auch um Verkleinerung und Einfachheit.“ Doch nicht immer sind die Häuser für solche Eingriffe geeignet. „In manchen Fällen wäre ein Abriss mit anschließendem Neubau eigentlich die wirtschaftlich vernünftigere Strategie“, so Heine. „Doch gerade bei Altbauten ist auch immer viel Sentimentalität im Spiel.“ Und gerade weil viele Bauherren bereit sind, sich diese Sentimentalität etwas kosten zu lassen, sind Umbau und Modernisierung von Bestand, zumindest ab einem gewissen Volumen, auch für den Architekten interessant – nicht nur, weil die neue HOAI für die aufwendige Arbeit in diesem Bereich höhere Zuschläge vorsieht (siehe hier), sondern auch, weil damit eine besondere planerische Herausforderung verbunden ist. „Bei manchen Gebäuden sieht man sofort, dass es sich um wertvolle Substanz handelt, die einfach nur in die Jahre gekommen ist“, weiß der Architekt. „In der Planung geht es dann darum, diese Qualitäten wieder an die Oberfläche zu holen.“ Manchmal muss er seine Bauherren von diesen Qualitäten erst überzeugen. Etwa, wenn der Besitzer sich die Verwandlung seines verschachtelten Giebelhäuschens – Rolf Heine sagt dazu „Kaffeemühle“ – in einen kubisch-kantigen Bauhaus-Wiedergänger wünscht. Teils verhindert das örtliche Baurecht eine solche Metamorphose, teils Heines architektonisches Ethos. Er findet: „Die besseren Ergebnisse erzielt man in der Regel durch die intensive Beschäftigung mit dem Bestand.“

Von der Kaffeemühle zur Festkörperphysik

Foto: Valentin Wormbs, Stuttgart
Neue Offenheit: Das Dachgeschoss eines Bestandsbaus in Stuttgart präsentiert sich nach dem Umbau durch Rolf Heine als großzügiger, heller Wohnbereich. (Foto: Valentin Wormbs, Stuttgart)

Im pfälzischen Landau indes wurde eine dieser Fünzigerjahre-„Kaffeemühlen“ vom Stuttgarter Büro bfa Krauter Ludwig erfolgreich in einen modernen Kubus umgewandelt. Es reicht zunächst ein Blick auf die Vorher-Nachher-Fotos, um festzustellen, dass von der Altbausubstanz nicht mehr viel übrig geblieben sein kann. Das bestätigt auch Architekt Matthias Ludwig: „Nicht nur das Walmdach wurde entfernt, auch Balkone mit sinnlosen Stützen und Teile der Fassade. Im Inneren haben wir die Grundrisse geöffnet und neu organisiert.“

Entstanden ist das Haus H, ein weißer Doppelquader mit Flachdach, an dem nichts, aber auch gar nichts mehr an seinen Vorgänger erinnert. Die Planung wurde von den Architekten in enger Zusammenarbeit mit dem Bauherrn entwickelt. Und es stellt sich angesichts der radikalen Intervention unweigerlich die Frage: Warum nicht gleich ein Neubau, wenn der Bestand offenbar kaum etwas Erhaltenswertes aufzuweisen hatte? Architekt Ludwig führt ökonomische Gründe an. „Natürlich haben wir die Verhältnismäßigkeit von Abriss und Neubau einerseits und Bestandserhaltung und Umbau andererseits gründlich geprüft“, so Ludwig. „Am Ende war es wirtschaftlich sinnvoller und nachhaltiger, den Altbau als Grundlage für die Neuplanung zu nutzen und dadurch die Kosten für einen neuen Rohbau zu sparen. Zudem konnten wir gut mit der wohlproportionierten Grundstruktur des Gebäudes arbeiten.“ Seine Entscheidung für die Entfernung von Erkern, Balkonen und Säulen, mithin jenen Elementen, die das 1954 errichtete Wohnhaus nach außen hin maßgeblich prägten, fiel nach einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Lebenslauf des Gebäudes. „Die ursprüngliche Architektur wurde über die Jahrzehnte hinweg immer wieder überformt“, sagt der Architekt. „Die Balkone kamen erst später hinzu; die Stützen waren nur Dekoration. Die Fensteröffnungen entsprachen ebenfalls nicht mehr der Originalplanung.“ Ihm war sehr wohl bewusst, dass er sich mit einem Umbau auf Unwägbarkeiten einlassen würde.

Foto: Holger Münch
Foto: Holger Münch

„Bei der Arbeit mit alter Substanz gibt es eigentlich jedes Mal Überraschungen.“ Da ist zum einen die für die 1950er-Jahre typische, eher sparsame Konstruktion, die mit dünnerem Mauerwerk und weniger beständigen Materialien auskommen musste, zum anderen der erhebliche Aufwand bei den Detailanschlüssen, also dort, wo Alt und Neu aufeinandertreffen.

Doch gerade weil die Arbeit mit einem angejahrten, empfindlichen Altbau anspruchsvoll und zugleich mit so vielen Einschränkungen verbunden ist, erfordert sie besonderen Einfallsreichtum der Architekten, findet Matthias Ludwig. „Die Planung eines Neubaus ist viel einfacher als Umbau und Modernisierung von Bestand.“ Doch auch er sieht in Letzterem einen großen Markt – nicht nur, weil das Bewusstsein für den Wert des Bestehenden gewachsen ist, sondern auch, weil eine ganze Häusergeneration nach und nach die Besitzer wechselt.

Foto: Holger Münch
Foto: Holger Münch

Sein Büro, das er gemeinsam mit Antje Krauter führt, bekommt jedenfalls sehr viele Anfragen in Sachen Bestandssanierung. Doch kurioserweise folgt diese Nachfrage einem Süd-Nord-Gefälle. „Es handelt sich fast ausschließlich um Interessenten aus dem süddeutschen Raum. In Norddeutschland, wo wir auch eine Filiale unseres Büros unterhalten, lässt sich das nicht feststellen.“ Die Erklärung: Im Süden ist Bauland knapp und teuer, also rücken die so oft als minderwertig und banal geschmähten Einfamilienhäuser des Wirtschaftswunders – Rolf Heines Kaffeemühlen – vermehrt in den Blick. Doch egal, ob man die verschütteten Qualitäten dieser Bauten behutsam wieder zutage fördert oder sie, wie bei dem Projekt in Landau, nur als Gerüst für eine Komplettverwandlung benutzt – man kann etwas daraus machen.

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1 Gedanke zu „Elternhaus

  1. Sehr geehrte Frau Dörries,
    die Fotos Ihres Artikels zeigen sehr schön die Probleme unserer jetzigen Zeit:
    Der Neubau in Landau auf S. 12 grenzt sich in einer fast brutal anmutenden Weise zu seinen Nachbarn ab, die Mauern werden immer höher, als ob man den privaten Reichtum dahinter verstecken will.
    Was waren dagegen die Bauten der 50er jahre für einfach gehaltenen, durchlässige und mit dem Außenraum verbundenen Baukörper!
    Insgesamt kann man sagen: das immer stärkere Individuum muß sich immer mehr abgrenzen und abschotten – so wie viele Autos immer höher und größer werden –
    Eigentlich eine traurige Entwicklung, die wir Planer mit verhindern sollten.

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