So wird die Not zur Tugend: Auf der dünnen Erdschicht über dem Autotunnel sind keine tief wurzelnden Bäume oder schweren Aufbauten möglich.
Von René Hornung
Betritt man den Garten des Naturmuseums St. Gallen, findet man sich zwischen grünlichen Sandsteinschroppen und Findlingen auf unterschiedlichen Trittsteinen wieder. Die einen sind gewohnt glatte Betonplatten, andere zeigen Strukturen, die an Fußmatten erinnern, Dritte gleichen natürlichem Nagelfluh-gestein. Dazwischen geheimnisvolle Spuren: Sind es Fossilien? Pflanzenabdrücke? Knochen oder Dinosaurieraugen? Sind das wirklich Versteinerungen aus längst vergangenen Zeiten? In die einzelnen Betonplatten sind Begriffe eingemeißelt, die neugierig machen: Superkontinent, Tropisches Meer, Ultrahelveticum, Metamorphose, Holozän …
Der Entwurf der Zürcher Landschaftsarchitektin Robin Winogrond und ihres Studios Vulkan (Zürich und München) spielt bewusst mit der Wahrnehmung und folgt zugleich klaren Strukturen. Sie habe, so erklärt die in den USA aufgewachsene Landschaftsarchitektin, als Jugendliche viele große Naturmuseen besucht. Sie habe sich aber nie merken können, welches geologische Zeitalter wie viele Zigtausend oder Millionen Jahre zurückliegt. Deshalb habe sie ihren Entwurf in ein Narrativ der drei für die Region wichtigsten geologischen Epochen strukturiert: die Molasse-, die Kreide- und die letzte Eiszeit. In der Molassezeit mit ihrem subtropischen Klima, mit Palmen, Haifischen und Dinosauriern, entstand das in der Umgebung häufig anzutreffende Nagelfluhgestein. Der Kreidezeit mit der Alpenfaltung verdankt die Region den Sandstein als traditionellen Baustoff und Kulturgut. Schließlich hat die letzte Eiszeit auf dem Rücken der schmelzenden Gletscher die großen Findlinge zurückgelassen. Die eingemeißelten Begriffe stehen für diese Zeitepochen.
Gegensatzpaare
Die Erzählung entlang des Zeitstrahls ist noch weiter strukturiert, in Gegensatzpaare. Schon am Haupteingang des Museums werden sie pflanzlich inszeniert. Dort stehen zwei Ginkgobäume, die aussehen wie Laubbäume, aber mit den Nadelbäumen verwandt sind. Daneben eine Lärche – ein Nadel-, der seine Nadeln im Winter verliert wie ein Laubbaum.
Der zweite Gegensatz ist der zwischen Nagelfluhgestein und Beton. Einzelne Betonplatten wurden beim Gießen mit Dränmatten und Jute bearbeitet, andere sind vom Steinmetz behauen und verformt. So entstanden unterschiedlichste Oberflächen. Und es gibt Platten mit poetischen oder wissenschaftlichen Botschaften: An der Abgrenzungsmauer zur benachbarten Kirche erinnert ein Bibelzitat an die Erzählung von der Er-schaffung der Erde, Max Planck kommt als Vermittler zu Wort – „Die Naturwissenschaften braucht der Mensch zum Erkennen, den Glauben zum Handeln“ – und schließlich wird neben dem Museum Darwin zitiert: „Nichts im Leben ist beständiger als der Wandel.“
Die Landschaftsarchitektin thematisiert auch übergeordnete Strukturen. „Der Standort ist exemplarisch für das Paradoxon der Schweizer Landschaft: Infrastrukturen, Stadtrandgebiete und ländliche Idylle sind engmaschig verwoben“, stellt Robin Winogrond fest, „und Begriffe wie Natur oder Landschaft tragen keine eindeutigen Inhalte mehr.“ Das Projekt zieht daraus gestalterische Konsequenzen, zeigt diese Widersprüche bewusst und will die Besucherinnen und Besucher vom Verkehrslärm ablenken und sie in eine träumerische Welt hineinführen.
Herausforderung Infrastruktur
Dabei waren die bestehenden Strukturen eine Herausforderung, denn der Museumsgarten liegt auf dem Deckel einer Autobahn. Das machte einige konzeptionelle Anpassungen nötig, zahlreiche Hürden waren zu überwinden. Die Autobahn entstand in den 1970er-Jahren im Tagebau. Der Einschnitt wurde mit einem Betongewölbe zugedeckt, darüber liegen ein knapper Meter Lehmboden und eine minimale Humusschicht. Von Anfang an war klar, dass hier keine tief wurzelnden Bäume und keine schweren Lasten möglich sind. Beim Bepflanzungskonzept redete das Schweizerische Bundesamt für Straßen mit; und es erließ mitten in der Detailplanung verschärfte Sicherheitsvorschriften und 22 zusätzliche Auflagen. Die Gewichte über den seitlichen Auflagern der Überdeckung durften sich nicht verschieben und die bestehende Humusdecke durfte nur zwanzig Zentimeter weit abgetragen werden. Trotzdem konnte das Grundkonzept beibehalten werden.
Zur Straße und zum Nachbargrundstück ist der Garten mit dichten Buchenhecken abgegrenzt. Die Sichtachse zwischen Museum und Kirche über eine Blumenwiese bleibt frei. Gefasst ist der Raum von Hainbuchen. Dazwischen wachsen Stauden, Farne, Efeustämme und exotische Hortensien. Letztere sind typische Zierpflanzen, „die für das Paradoxe des Ortes stehen“, kommentiert Robin Winogrond.
Vor der Museumsfassade stehen zwei markante Sumpfzypressen, wie sie in der Epoche des tropischen Meers hier wohl gewachsen sind. Und beim Außenplatz des Museumscafés wachsen zwei Felsenbirnen in unterschiedlichen Formen. Sie zeigen die Transformationskräfte der Natur. Der Garten blüht im Sommer überwiegend weiß. So will er „ein abstrakter Ort der Reflexion bleiben“, erklärt die Landschaftsarchitektin. Im Herbst wird er dann vielfarbig.
Für die entdeckungsfreudigen Kinder und Jugendlichen, die zu einem wichtigen Besuchersegment des Naturmuseums gehören, sind die vielen Bezüge wohl eine Überforderung. Doch für die Jugend gibt es trotzdem viel zu entdecken. In der durchwachsenen Steinlandschaft sind Kapitelle und Ziersteine – Zeugen der kulturellen Bedeutung des Sandsteins – versteckt. Sie zu suchen, heißt, die vorgegebenen Wege zu verlassen. Auch können Wasserproben aus dem Forschungsteich im Museum unter dem Mikroskop untersucht werden. Gegen herkömmliche Spielgeräte hatte sich die Landschaftsarchitektin ausdrücklich ausgesprochen, „denn Natur entdecken die Kinder nicht auf Schaukelpferden“.
Inzwischen hat der Garten einen langen, heißen Sommer hinter sich, währenddessen der Bewuchs ihn in eine abwechslungsreiche grüne Landschaft verwandelt hat. Die Natur hat die anfänglichen Bedenken der örtlichen Naturschützer weggewischt. Diese hatten in Leserbriefen gegen die „Steinwüste“ mit „trivialem Einheitsbrei“ polemisiert. Dagegen hat sich die Landschaftsarchitektin Robin Winogrond vehement gewehrt: „Ein zu hundert Prozent naturnaher Garten war nie geplant.“ Den wollten auch die Auftraggeber nicht, betont der St. Galler Stadtbaumeister Hansueli Rechsteiner, der sowohl Biologie als auch Architektur studiert hat: „Es ging hier nicht nur um Biodiversität und nicht um die Darstellung reiner Natur auf einem Autobahndach, sondern um die Inszenierung eines künstlichen Naturraums mit unterschiedlichsten Vermittlungsinhalten.“
Dass dies der Garten schafft, lobte auch die Jury von „Die Besten 2018“, einem Preis, den die Schweizer Fachzeitschrift „Hochparterre“ vergibt. Sie zeichnete ihn im Dezember mit dem zweiten Platz aus.
Mehr Beiträge zum Thema finden Sie in unserem Schwerpunkt Infrastruktur
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