Cornelia Dörries
„Bleibt das so?“ Der Bauleiter blickt sich um und nickt schwach. Ganz sicher ist er sich zwar nicht, doch theoretisch ist hier alles fertig. Der Vaterländische Saal im Neuen Museum wirkt kurz vor der Übergabe mit seinen malerisch maroden Wänden und den mürben, unverkleideten Sandsteinsäulen eher wie ein antikes Fragment und weniger wie ein frisch renovierter Raum eines mit 233 Millionen Euro wiederhergerichteten Altbaus.
Insofern kann der Bauleiter das verwirrte Staunen der Besucher sehr gut nachvollziehen; schließlich war selbst allen Architekten, Ingenieuren und Restauratoren auf der umstrittensten Baustelle Berlins nicht immer völlig klar, wo es noch Hand anzulegen galt und wo auf keinen Fall. An der Frage „Bleibt das so?“ entzündeten sich aber vor allem außerhalb des Bauzauns heftige Grabenkämpfe, insbesondere zwischen den Verteidigern des Entwurfs von David Chipperfield auf der einen Seite und den Anhängern eines originalgetreuen Wiederaufbaus auf der anderen Seite.
Während der britische Baumeister eine Konservierung der Ruine mitsamt den nachgelassenen Spuren von Krieg, Zerstörung und Verwitterung vorsieht und alle neu zu errichtenden Strukturen auch deutlich als modernen Ersatz verlorener Teile zu erkennen gibt, wünschen die Anwälte der historischen Rekonstruktion nichts weniger als eine Replik, die dem Ursprungsentwurf Friedrich August Stülers bis ins letzte Detail entsprechen sollte. Der Streit dürfte zu den Tagen der offenen Tür des Museums vom 6. bis 8. März erneut aufflammen.
In Chipperfield-freundlichen Feuilletons erscheinen die Traditionalisten, namentlich die Gesellschaft Historisches Berlin, als dumpfe, vergangenheitsselige Preußen-Nostalgiker, die so unbeirrbar wie hysterisch auf einer exakten Rekonstruktion des 1855 fertiggestellten Museumsgebäudes bestehen und mit albernen Kerzenmahnwachen für ihr Anliegen werben. Die Befürworter des Sanierungskonzepts hingegen berufen sich nicht weniger rechthaberisch auf akademische Denkmaltheorie und -praxis und verweisen auf die Ehrlichkeit, mit der David Chipperfield die historischen Brüche und Verluste zum integralen Bestandteil seiner Planungen werden lasse und die sie der anderen Seite gern absprechen. Einer Rekonstruktion erteilen sie mit dem Hinweis auf die unbedingt zu erhaltende Würde der Ruine eine Absage und lassen sich auch nicht vom Gewinn geglückter Wiederaufbauprojekte wie der Frauenkirche in Dresden beirren.
Beide Fraktionen kämpfen zuvorderst eine ideologische Schlacht, in der es um Deutungshoheit und Geschichtsbilder geht, um die Frage nach der architektonischen und städtebaulichen Lauterkeit von Rekonstruktionen und nicht zuletzt um das Bild der Stadt im 21. Jahrhundert. Bei der Gesellschaft Historisches Berlin blickt man mit einer Mischung aus Verständnis- und Fassungslosigkeit auf die jüngst enthüllte Außenfassade des Neuen Museums.
Gerhard Hoya, einer der Sprecher der Initiative und als Bauingenieur auch an technischen Details des Wiederaufbaus interessiert, kann nicht nachvollziehen, warum der Altbautrakt nicht wieder vollständig verputzt wurde und stattdessen ein lückenhafter Pastiche aus angeschwärzten historischen Fragmenten, partiell neu verputzten Flächen und rohem Ziegelmauerwerk entstand. Da eine Putzschicht weniger Zierde als vielmehr Schutz vor Frost und Feuchtigkeit darstellt, müssen die bloß liegenden Stellen der Fassade nun aufwendig mit chemischen Mitteln konserviert werden.
Wiederaufbau mit abstrakten Mitteln
Die Neuerungen im Inneren des Gebäudes erscheinen der Gesellschaft Historisches Berlin ebenso wenig nachvollziehbar, insbesondere die Deckenkonstruktion des zentralen Treppenhauses. Während Stüler auf damals höchst moderne, schlanke und leichte Eisenträger zurückgriff, entschied sich David Chipperfield für eine wuchtige, mittelalterlich anmutende Holzbalkendecke aus künstlich nachgedunkelter Kiefer. Auch die neue, sehr schlichte und explizit moderne Treppe mit ihren wandhohen Umfassungen aus hellem Betonwerkstein stellt für die Gesellschaft Historisches Berlin keinen akzeptablen Ersatz für den prunkvollen Aufgang von damals dar.
Da, wo ihre Mitglieder am liebsten die monumental-historistischen Wandgemälde von Wilhelm von Kaulbach wiedersehen würden, ragen jetzt mächtige, unverputzte Ziegelwände empor. Und ja, das bleibt so. Den Protagonisten des originalgetreuen Wiederaufbaus ist es letztlich unerklärlich, warum von der Rekonstruktion eines von allen geschätzten, in seiner architektonischen Qualität unstrittigen Gebäudes abgesehen und einem so gewagten baukünstlerischen Ansatz wie dem Entwurf Chipperfields der Zuschlag erteilt wird, zumal nicht nur zahlreiche Originalteile erhalten sind, sondern auch die alten Baupläne.
Für Gerhard Hoya ist dieser „Wiederaufbau mit abstrakten Mitteln“ Ausdruck einer bestimmten theoretischen Auffassung, die Verlorenes nicht zu ersetzen vorsieht und das von den Zeitläuften gezeichnete Rudiment, mithin auch beschädigte Bauteile, als Wert an sich behandelt. Und diese theoretische Auffassung, so Hoya, sei eben nur eine unter anderen.
Dass sich dieser denkmalpflegerische Ansatz durchsetzen konnte, beruht jedoch mitnichten auf geschmäcklerischen Entscheidungen der Sachwalter von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz oder den Staatlichen Museen von Berlin. Es gab nach dem 1993 ausgelobten Wettbewerb, in dessen Verlauf die zunächst prämierten Entwürfe von Giorgio Grassi und Frank Gehry verworfen wurden, ein Gutachterverfahren, das schließlich David Chipperfield für sich entschied.
Sein Konzept, das die Konservierung des schadhaft Vorhandenen bei gleichzeitiger Neuinterpretation der Verluste vorsieht, wurde in endlosen Debatten, international besetzten Workshops und öffentlichen Anhörungen als bestmöglicher Umgang mit dem zu 70 Prozent zerstörten Gebäude auf der Museumsinsel erachtet und zur Umsetzung beschlossen. Dass man sich auf eine intellektuell anspruchsvolle und in ihrem Erklärungsbedarf wenig volkstümliche Lösung einigte, hatte durchaus auch mit den Ansprüchen der Kustoden der Ägyptischen Sammlung zu tun, die ab Oktober 2009 wieder hier residieren wird.
Denn im Falle einer Rekonstruktion hätte man nicht nur entscheiden müssen, welche historische Fassung – 1855, 1900, 1930 – als Vorbild dienen soll, sondern es wäre auch fraglich gewesen, ob ein solcherart wiederaufgebautes Haus den Ansprüchen eines heutigen Museums genügt hätte. Etwa denen der Ägyptologin Olivia Zorn, die schon für die derzeitige Intererimsausstellung der von Nofretete symbolisierten Sammlung im benachbarten Alten Museum maßgeblich verantwortlich war.
Sie wäre wenig geneigt, die Exponate des Hauses auf ähnliche Weise zu präsentieren, wie sie Richard Lepsius als erster Direktor des Neuen Museums im 19. Jahrhundert favorisierte. Der Hieroglyphenforscher ließ damals die Ausstellungssäle mit farbenfrohen Fantasieszenen, altägyptischen Gottheiten und vor allem seinen eigenen Vorstellungen vom Lauf der Geschichte am Nil ausmalen: Die Besucher sollten sich ins Pharaonenreich versetzt fühlen. Die Kulisse stand eindeutig im Vordergrund, während die originalen Grabungsfunde allenfalls als ergänzendes Beiwerk der auf Sensation setzenden Inszenierung dienten.
Doch schon sein Schüler und Nachfolger Adolf Ermann ließ zu Beginn des 20. Jahrhunderts die in Blau und Gold gehaltene Decke mit astronomischen Darstellungen im Mythologischen Saal einfach verhängen und strukturierte die Sammlung nach neuen Erkenntnissen um.
Heute werden antike Sammlungen grundsätzlich vor neutralem Hintergrund ausgestellt. Das trägt den veränderten Sehweisen der Besucher ebenso Rechnung wie wissenschaftlichen Ansprüchen. Eine Nutzung der originalgetreu rekonstruierten Räume wäre für das Ägyptische Museum daher nicht infrage gekommen.
Es musste also ein Kompromiss gefunden werden, mit dem Bauwerk und Museum zueinander finden können. Die Originalexponate werden nun zum überwiegenden Teil in den mit cremeweißem Edelbeton verkleideten Neubautrakten zu sehen sein, nicht zuletzt deshalb, weil die morbide Opulenz der alten Schauräume den antiken Stücken schlichtweg die Show stehlen würde. „Das neue Ausstellungskonzept wurde von der historischen Bezeichnung der Räume separiert“, so Olivia Zorn. Mit der Neuordnung ihrer Sammlung entbieten die Museumsleute auch dem kostbaren Altbau ihren Respekt, der nach dem Willen des Architekten und der Bauherren so ähnlich wie ein antikes Fresko betrachtet werden soll: als eigenständiges Exponat.
Räume wie der in seiner alten Pracht nahezu vollständig erhaltene und mit zarter Hand restaurierte Niobidensaal werden vor allem in ihrer atmosphärischen Qualität zu erleben sein; die museumspädagogische Nutzung hält sich im Hintergrund.
Geschichte der Museumspädagogik
Unter dem Lamento der Traditionalisten wie auch der diskursiven Strenge ihrer Gegner droht eines übersehen zu werden: David Chipperfield hat bei der Wiederherstellung der historischen Säle ganz klassisch rekonstruiert. So wurde für die Reparatur der gemauerten Backsteinbögen akribisch nach den Originalziegeln in Rathenower Rot und Birkenwerder Gelb gesucht. Für die fehlenden Säulen im Bacchussaal wurde in iberischen Steinbrüchen nach dem bereits von Stüler verwendeten Marmor gefahndet.
Man fand sogar den Originalblock wieder.Im Kontext des Wiederaufbaus ist diese Art der Rekonstruktion möglicherweise am ehesten mit der Arbeit von Archäologen vergleichbar, die antike Scherben restaurieren. Denn im Prinzip zeigt das Neue Museum in seiner heutigen Verfassung die baulichen Fassungen verschiedener didaktischer Systeme und museumspädagogischer Auffassungen – und deren teilweise Überlagerung. Diese Schichten werden nun um die modernen neutralen Ausstellungsräume im neu gebauten Nordwestflügel sowie den von David Chipperfield entworfenen Ägyptischen Hof mit seinen schlichten Betonpfeilern ergänzt. Und aus dieser Perspektive wird die geschundene alte Hülle des Neuen Museums selbst zum Ausstellungsobjekt.
Cornelia Dörries ist Soziologin und freie Journalistin in Berlin.
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