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Um Syrer werben

Wie wir uns Einwanderung zur Lust statt zur Last machen können, zeigt Doug Saunders’ Buch über Ankunftsstädte.

01.04.20164 Min. Kommentar schreiben
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Doug Saunders: ARRIVAL CITY. DIE NEUE ­VÖLKERWANDERUNG.Pantheon Verlag, München 2013, 572 S., 16,99 €

Text: Roland Stimpel

In 30 Jahren dürften wir froh sein über alle syrisch-stämmigen Altenpfleger und Tischlerinnen, deren Eltern wir jetzt in unser Land lassen. Doug Saunders hat die langfristigen Folgen von Überalterung und den Arbeitskräftemangel längst beschrieben: „Das wird viele Länder nicht nur zwingen, eine große Zahl von gering qualifizierten und angelernten Arbeitskräften aufzunehmen, man wird um diese Menschen auch noch konkurrieren müssen. Es ist gut möglich, dass die Länder Nordamerikas und Europas eine aktive Anwerbepolitik betreiben und sich keineswegs einer Flut entgegenstemmen müssen.“

Wie wir beim Integrieren Erfolg haben oder scheitern können und welche Räume es braucht – davon handelt Saunders’ Buch. Es ist fünf Jahre alt, doch gerade jetzt brandaktuell. Der weltkundige kanadische Publizist hat auf allen Kontinenten das besucht und analysiert, was er „Ankunftsstädte“ nennt: Viertel, in die Zuwanderer zie-hen – „geschäftige, unattraktive, improvisierte, schwierige Orte“: auf den ersten Außenblick schäbige, schmutzige Gegenden mit tristen Sozialstatistiken. Aber Saunders sieht hier „Gebiete, in denen sich der Abschied von der Armut vollzieht“.

In den Vorstädten von Chinas Megametropole Chongqing, im kanadischen Thorncliffe Park oder in London-Tower Hamlets ziehen Zuwanderer neben Zuwanderer, bilden und pflegen sie Netzwerke, finden Jobs, gründen kleine Firmen und bauen Häuser. Nach Jahren gehen viele in reichere, wohnlichere Gegenden. Ihren Platz nehmen neue, anfangs stets arme Zuwanderer ein. Darum bleibt die Ankunftsstadt scheinbar auf lange Zeit ein Elendsviertel. Doch tatsächlich ist gerade sie der Ort, an dem Menschen dieses Elend überwinden.

Es gibt aber Zuwanderer-Viertel, in denen das schlecht funktioniert. Saunders zeigt es am Beispiel französischer Hochhaus-Quartiere. „Die in den Ankunftsstädten ganz besonders wichtige Praxis, einen Laden oder irgendeine andere Art von Kleinunternehmen zu gründen, ist hier außerordentlich erschwert.“ Aber das kann man ändern .Wie aus einem monofunktionalen Wohngebiet eine funktionierende Ankunftsstadt werden kann, zeigt Amsterdam-Slotervaart. Es begann als reines Wohngebiet mit mäßiger Dichte und viel Grün. Irgendwann wurde es zum Einwanderer-Viertel, bot aber keinen Raum zur Entfaltung. Nach Gewaltexzessen beschloss die Stadt, es „zu einem Ort zu machen, der in den Augen eines Neuankömmlings gut aussah. Zonierungen und Nutzungsbeschränkungen wurden fast völlig aufgehoben. Gewerberecht und Zulassungsbestimmungen wurden gelockert. Anstelle der Grünflächen zwischen den Gebäuden sah man jetzt lärmige Marktplätze. Die radikalste Ecke der neuen Siedlung gleicht einem industriellen Lagerhausbezirk der 1920er-Jahre.“ Die Gartenstadt wurde scheinbar zum Vorstadt-Sumpf. Tatsächlich ist sie jetzt der Ort, an dem Integration und Aufstieg beginnen.

Das hätte schon vor vierzig Jahren auch Berlin-Kreuzberg sein können, wo sich Saunders ebenfalls gründlich umgesehen hat. Baulich stimmte alles. Aber Deutschland machte Migranten das Ankommen schwer: Es gab begrenzte Aufenthaltsrechte, Zuzugssperren, erschwerten Familiennachzug, hohe Hürden für legales Gewerbe und lange Zeit eine Nischen vernichtende Sanierung. So wurden auch integrationswillige Türken demotiviert. Das förderte Untergrundwirtschaft, islamischen Fundamentalismus, arrangierte Fern-Ehen und rückständige Sitten.

Jetzt würden wir alle Fehler wiederholen, wenn wir Syrern oder Eritreern das Arbeiten erschweren und sie in Wohncontainern und Großsiedlungen mit der Illusion parken, dass sie uns bald wieder verlassen. Viele werden trotzdem bleiben. Aber je gründlicher wir sie hier stilllegen, desto sicherer haben wir in zehn Jahren nicht integrierte Großgruppen, die unsere Ressourcen strapazieren, statt uns mit ihren zu bereichern.

Was wir tun sollten, zeigt zum Beispiel eine Berliner Gruppe um die Professoren Günter Faltin und Hans-Walter Forkel sowie den Journalisten Detlef Gürtler. Sie wollen in Deutschlands größter Flüchtlingsunterkunft auf dem einstigen Flughafen Tempelhof ein Gründerzentrum einrichten, denn „dort gibt es Angebot und Nachfrage, eine kritische Masse an Flüchtlingen, verfügbare Gewerbeflächen für die Einrichtung selbst wie für entstehende Start-ups, dort sind die Wege zur Mehrheitsgesellschaft ebenso kurz wie zu Migrations-Soziotopen“.

Das Schwierigste dürfte aber sein, deutsche Gewerbeämter, Gewerkschaften und Abmahn-Anwälte draußen zu halten. Wir sollten Ankunftsstädte fördern und in ihnen das Wuseln und Wuchern zulassen, das sie brauchen. Doug Saunders macht uns Mut mit einem Versprechen: „Ankunftsstädte sind die Orte, an denen sich der nächste große Wirtschafts- und Kulturboom ereignen wird.“

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