Text: Roland Stimpel
Eigentlich müsste Stefan Forster jetzt glücklich sein. In vielen deutschen Städten belebt sich der Wohnungsbau. An seinem Bürositz Frankfurt gab es im vorigen Jahr sieben Prozent mehr Baugenehmigungen für Geschosswohnungen als 2011, in Berlin knapp 20 und in Hamburg sogar fast 30 Prozent. Damit wächst Stefan Forsters Markt: Er hat sich ganz dieser Bauaufgabe verschrieben. Lange interessierte sein Thema nur wenige; jetzt ist in aller Munde.
Aber Forster ist nicht sehr zufrieden – und trauert sogar ein bisschen der vergangenen Wohnungsbau-Flaute nach. „Da gibt es zwar insgesamt weniger Aufträge. Aber wenn Wohnungen nicht so gefragt sind, dann müssen Sie Qualität liefern. Jetzt dagegen lässt sich jede Wohnung verkaufen oder vermieten. Und das senkt das Niveau.“
Schlampigen Bauherren machen es viele Abnehmer allzu leicht. „Ich kenne Wohnungen für 4.000 Euro pro Quadratmeter, die die Leute blind kaufen. Der typische Erwerber so einer Wohnung ist Mitte 30, hat vielleicht 600.000 Euro geerbt, begnügt sich mit einer Baubeschreibung auf einem DIN-A4-Blatt und nimmt alles ab, was an der Oberfläche chic wirkt.“ Solches Verhalten verführe Planer und Bauherren zur Schlamperei. „Je teurer die Adresse, desto schlechter die Architektur“, hat Forster festgestellt. „Da baut man heute mit immens viel Geld die Sanierungsfälle von morgen.“ Nebenbei ärgern ihn die bizarren Honorare: „Oft verdient der Makler mit zwei Besichtigungsterminen mehr Provision als der Architekt für monatelange Planung.“
Hat der Makler eine teure Wohnung vom Plan weg verkauft, dann beginnt bei Erwerbern das große Individualisieren. „Solche Eigentumsprojekte sind für uns ein Horror. Die Arbeit ist wegen der ganzen Sonderwünsche extrem aufwendig und rechnet sich dann nicht.“ Halb ehrfürchtig und halb mitleidig sagt Forster: „Ich bewundere Kollegen, die sich mit privaten Kunden beschäftigen. Mein Ding ist es nicht, mit der Dame des Hauses über ihre ganz persönlichen Dinge zu sprechen.“ Auch Baugruppen und -gemeinschaften sind nicht seins. „Ich finde das zwar eine tolle Sache, dass es das gibt. Aber sie umfassen vielleicht ein Prozent des Marktes. Damit können wir keine Stadt bauen.“
Ein Grundriss ist gut, wenn er für alle taugt
Am Eigentumsmarkt verdrießen ihn auch die oft verlangten Grundrisse. „Überall diese oberflächlich schicke Offenheit, diese riesigen zentralen Wohn-Ess-Räume“, überall die nicht davon abgetrennten, oft ins dunkle Hausinnere gequetschten Küchen. „Und dann bringen diese Zentralräume immer den Zwang zur Begegnung, auch wenn man sich mal nicht sehen oder zeigen will.“ Er selbst hat keinen Drang, die Wohnwelt jedes Mal neu zu erfinden und individuelle Raumfolgen zum Fließen zu bringen. „Ein Grundriss ist gut, wenn er 90 Prozent der Bevölkerung bedienen kann. Simple Räume, simple Prinzipien.“ Da gehe nun mal nichts über den altbekannten Mittelflur, der am Ende ins schönste und größte Zimmer der Wohnung münde.
„Momentan interessieren sich viele aber gar nicht für Alltagsqualitäten“, klagt Forster. „Es herrscht eine Stimmung wie in den 70er-Jahren. In der Politik geht es doch jetzt nur noch darum, wer die meisten Wohnungen lostritt. Und wenn ausschließlich Geschwindigkeit gefragt ist, gerät die Qualität völlig aus dem Blick. Es gibt noch nicht einmal einen gültigen Begriff dafür, was Qualität überhaupt ausmacht.“ Der Trend zu Masse statt alltagsfreundlicher Klasse setze auch öffentliche Wohnungsunternehmen unter Druck. Verschärft werde dieser Druck noch durch den politischen Wunsch nach allem und jedem. „Das Haus muss natürlich der neuesten EnEV entsprechen, es soll barrierefrei sein, aber sparsame Grundrisse haben, und es soll bei allem natürlich preisgünstig sein. Und wenn wir sagen: ‚Das ist nicht zu schaffen‘, dann bekommen wir Architekten den Schwarzen Peter zugeschoben.“
Wünsche, Forderungen und Vorschriften, die den Wohnungsbau verteuern und Widersprüche erzeugen, kennt Forster im Übermaß. „Momentan regt mich am stärksten die Barrierefreiheit auf. Alle reden nur noch von demografischem Wandel; das hat sich zu einer deutschen Krankheit ausgewachsen. Da soll plötzlich ins Treppenhaus ein zweiter Handlauf, den bisher keiner vermisst hat. Vor der Wohnungstür soll es mehr Bewegungsfläche geben und in der Wohnung natürlich auch. Jedes potenzielle Schlafzimmer soll so dimensioniert sein, dass man mit dem Rollstuhl ans Bett kommt.“ Brüstungen sollen niedrig sein, damit sitzende Senioren über sie schauen können. Dagegen hat Forster nichts. Aber gleichzeitig sollen Brüstungen hoch sein, damit kleine Kinder nicht auf die Fensterbank klettern und hinausfallen können. „Dabei würden sie gar nicht klettern, wenn sie auch so hinausgucken könnten.“
Auch manche jetzt auftretende Groß-Bauherren behagen ihm nicht – Pensionskassen und Versicherungen zum Beispiel. „Wir Architekten bekommen es da mit Controllern zu tun, für die alles und jedes nur eine Rechengröße ist. Wenn Sie da so etwas Harmloses wie einen anständig verklinkerten Gebäudesockel vorschlagen, dann gucken die Sie an, als würden Sie goldene Wasserhähne planen.“
Ihn stört der allein auf Zahlen verengte Blick, aber nicht das Rechnen an sich. Da ist auch er scharf und pingelig. „Es gibt keine Größe, die so wichtig ist wie das Verhältnis der Wohnfläche zur Bruttogeschossfläche.“ 80 Prozent sind normal. „Aber wir erschließen exakt nach Richtlinien, machen keinen Millimeter mehr, und schaffen 83 Prozent. Sogar bei dicken Passivhaus-Wänden.“ Ein paar Quadratmeter weniger Fläche im Treppenhaus, dafür ein paar Meter vermietbarer Wohnraum mehr, das klingt nach Flächenschinderei. Aber es kann den Unterschied zwischen zwei und fünf Prozent Mietrendite ausmachen – und damit den zwischen unwirtschaftlich und rentabel.
Forster bezieht einen Gutteil seiner Befriedigung aus kaum sichtbaren Leistungen. Gern zitiert er den großen Wohnungsbauer Fritz Schumacher, der die Disziplin als „unscheinbarstes Gebiet des architektonischen Schaffens“ bezeichnet hat. Aber gerade ins Unscheinbare, so Schumacher und mit ihm auch Forster, gehöre „ein Hauch von Freudigkeit“. Bei aller Sparsamkeit in puncto Flächen und Kosten versieht er Wohnungen immer wieder mit großzügigen Loggien. Ganz einfach: „Wir nutzen die erlaubte Geschossfläche voll aus. Loggien werden da aber nicht einberechnet.“ Den privaten Freiraum für die Bewohner gibt es auf die zulässige Fläche obendrauf. Und Vermieter können sie bei der Mietfläche teilweise anrechnen. Zur kleinen Freudigkeit gehören für ihn gut gestaltete, gern verklinkerte Fassaden sowie Fahrrad- und Müllräume im Erdgeschoss statt im Keller. Oder auch Hauseingänge, die leicht von der Fassade zurückspringen, sodass man beim Herein- oder Herauskommen vor der Tür im Trockenen stehen kann. „Das macht etwas baulichen Aufwand, aber der hält sich in Grenzen.“ Und es lässt sich so machen, dass es nicht den vermietbaren Raum verkleinert.
Besondere Meriten hat sich Forster einst als Modernisierer ostdeutscher Plattenbauten erworben. Ein ganzes Quartier in Leinefelde hat er quasi neu erfunden und ist dafür vielfach preisgekrönt worden. Heute aber bekümmert ihn auch die Modernisierungs-Leidenschaft in Deutschland. „Oft sind es die Hütten nicht wert, dass man sie noch mal groß anpackt. Am Ende kostet die Modernisierung bis 1.400 Euro pro Quadratmeter, aber es bleibt ein Nachkriegsbau.“ In einem Würzburger Projekt hat er Abrisse durchgesetzt, in Mannheim-Schönau probiert er jetzt das Gleiche. Denn bei aller Neigung zu bewährten, konventionellen Grundrissen mag er nicht das Enge und Karge früherer Zeiten.
Früherer? „Momentan geht auch im Neubau die Entwicklung bei Wohnungsgrößen und Raumhöhen rückwärts.“ Es ärgert ihn da ein Drang zur schlechten Masse, aber nicht der massierte Wohnungsbau auf einem Fleck. „Preisgünstig bauen geht nur über hohe Stückzahlen, gleiche Teile, rationelle Fertigung.“ Aber was macht man, wenn dann auch im schlechten Sinn billige Architektur verlangt wird? Forster grinst: „Da kann man als Architekt oft nur Härte und Boshaftigkeit entgegensetzen.“ Genauer lässt er sich da nicht aus, deutet aber an: „80 Prozent meiner Zeit verbringe ich mit dem Reden über Geld.“ Immer wieder geht es um das Gleiche: „Bauherren wissen, dass es einen neuen Mercedes nicht für 10.000 Euro gibt. Aber vielen muss man klarmachen, dass sie auch gute Wohnungen nicht für wenig Geld bekommen.“
Qualität versucht er auch per Städtebau durchzusetzen. „Für ein Neubauquartier am Riedberg hier in Frankfurt haben wir gemeinsam mit dem Vermarkter ein Gestaltungshandbuch entwickelt. Da liegen jetzt Vorzonen, Fassadenmaterialien und der klassische Frankfurter Zaun an der Straßenkante fest“ – alles Dinge auf Erdgeschoss-Niveau. „Übers Wohlgefühl entscheidet, was auf Augenhöhe ist.“
Sein eigenes Wohlgefühl ist am größten bei ambitionierten Wohnungsunternehmen, die mit ihm auf Augenhöhe planen. Bevorzugte Bauherren sind kommunale Gesellschaften und Genossenschaften. „Da spürt man noch den sozialen Auftrag und eine enge Beziehung zum Produkt. Man kann noch mit Qualitätsvorstellungen durchkommen.“
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