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Text: Petra Bohnenberger
Anfang der 1970er-Jahre entstand im Auftrag der Deutschen Bundesbahn ein Eisenbahnerhaus an der Güterstraße in Pforzheim. Mit seiner gleichmäßigen Fassade über acht Wohngeschosse und kleinen vorgehängten Balkonen entsprach es der damaligen Architekturauffassung. Das Erdgeschoss beherbergte unterschiedliche Ladengeschäfte mit häufig wechselnden Betreibern, zum Schluss herrschte lange Leerstand.
40 Jahre später war die Bausubstanz noch durchaus solide, doch zeigten sich an anderer Stelle gravierende Mängel: Die Fassade war stark verschmutzt, die Wärmedämmung unzureichend und der Energieverbrauch hoch: Beheizt wurden die Wohnungen mit elektrischen Nachtspeicheröfen, die Warmwasserbereitung erfolgte über Boiler in den Wohnungen. Außerdem waren Fenster undicht und Schallschutz fehlte; auch die Bäder waren auf einem nicht mehr akzeptablen Stand.
Demgegenüber stand und steht eine hohe Wohnqualität durch die zentrumsnahe Lage mit zugleich weitem Blick über die Stadt bis hin zum Schwarzwald. Die Wohnungen waren mit etwa 90 Quadratmetern für die Verhältnisse der Bauzeit groß und die Grundriss-Struktur funktioniert aus heutiger Sicht immer noch gut – abgesehen von den winzigen Balkonen. All das und die in der Bausubstanz enthaltene graue Energie sprachen unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit gegen einen Abriss. So entschied sich die neue Eigentümerin des Hauses, die städtische Wohnungsbaugesellschaft Pforzheimer Bau und Grund, in Zusammenarbeit mit Freivogel Mayer Architekten aus Ludwigsburg zu einer großen Sanierung inklusive Aufstockung mit einem Penthouse-Geschoss. Zur Finanzierung reichte der Bauherr das Gebäude beim Wettbewerb „zukunft haus“ der Deutschen Energie-Agentur (dena) ein. Damit begann auch die Zusammenarbeit mit dem Unternehmen Transsolar für den Bereich Energie-Engineering und dem Ingenieurbüro IGP für die technische Gebäudeausrüstung. Aus insgesamt 400 Bewerbungen wurde das Hochhaus als eines von 20 Projekten zur Förderung ausgewählt.
Aufgrund seiner Lage – nur durch eine Straße von den Gleisen des Pforzheimer Hauptbahnhofes getrennt – bildet das Gebäude den Beginn der Nordstadt, die in den kommenden Jahren ebenfalls erneuert und umstrukturiert werden soll. So stand neben einer Sanierung auch der Wunsch im Vordergrund, eine Marke im städtischen Raum zu bilden, nicht nur als Aufbruch in ein neues energetisches Zeitalter, sondern auch in ein neu gestaltetes Stadtgebiet.
Abgesehen von kleinen Renovierungsarbeiten durch die Mieter befand sich das Gebäude zu Beginn der Planungen noch im Originalzustand. Während der 18-monatigen Bauphase war das Gebäude bewohnt. Um die Belastung der Mieter durch Baulärm und Schmutz so gering wie möglich zu halten, arbeiteten die Architekten in hohem Maß mit vorproduzierten Fertigteilen. Die alte Fassade wurde zurückgebaut, die vorgehängten Balkone wurden abgebrochen und durch einen fast die gesamte Gebäudelänge einnehmenden Loggia-Teil ersetzt. Die Außenwände bekamen neben einer 30 Zentimeter dicken Dämmschicht auch eine hinterlüftete Hülle aus cremefarbenen, zehn Zentimeter dicken Betonwerksteinelementen. Erst nachdem die moderne Verkleidung am Gebäude angebracht und die neuen Fenster eingesetzt waren, konnten die Arbeiter mit dem Ausbau der alten Fenster und dem teilweisen Abbruch der Brüstungen beginnen.
Im kontrastreichen Wechselspiel mit anthrazitfarbenen Eternitplatten in den Loggien ergibt sich eine schöne Tiefenwirkung der Lochfassade. Weil die bestehende Baukonstruktion die zusätzliche Last der neuen Wandverkleidung und der Loggien nicht aufnehmen konnte, mussten die Fundamente erweitert und die Fassadenelemente aufeinandergestapelt werden. Dabei war es notwendig, jede einzelne Platte an die örtlichen Gegebenheiten anzupassen. Maßarbeit verlangte auch die Fassade selbst. Die neuen Holz-Alu-Fenster ließen sich nicht en gros produzieren. Jede Öffnung musste einzeln vermessen und die Fenster passgenau angefertigt werden. Durch die vorgesetzten Loggien entstand im Erdgeschoss ein Arkadengang als Eingang zu den Räumen der Kfz-Zulassung des Pforzheimer Landratsamts als neuem Nutzer. Die Aufstockung mit dem neunten Geschoss und der hohe Attikarand des Daches verleihen dem Gebäude nun eine wesentlich gefälligere Proportion. Die beiden Loftwohnungen bestechen mit hellen Räumen, großen Fensterflächen und hochwertigen Materialien. In den Bestandswohnungen ersetzten die Planer die Nachtspeicheröfen durch nur vier Zentimeter starke Heiz-Kühldecken-Elemente. Die Warmwasserversorgung erfolgt nun zentral. Auch die Bäder wurden Schritt für Schritt saniert.
Mit der vorgesetzten Fassade konnte der ursprüngliche Jahresheizwärmebedarf von fast 200 kWh/m²a auf nunmehr lediglich 12 kWh/m²a reduziert werden. Dieser geringe Bedarf wird durch eine Kombination aus unterschiedlichen regenerativen Energien – Solarabsorber, Eisspeicher, Wärmepumpe, Photovoltaik und Windkraftanlage – gedeckt. Im geschlossenen Teil der Südfassade befinden sich in den Fertigelementen auf 92 Quadratmetern integrierte Wärmeabsorber. Sie geben ihre Energie in einen unter einem Parkplatz befindlichen Eisspeicher ab. Dort wird die Wärmeenergie zwischengespeichert und bei Bedarf von zwei Wärmepumpen in die Warmwasserspeicher der Niedertemperaturheizung geleitet.
Eisspeicher arbeiten mit unterschiedlichen Aggregatzuständen von Wasser. Um Eis zu Wasser aufzutauen, muss Wärme zugeführt werden. Umgekehrt bedeutet dies: Wenn Wasser zu Eis gefriert, wird Wärme frei – und diese latente Wärme lässt sich nutzen. Dem Wasser im Eisspeicher kann so lange Energie entzogen werden, bis es komplett durchgefroren ist. Jedoch leiten sowohl die Betonwand des Speichertanks als auch die Erdwärme zusätzlich zu den Solarabsorbern Wärmeenergie in den Speicher, was dem Vereisungsprozess entgegenwirkt. Photovoltaikelemente und eine Kleinwindkraftanlage auf dem Dach erzeugen den Strom, der für den Betrieb der Wärmepumpen benötigt wird.
Im Oktober 2015 wurde das Gebäude mit dem Deutschen Architekturpreis ausgezeichnet. In der Jurybegründung hieß es dazu: „Alles ist gelungen: attraktives, städtisches Wohnen, regenerative Energieerzeugung, Nachverdichtung – und auch Gestaltungsqualität.“ Ende November verlieh die Stiftung Deutscher Nachhaltigkeitspreis e. V. und die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen dem Projekt auch den renommierten DGNB-Preis „Nachhaltiges Bauen“. Überzeugt hat die Jury neben energetischen und ästhetischen Aspekten auch die soziale Nachhaltigkeit. Nach der Sanierung wurden die Mieten moderat angepasst. Für die Bewohner bedeutete dies jedoch kaum eine finanzielle Mehrbelastung, da sich die Energiekosten so drastisch reduziert haben.
Petra Bohnenberger ist Architektin und freie Autorin. Sie lebt und arbeitet in Reutlingen
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