Roland Stimpel
„Wir betreiben ein ganz mühsames Geschäft“, sagt Stefan Forster zur Begrüßung, guckt dabei aber recht vergnügt. Auch, als er seine alltägliche Arbeit am Geschosswohnungsbau erklärt: „Es ist ein aufwendiges Optimieren. Die Mietfläche muss maximiert werden, Wohnungsgrößen sind vorgegeben. Grundrisse sollen für junge Paare taugen und für Alte im Rollstuhl. Tausend Details müssen passen, von der Effizienz des Treppenhauses bis zur Waschbeckenbreite.“ Scheinbar ödes Tüfteln, aber es macht ihm ersichtlich Freude. Er ist angesehen und seine Bürowand hängt voller Preisurkunden, er ernährt ein Büro mit 20 Leuten, hinterlässt deutliche Spuren im Alltag der Stadt und genießt seinen Ruf als Wohnungsentwerfer. Für Frankfurts städtische Baugesellschaft ist er nicht der einzige, aber doch ein bevorzugter Hausarchitekt.
Der Geschossbau mit Wohnungen hat in Deutschland eine eigenartige Stellung: Einerseits lebt etwa die Hälfte der Menschen darin; es ist der zweithäufigste Haustyp nach dem Eigenheim und in allen Städten der prägendste. Andererseits spielt er im Bestandsbau nur eine mäßige und im Neubau derzeit fast gar keine Rolle – selbst in Städten, die noch wachsen und Wohnungen bräuchten. Ob Berlin oder Düsseldorf: Gebaut wird am ehesten in einem kleinen Luxussegment, in dem meist verkauft und ab und zu extrem teuer vermietet wird.
Geschossneubau für mietende Mittelschichten? Fehlanzeige. Er kommt einfach nicht zustande, weil immer wieder das Maximum dessen, was sie an Miete zahlen wollen und können, unter dem Minimum dessen liegt, was Neubauvermieter bräuchten. Nennenswerte Ausnahmen gibt es nur noch, wo Wohnungen knapp und teuer sind, wo auch Mittelschichtangehörige gut verdienen und genug für einen Neubau zahlen: 12,50 Euro pro Quadratmeter in Frankfurt. „Natürlich baue ich nicht Zigtausend Wohnungen wie damals Ernst May“, sagt Forster. „Aber es sind genug für ein spezialisiertes Büro – und genug, um nicht vor jedem Bauherrenwunsch zu kuschen.“
Der Zeitgeist bleibt draußen
Er baut für private Entwickler, doch am häufigsten für einen Wohnungsbauherrn der herkömmlichen Art: die städtische Gesellschaft ABG. Bei ihr kommt einiges glücklich zusammen: Sie hat ausreichend Eigenkapital und den politischen Auftrag, das nicht maximal zu verzinsen, sondern in mehr Wohnungen zu investieren. In größeren Komplexen kann sie mit Eigentums wohnungen die Mieten ein bisschen quersubventionieren. Bei Grundstücksvergaben und Baurechten sitzt sie nahe an kommunalen Quellen. Und sie hat Ehrgeiz, Werte auf lange Sicht zu schaffen und der Baukultur mehr Zierde als Schande zu sein. „Mein liebster Auftraggeber“, nennt sie Stefan Forster. Die Zielkundschaft für seine Wohnungen nennt er „Mittelschicht, nach unten offen“.
Wie sieht kommunaler Wohnungsbau für diese heute aus? Zunächst ziemlich konventionell – zum Beispiel bei den Grundrissen. Der Zeitgeist bleibt draußen: „Fließende Raumlandschaften, gleich große Zimmer ohne Funktionszuschreibung, Orientierung an irgendwelchen Lebensstilmilieus, das bringt alles nicht weiter“, meint Forster. „Grundrisse muss man nicht neu erfinden wollen.“ Bei ihm ist immer das Wohnzimmer der größte Raum und das Schlafzimmer so geschnitten, dass Doppelbett und Dreimeterschrank genau passen. Die Bäder liegen manchmal innen, Treppenhäuser sind eher eng. „Wir müssen Standardgrundrisse entwickeln, die auf viele passen“, erklärt Forster. „Und fast alle wollen 25-Quadratmeter-Wohnzimmer und dazu kleinere Räume – bis runter zum halben Zimmer, in dem man einzeln schläft, arbeitet oder Gäste unterbringt.“ Also will die ABG genau das von ihm, natürlich kostenminimiert.
Bei seinem aktuellen Neubau an der Hansaallee wirkt das trotzdem nicht öde. Bei Wohnzimmer und angegliederter Küche deuten sich im Rohbau räumliche Offenheit und Spannung an. Die aufwendige Grundrissbastelei an Drei- oder gar Fünfspännnern schafft überall unterschiedliche Raumproportionen. Und wo immer Forster kann, bringt er Loggien unter („Freiräume sind gefragt“). Mal sieben Meter lange, mal zwei pro Wohnung: zur Straße und zum Hof. Aber immer höchstens zwei Meter tief, wegen der Belichtung der Zimmer dahinter. Die relative Schlichtheit der Grundrisse habe noch einen Vorzug: „Was für viele taugt, wird auch von vielen bezogen. Mischung kommt da ganz von allein.“ Ohne dass er es darauf anlegt, baut er Mehrgenerationenhäuser für viele Lebensstile. Das alles soll sein Haus nicht hervorkehren – so wenig wie eine andere Qualität: „Es wird ein Passivhaus, aber ohne Birkenstock-Ausstrahlung. Ich will zeigen, dass solche Technik selbstverständlich sein kann.“
Aber gibt es nicht noch einen architektonischen Ehrgeiz darüber hinaus? „Skulpturen interessieren mich nicht“, sagt Forster rigoros. Die Wirkung im öffentlichen Raum aber durchaus. Da beruft er sich auf Aldo Rossi: das unspektakuläre Wohnhaus als Hintergrund für die großen städtischen Ereignisse. Unspektakulär heißt aber nicht ungestaltet. Forster gibt sich größte Mühe mit einer Sockelzone, an der man auch gern vorbeigeht, mit sorgsam durchgebildeten Fassaden und umgebungsgerechten Baumassen. „Ich baue an der europäischen Stadt mit“, sagt er selbstbewusst. Und so sehr das Innere seiner Wohnungen ein hochkomplexes Werk von Optimierungen, Ausgleich und Kompromiss ist, so wenig ist er bereit, beim Äußeren nachzugeben. Kein Bauherr hat ihn bisher dazu gebracht, an innerstädtische Häuser Balkons zur Straße anzubringen. „Das entspricht einfach nicht der urbanen Typologie. Es macht Fassaden unruhig und bringt zu viel Privatheit in den öffentlichen Raum.“ Nur die dezentere Loggia hat bei ihm an Stadtstraßen Chancen.
Er kann zwar auch Siedlung. In Würzburg plant er gerade an einer Gruppe locker auf die Wiese getupfter Mietshäuser; im thüringischen Leinefelde ist seine Konversion übergroßer Stadtrand-Plattenbauten zu ansehnlich dimensionierten Einzelhäusern berühmt geworden. Doch im Inneren Frankfurts ist er konsequent städtisch. Er maximiert die Trennschärfe zwischen öffentlicher Straße und Privathaus: links von der Haustür der Müllraum, rechts die Briefkästen, beides von außen zugänglich. „Ins Treppenhaus kommt nur, wer wirklich rein soll.“ Forster respektiert Schutz- und Abgrenzungsbedarf, sogar unter Verletzung von Standestabus: In einem Stadtrandquartier plant er jetzt einen ganzen Block mit Einzelhäusern drinnen und einem gemeinsamen Zaun außen herum.
Eine Gated Community? „Na und? Abgeschlossen ist doch jeder städtische Häuserblock. Auch dieses Vorstadtkarree nimmt keinen öffentlichen Raum weg, sondern schützt nur privaten.“Als Ausgleich zum nüchternen Handwerk provoziert Forster gern. Das bekommen Kollegen ab, wenig umgängliche Fachplaner und auch Auftraggeber. Forster sagt zwar: „Ich könnte leichter mehr Geld verdienen, wenn ich alles mitmachen würde, was die wollen.“ Aber sein Gesamterfolg basiert eher auf dem Gegenteil: Er macht manches mit, nur keinen schlechten Wohnungsbau. Darauf setzen seine Bauherren.