Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Bauen im Kreislauf“ im Deutschen Architektenblatt 01.2022 erschienen.
Sind die knapper werdenden Rohstoffe und die steigenden Materialpreise, gepaart mit dem gestiegenen Bewusstsein für Klimaneutralität und Nachhaltigkeit jetzt die Chance, dem kreislauffähigen Bauen Schwung zu verleihen? Eine „Bauwende“ ist jedenfalls nötig und durchaus auch möglich, doch in der Praxis herrscht Zurückhaltung. Das hat verschiedene Gründe: Zu aufwendig in der Planung, zu teuer und solange verpflichtende Regelungen fehlen, wird im Großen und Ganzen so weitergebaut bis bisher. Bis sich eine rundum funktionierende Kreislaufwirtschaft etabliert hat, wird es noch Jahre dauern. Doch schon jetzt bekommt die Bauwirtschaft den Rohstoffmangel zu spüren; und dank des hierzulande seit 2012 geltenden Kreislaufwirtschaftsgesetzes sind die Kosten für Bauabfälle deutlich gestiegen und die Zahl der Deponien ist stark gesunken.
Bisher vor allem Downcycling
Im Fall von Abbruch und Neubau ist es daher durchaus üblich, dass Abbruchunternehmer Schredderanlagen auf dem Grundstück aufbauen, um beispielsweise Beton und Ziegel für die Baugrundherstellung aufzubereiten. „Das ist zwar ein Downcycling, aber immerhin ein Weg, um Sand und Kies einzusparen“, sagt Ute Dechantsreiter. Die Architektin aus Bremen blickt in Sachen Abfallvermeidung auf eine 30-jährige Erfahrung zurück. Unter anderem hat sie 2001 die Bauteilbörse Bremen mitgegründet, an mehreren Forschungsprojekten mitgewirkt und stellt ihr Know-how inzwischen als Fachplanerin für die Erarbeitung nachhaltiger Konzepte zur Abfallvermeidung und des Ressourcenschutzes im Bauwesen zur Verfügung. Die Fachplanung sieht sie als Schnittstelle zum Architekten.
Ist ein Abbruch zu organisieren, berät Ute Dechantsreiter zur Rückbauplanung mit dem Ziel, dass möglichst wenig Abfall anfällt. Im Zuge dessen wird auch der Wiedereinbau gebrauchter Bauteile geprüft und organisiert. Eine adäquate Aufgabe hatte sie auch bei dem von der KfW und der Deutschen Bundesstiftung Umwelt als Modellprojekt geförderten Neubau der Stadtwerke Neustadt in Holstein. Ute Dechantsreiter war in der ersten Phase Projektleiterin für die Erarbeitung und Begleitung des Materialkonzeptes und die Beschaffung und Bilanzierung von Material zuständig.
Stadtwerke Neustadt Holstein: Die Fassade aus alten Eichenholzbrettern ... (Klicken für mehr Bilder)
Stadtwerke Neustadt Holstein: Re-Use innen und außen
In dem 2018 fertiggestellten Verwaltungsgebäude finden sich eine ganze Reihe gebrauchter Materialien: Teppichböden aus alten Fischernetzen, Restbestände von Badfliesen, Bodendämmung aus recyceltem Glas. Das Gros aber machen die Bürotrennwände sowie die Fassade aus altem Eichenholz aus. Geplant wurde der Neubau von Prof. Ingo Lütkemeyer und Mathias Salbeck von IBUS Architekten, die Bauleitung hatten Rissmann & Spieß Architekten inne. Kurz gefasst, gliedert sich das Projekt mit der Verwaltung, den Werkstätten und der Fahrzeughalle funktionsbezogen in drei Einheiten, die sich als Einzelgebäude um einen zentralen Betriebshof gruppieren.
Gebrauchte Bauteile verlieren bauaufsichtliche Zulassung
Im Verwaltungstrakt stellten sich zunächst Brandschutzfragen, denn Bauteile verlieren nach dem Ausbau ihre bauaufsichtliche Zulassung. Um dennoch die Bürotrennwände einsetzen zu können, durfte es keine Brandschutzanforderungen geben. „Deshalb haben wir das Verwaltungsgebäude in zwei Nutzungseinheiten mit einer Fläche kleiner 400 Quadratmeter eingeteilt“, erklärt Ingo Lütkemeyer. Zugleich wird an diesem Beispiel deutlich: Der Einsatz gebrauchter Bauteile setzt eine sehr vorausschauende Planung voraus, die lange flexibel bleiben muss.
Frühe Detailplanung nötig
Cityförster Architekten sind bei ihrem Recyclinghaus in Hannover ebenso vorgegangen (Ebenfalls auf DABonline finden Sie einen detailreichen Bericht über das Recyclinghaus Hannover mit vielen überraschenden Vorher-Nachher-Fotos der Bauteile). Nils Nolting von Cityförster Architekten sagt: „Wir haben auch spätere Leistungsphasen vorgezogen, sodass wir in Teilbereichen des Gebäudes sehr früh in die Detailplanung gegangen sind.“ Zum Beispiel musste die Elementplanung des Holzrohbaus an die Maße der gebrauchten Fenster angepasst werden. Außerdem waren die Fenstergrößen auf die Maße der Profilbaugläser abzustimmen, die man für die Fassade einsetzen wollte. „Das alles zusammenzubringen, führt zu Details, die frühzeitig entsprechende Entwurfsstrategien erfordern. Diese Kultur des offenen Entwerfens war für uns jedoch eine wertvolle Erfahrung“, resümiert Nils Nolting.
Anforderungen an gebrauchte Bauteile niedrig halten
Der Verlust der bauaufsichtlichen Zulassung macht die Wiederverwendung gebrauchter Bauteile aufgrund der höheren Anforderungen bei größeren Gebäuden schwierig. Eine Möglichkeit, dem entgegenzusteuern, ist, die Anforderungen an die Bauteile möglichst niedrig zu halten oder idealerweise zulassungsfreie Bauteile zu verwenden. Ute Dechantsreiter sagt: „Das ist alles eine Frage der guten Vorbereitung und Einbeziehung der Hersteller.“ So ließ sich bei den erst zehn Jahre alten Bürotrennwänden für die Stadtwerke Neustadt nach Rücksprache mit dem Hersteller der Trennwandelemente, der in diesen Fall bekannt war, nur durch den Austausch der Gummidichtungen der gewünschte Schallschutz wieder erreichen.
Ein weiterer Knackpunkt beim Einsatz gebrauchter Bauteile ist deren Schadstofffreiheit. Je nach Alter und Material der Bauteile ist eventuell eine Prüfung im Labor erforderlich. „Wesentlich ist, dass schadstofffreie Bauteile eingebaut werden und gegebenenfalls ein entsprechender Nachweis vorgelegt werden kann“, sagt Ingo Lütkemeyer.
Gebrauchte Bauteile: Ausschreibung und Vergabe
Auch Ausschreibung und Vergabe unterscheiden sich bei der Verwendung gebrauchter Bauteile vom herkömmlichen Prozedere. Handelt es sich um öffentliche Auftraggeber, wie bei den Stadtwerken Neustadt, gilt das Vergaberecht für öffentliche Ausschreibungen mit all den damit verbundenen Restriktionen. „Vor allem das anonyme Verfahren stellt aufgrund der fehlenden Kommunikation mit den ausführenden Firmen eine Herausforderung dar“, so Ingo Lütkemeyer.
Beim Recyclinghaus in Hannover waren die Rahmenbedingungen günstiger. Auftraggeber war das Wohnungsbauunternehmen Gundlach Bau und Immobilien. Das Leuchtturmprojekt sollte das maximal Mögliche zeigen, um später einzelne Strategien auf andere Bauvorhaben zu übertragen. Dadurch konnten die Bauleistungen in Form der freihändigen Vergabe erfolgen. „Bei Verwendung gebrauchter Bauteile wäre eine wettbewerbsmäßige Ausschreibung für uns und auch für die ausführenden Firmen praktisch kaum möglich gewesen“, sagt Nils Nolting.
Ein Beispiel: Für den Einbau der verschiedenen gebrauchten Fassadenbekleidungen erstellten die Architekten eine umfassende Leistungsbeschreibung, die unter anderem neben detaillierten Angaben zum Ausbau, der Überarbeitung und der Zwischenlagerung auch eine Vielzahl von Bedarfs- und Alternativpositionen enthielt. Unsicherheiten wurden in der textlichen Planung also bereits berücksichtigt. So ließen sich im Zuge der Ausschreibungsphase auch die Kosten recht gut abschätzen.
Insgesamt waren die Architekten mit allen ausführenden Firmen und besonders auch denjenigen, die „nur“ die gebrauchten Bauteile ohne eigene Materiallieferung einbauten, sehr zufrieden. „Alle Firmen hatten ein großes Interesse, das Projekt erfolgreich zu beenden, und aufgrund des unüblichen Planungsablaufs hatten wir von vornherein auch ein enges Verhältnis“, fasst Nils Nolting zusammen.
Honorar: Mehr als Grundleistungen
Und wie verhält es sich mit dem Honorar? Die Leistungen, wie die Suche nach gebrauchten Bauteilen, die Sicherstellung der geforderten Materialeigenschaften, die ganz andere Entwurfsstrategie der Planung, die aufwendige Ausschreibung und Vergabe sind mit den herkömmlichen HOAI-Leistungen nicht wiedergegeben. Bei den Stadtwerken Neustadt wurde der Mehraufwand durch die Fördermittel abgedeckt, beim Recyclinghaus in Hannover haben Cityförster Architekten die „Besonderen Leistungen“ der HOAI in Ansatz gebracht.
Das setzte für die Erstellung des Honorarangebotes gründliche Überlegungen bezüglich der über die Grundleistungen hinausgehenden Arbeiten voraus. „Vieles wurde auch nach Aufwand abgerechnet, es gab zudem Wiederholungen der Leistungen, weil Teile des Gebäudes zweimal entworfen werden mussten. Wirtschaftlich betrachtet, kann sich das für den Bauherrn aber trotzdem lohnen, da die Umweltfolgekosten deutlich niedriger sind“, erklärt Nils Nolting.
Rückbaufähigkeit von Massivbau und Holzbau
Beim Recyclinghaus in Hannover und bei den Stadtwerken Neustadt hatte der Einsatz gebrauchter Bauteile Priorität (also „Re-Use“). Im zweiten Schritt wurden möglichst viele Recyclingbaustoffe eingesetzt. Das Hauptaugenmerk sollte jedoch generell darauf ausgerichtet sein, langlebige Materialien und Konstruktionen zu wählen, die am Ende rückbaufähig und wiederverwendbar sind. Am Lehrstuhl für Holzbau und Baukonstruktion an der TU München wurde daher in verschiedenen Forschungsprojekten die Trennbarkeit und die weitere Verwertbarkeit üblicher Konstruktionen untersucht.
Demnach können Gebäude in Massivbauweise, so wie sie heute gebaut werden, aufgrund ihrer nicht lösbaren Verbindungen nur recycelt, die Bauteile und Baustoffe also nicht direkt wiederverwendet werden. Der Holzbau tut sich hier leichter, da es sich um eine vorgefertigte und bereits stark elementierte Bauweise handelt. Doch es gibt Unterschiede: Stephan Ott, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Holzbau und Baukonstruktion an der TU München, erläutert: „Die Holzmassivbauweise besitzt eine relativ gute Wiederverwertbarkeit und ist zum Teil gut wiederverwendbar. Die Verbindungen sind gut lösbar und die Bekleidungen, die Dämmung etc. sind als Baustoffe wieder nutzbar.
Fügetechniken entscheidend: schrauben, kleben, klammern
Bei der Holzrahmenbauweise entsteht dagegen durch die vielschichtig aufgebauten Elemente oft ein Rückbauproblem.“ Entscheidend für den Rückbau sind demnach die Fügetechniken. Das Ziel ist, das gesamte Bauteil wiederzuverwenden. Die Verklebung der Holzwerkstoffe an sich spielt praktisch keine Rolle, auch Verklebungen gleicher Materialien sind weniger problematisch als heterogene Materialmixe. Bei den Bauteilverbindungen handelt es sich heute größtenteils um lösbare Verschraubungen. Schwer lösbar sind jedoch geklammerte Verbindungen innerhalb von Bauteilen. „Sie sollten zukünftig durch Alternativen ersetzt werden, zum Beispiel durch Holznägel“, so Stephan Ott.
Beton mit Holz verschraubt statt vergossen
Um die Rückbaubarkeit des Neubaus der Stadtwerke Neustadt sicherzustellen, setzten IBUS Architekten auf eine einfach aufgebaute und materialsparende Holzkonstruktion aus Brettsperrholz mit untereinander verschraubten Bauteilen. Mit den zwölf Zentimeter dicken und unterspannten Brettsperrholzplatten ließ sich eine Spannweite von 14 Metern erreichen. Für die Decken wurde eine Holzbeton-Verbund-Lösung gewählt. Doch statt der üblicherweise mit Frischbeton vergossenen Bauweise wurden hier Betonfertigteile mit den Holzbalken der Decke verschraubt. „Die Konstruktion ist bauaufsichtlich zugelassen und statisch bewertet, sodass die Holz-Beton-Verbundwirkung in die statische Berechnung einfließen konnte“, erläutert Ingo Lütkemeyer. Gleichzeitig bietet die Konstruktion einen guten Schallschutz sowie eine gute thermische Speicherfähigkeit.
Kreislauffähiges Bauen auch im Bestand
Wie sich der Anspruch an kreislauffähiges Bauen im Bestand realisieren lässt, zeigen Allmann Sattler Wappner Architekten mit der Erweiterung in Form einer behutsamen Umgestaltung des Hotels „Der Öschberghof“ in Donaueschingen. Die Anlage aus den 1970er-Jahren prägten verschieden große, weiß gestrichene Satteldachhäuser mit einer dunklen Ziegeldeckung. „Um möglichst viel graue Energie zu sparen, war es uns wichtig, den Bestand weitestgehend zu erhalten und die zusätzlichen Nutzungen zu ergänzen“, bringt Alexandra Wagner, Partnerin bei Allmann Sattler Wappner Architekten, das Konzept auf den Punkt. Es wurden einzelne Nutzungseinheiten definiert, dafür wurde der Bestand in seiner Kubatur nur in Teilbereichen reduziert und durch weitere in Lage und Höhe gestaffelte Satteldachhäuser ergänzt.
Trennbare Materialien
Damit die Gebäude optisch verschmelzen, wurden Dächer und Fassaden mit einer Vorhangfassade bekleidet. Die Funktionstrennung der Schichten ermöglicht die Trennbarkeit der Materialien. „Wir sehen es auch als unsere Aufgabe als Architekten an, den Bauherrn von solchen Konstruktionen zu überzeugen“, sagt Alexandra Wagner. Die Bekleidung der Vorhangfassade besteht für die Bestandsgebäude aus lasiertem Fichtenholz, die neuen Bereiche sind mit Metall und Naturstein ausgeführt – alle Baustoffe sind leicht rückbaubar und wiederverwendbar. Der Leiter Fassadenplanung bei Allmann Sattler Wappner, Simon Köppl, ergänzt: „Die mehrfach gekanteten Metallkassetten-Bekleidungen wurden so geplant, dass mit nur drei unterschiedlichen und verschnittfreien Modulen eine hohe Varianz entstand.“
Verbaute Materialien werden digital dokumentiert
Damit spätere Generationen die Bauteile beurteilen und den Rückbau entsprechend kanalisieren können, ist eine digitale Dokumentation essenziell. „Diese digitale Kartografie sollte bereits ein Standard sein, ebenso die vollständige Einführung von Recyclingprozessen zur Rohstoffrückgewinnung“, spricht Simon Köppl nur zwei von derzeit noch viel zu vielen ungeklärten Aspekten bei der Umsetzung der Kreislaufwirtschaft im Bauwesen an. Die offenen Fragen vonseiten der Gesetzgebung sind dabei nur eine Seite der Medaille. Es müssen auch deutlich mehr Bauherren ein derart nachhaltiges Konzept für die Realisierung ihrer Bauvorhaben bestellen
Recycling und Cradle-to-Cradle online
- Hier finden Sie einen detailreichen Bericht über das Recyclinghaus Hannover mit vielen überraschenden Vorher-Nachher-Fotos der Bauteile
- eine Übersicht von Offline- und Online-Bauteilbörsen sowie unsere
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