Von Simone Hübener
Architekten sind es gewohnt, lange, manchmal über Jahre hinweg an einem Projekt zu arbeiten. Die kurze Planungs- und Ausführungszeit eines Messestands dient da vielen als willkommene Unterbrechung gewohnter Arbeitsabläufe. Doch nicht nur das: Bei Messeständen können, dürfen und sollen ganz andere Materialien verwendet werden als bei einem Gebäude, das Jahrzehnte Bestand haben muss. Und nicht zuletzt stellt sich bei solchen Aufträgen die spannende Frage, wie die Marke, die Markenbotschaft, ihre Werte oder ein konkretes Produkt in den dreidimensionalen Raum übersetzt werden können.
Bei Firmen, die etwas Reales herstellen und dieses dann auf der Messe dem Kunden vorstellen möchten, ist dieser Transfer oft leichter zu bewerkstelligen als bei einer Dienstleistung, einer Software oder Ähnlichem. Bei Autoherstellern beispielsweise stehen mit großer Wahrscheinlichkeit die auf Hochglanz polierten Karossen im Vordergrund. Der Blick auf einen nagelneuen, PS-starken Motor fasziniert nicht nur die männlichen Besucher.
Stets muss der Architekt genau wissen, wie die Kunden des Unternehmens ticken, ob es sich bei den Messebesuchern um Endverbraucher oder Fachleute handelt und worüber sich der Hersteller selbst definiert. Was bewegt dieMarke? Wer verbindet welche Emotionen mit ihr? Ausgangspunkt für diese Überlegungen sind oftmals die 2-D-Werbekampagnen auf Papier und Bildschirmen sowie die Markenwerte und ihre Identität. Der Architekt muss also mit der Firma möglichst vertraut werden und das in sich aufnehmen, was sie ihre „Philosophie“ nennt.
Die Marke als gebauter Raum
Bei den produktbezogenen Messeständen muss Messebesuchern in kürzester Zeit vermittelt werden, was neu, toll oder anders an der Weiterentwicklung oder Neuheit ist, warum sie hier und nicht bei der Konkurrenz stehen bleiben sollen. Denn in einer von Reizüberflutung geprägten Messehalle ist die Phase extrem kurz, in der die Aufmerksamkeit gewonnen werden kann. Unkonventionelle Lösungswege sind gefragt. So muss, auch wenn der Auftraggeber ein greifbares Produkt bewerben möchte, dieses nicht zwangsläufig im Vordergrund stehen. Wichtiger ist auch hier, was das Produkt kann, wodurch es sich von der Konkurrenz unterscheidet.
Noch nach zehn Jahren beispielhaft ist der Stand von Panasonic auf der Elektro- und Elektronikmesse IFA 2001 in Berlin, den Atelier Brückner aus Stuttgart gestaltet haben. Ein Hochleistungs-Beamer war zu bewerben. Ihn im Ruhezustand zu begutachten, ist wenig spannend bis ziemlich langweilig. Entscheidend ist die Farbbrillanz der Bilder, die er erzeugt, und die Schärfe der Projektion. Das Team des Ateliers Brückner, dem neben Architekten und Innenarchitekten auch Kommunikations- und Produktdesigner sowie Lichtplaner angehören, entwarf deshalb ein 300 Meter langes, vier Meter hohes Möbiusband, auf dem ein Film mit einer bewegten Unterwasserwelt, mit Mustern undmit Blüten zu sehen war.
[album id=6 template=extend]
Bei nicht physisch existierenden Produkten kreieren die Planer dagegen oftmals gemeinsam mit den Marketingspezialisten das Ausstellungsstück erst selbst oder bedienen sich einer Metapher. Beim Stand der Wirtschaftsregion Stuttgart für die ExpoReal 2010 stand der Baum als nach oben strebendes und gleichzeitig geerdetes Symbol Pate. Er stammt aus der Feder der dortigen Ippolito Fleitz Group, die den Stand gemeinsam mit der Stuttgarter Agentur Bruce B. entwickelt hatte. Die Region steht für Stabilität und Dynamik. Ein Baum ist fest mit der Erde verwurzelt, seine Krone wiegt sich dagegen sanft im Wind, breitet sich in viele Richtungen aus. Boden und Möbel des Messestands waren demnach aus massiven Materialien in einem einheitlichen Dunkelbraun gefertigt. Die Baumkrone setzte sich aus großen, blau-silbernen Kuben zusammen, die mit verschiedenen Motiven bedruckt waren. Technische Errungenschaften, Gebäude und Produkte spiegelten den Facettenreichtum der Region wider.
Der erfolgreich an den Stand gelockte Besucher blickt irgendwann auch von innen nach außen. Welchen letzten Eindruck nimmt der Gast vom Unternehmen mit, wenn er den Stand verlässt? Blickt er gar auf das riesige Logo des Nachbarn, hier also meist der Konkurrenz? Antworten auf diese Fragen zu finden, ist wichtig und schwierig zugleich. Ausschlaggebend ist dabei die Lage des Stands innerhalb der Messehalle. Inselstand, Kopfstand oder eingebettet – das entscheidet über die Anzahl der Nachbarn. Deren Stände sind beim Entwurf eines Messeauftritts die großen Unbekannten, Überraschungen sind vorprogrammiert.
Freiheiten und Einschränkungen
Analog zum klassischen Hochbau, bei dem es verschiedene Nutzungen sinnvoll anzuordnen gilt, soll auch beim Messestand alles reibungslos funktionieren und klar gegliedert sein. Dazu muss der Planer seinen Kunden und dessen Wünsche genau kennen. Wie läuft ein Messetag dieses Unternehmens ab? Wo liegen die Unterlagen? Wie finden sich die Mitarbeiter am schnellsten und einfachsten wieder? Wo platziert man das Catering – an prominenter Stelle oder versteckt, sodass gezielt zu einem Essen oder Imbiss eingeladen werden kann? Wie sollen die Bereiche für Besprechungen gestaltet, wo gelegen sein? Parallel wollen Hauptlaufwege, Haupteingänge und Sichtachsen analysiert und im Konzept berücksichtigt werden. Das erfordert Blicke weit über den Rand des eigenen Stands hinaus. Im Messebau lassen sich auf alle diese Fragen allerdings meist leichter Antworten finden als zum Beispiel im Investoren- Wohnungsbau. Denn der Planer steht in engem Kontakt mit dem künftigen Nutzer. In dem von Karin Schulte herausgegebenen Buch „Fliegende Bauten. Der Messestand als konzeptionelle Aufgabe“ beschreibt Werner Sobek die Nutzerbeziehung so: „Gleichzeitig wird diese Architektur präzise wie sonst kaum auf einen Bauherrn oder ein Produkt hin orientiert.“ Dieser enge Kontakt und die temporäre Nutzung eröffnen aber auch einen großen Gestaltungsspielraum: Ein Messestand, selbst wenn er mehrere Jahre lang immer wieder aufgebaut wird, muss nicht wie ein Haus einige Jahrzehnte überstehen. Farben und Materialien müssen nicht besonders langlebig sein und können entsprechend dem aktuellen Zeitgeist ausgewählt werden. Manchmal entwickeln die Planer für Messestände gar neue Materialien, kreieren neue Oberflächenstrukturen und probieren neue Techniken aus, die dann teilweise Einzug in den Hochbau halten.
Aber natürlich gibt es auch hier die bekannten Einschränkungen: Anforderungen an den Brandschutz, die Fluchtwege, die Beleuchtung, die Klimatisierung, die Statik und vieles mehr. Auf den Internetseiten der verschiedenen Messen finden sich dazu umfangreiche PDF-Dokumente, in denen alles haarklein geregelt ist – gar ob und wie eine so neumodische Erscheinung wie ein Ethanolkamin betrieben werden darf. Die feinen Unterschiede rühren daher, dass das Baurecht in Deutschland Ländersache ist.
Bauzeitenplan mit Stundentakt
Die Messegesellschaften regeln auch, wie viele Tage vor Messebeginn mit den Aufbauarbeiten begonnen werden darf. In Frankfurt sind es beispielsweise meist nur fünf Tage, in denen ein Stand von mehreren Hundert bis TausendQuadratmetern bis hin zur Blume in der Vase fertig werden muss. Das lässt den Druck erahnen, der auf allen Beteiligtenlastet. So nimmt es auch nicht wunder, dass Termine von allen sehr ernst genommen werden, sich jeder auf jedenverlassen können muss und nichts verschoben werden kann. Der Bauzeitenplan ist nicht mehr – wie im Hochbau – nach Kalenderwochen getaktet, sondern nach Stunden. Jeder weiß, dass es auf ihn und seine Arbeit ankommt. Die Messe öffnet am Tag X ihre Pforten und der Stand hat fertig zu sein – koste es, was es wolle. Dieser extreme Zeitdruck bringt es mit sich, dass im Messebau sehr viel vorgefertigt wird oder sich das Unternehmen gleich zu Beginn vom Planer ein modulares System entwickeln lässt. Dieses kann dann im großen Rahmen auf den A-Messen und in kleinerer Variante auf den B-Messen aufgebaut und oft mehrere Jahre verwendet werden. Ein solches System darf aber nicht dröge wirken.
Eine andere und seltenere Variante, um das Geschaffene länger zu nutzen, findet sich auf der diesjährigen Automesse IAA in Frankfurt. Statt mit einem Messestand ist Audi mit einem separaten Messegebäude vertreten, das über die IAA hinaus bis zum 16. Oktober im Rahmen einer Kooperation mit der Frankfurter Buchmesse geöffnet sein wird. Schmidhuber + Partner aus München haben dafür eine bestehende Halle so umbaut, dass davon fast nichts mehr zu sehen ist. Kurven und eine vierhundert Meter lange Teststrecke bestimmen den Raum und bringen dem Besucher nahe, wie er die Autos dieser Marke einstufen soll: als hochwertig, zukunftsweisend und dynamisch. Das Wort „dynamisch“ kennzeichnet die Planung und Realisierung jedes Messestands: Die einzelnen Phasen sind kurz, der Austausch mit den Auftraggebern ist rege und die Freiheiten für die Planer groß.
Simone Hübener ist Fachjournalistin für Architektur und Bauen in Stuttgart.