Dr. Ursula Baus
Das ist das Schöne am Interieur: Wenn überhaupt, schleicht sich die Schlechtigkeit der Welt nur beim Blick aus dem Fenster herein. Aber davon abgesehen wird beim Einrichten der eigenen vier Wände niemand vom Gesetzgeber gegängelt – es darf nach Lust und Laune, Geschmack und Gesinnung tapeziert, gepinselt, vertäfelt, gefliest und dekoriert werden. Den Baumärkten sei’s geklagt, dass sie sich mit ihrem schaurigen Angebot nicht die geringsten Verdienste um eine Geschmacksbildung ihrer Kundschaft erwerben.
Außerdem wird in Deutschland mehr als in allen anderen europäischen Ländern zwischen Haus und Einrichtung unterschieden: Für das Haus ist der Architekt verantwortlich, für seine Standsicherheit der Ingenieur, für die Inneneinrichtung der Bewohner – genauer gesagt: die Möbelindustrie mit einem Angebot, das ungeniert den meist ungeschulten Geschmack der Kundschaft bedient. Leider kommt es ziemlich selten vor, dass ein Architekt auch als Gestalter der
Innenwelt akzeptiert und sogar gerufen wird. Das aber liegt auch an den Architekten selbst.
Zwei Beispiele der Innenraumgestaltung – eine Apotheke und eine Wohnung – von der Stuttgarter ippolito fleitz group belegen, dass Architekten sich verlorenes Terrain zurückerobern können, wenn sie’s denn nur wollten.
In der Barockstadt Ludwigsburg ließ sich eine alteingesessene Apotheke ihren kleinen Verkaufsraum völlig neu einrichten – er war zu klein, außerdem sollte die Spezialisierung auf Naturheilkunde und Naturkosmetik erkennbar werden. Wie so oft, liegt die Apotheke auch hier in Ludwigsburg quasi zu Füßen eines Ärztehauses. Dieses Eckgebäude – wahrlich keine Perle der jüngeren Architektur – blieb außen unverändert, der Reiz des Projekts erschließt sich ganz und gar aus dem Innenraum.
Das einstige Labor, das nach vorne, zur Straße hin lag, ließ sich rückseitig unterbringen und der Verkaufstresen so weit zurücksetzen, bis der über Eck erschlossene Verkaufsraum großzügig und übersichtlich strukturiert werden konnte. Einer großen Fußmatte hinter der automatischen Schiebetür aus Glas folgen schneeweiße Stufen (Epoxydharz) bis zur Hauptebene. Hier liegt Ludwigsburg-übliches Granitpflaster, überhaupt denkt man in dieser Apotheke gleich ans Barocke, das die Stadt prägt.
Schneeweiße Wände gehen in einer großen Kehle in die Decke über, an der ein farbenfrohes, zartes Deckengemälde elf Heilkräuter zeigt.
Bildsprache und Motive dieses Freskos dienen der Apotheke auch als grafische CI, ebenfalls von der ifgroup entwickelt. Die in der Wand eingelassenen Regale aus weiß lackierten MDF-Platten für die Arznei entsprechen in der Höhe normaler Reichweite, außerdem sind auf einer Art weißen Insel drei rundum zugängliche Regale zwischen Boden und Decke gespannt. Sie zonieren den Raum, aber zerstückeln ihn nicht. Besonders fällt die Theke auf, die von der Mittelstütze aus nach zwei Seiten auskragt und nicht mit üblichem Krimskrams vollgeräumt ist. Mit ihrem unkonventionellen, heiteren Entwurf wussten die Architekten professionelle Apothekenausstatter als Konkurrenz aus dem Rennen zu werfen. Man fühlt sich in dieser Apotheke nicht mehr wie in der Nebenstube einer Arztpraxis, sondern beinahe wie im Salon eines Kurhotels. Eine solche Neuinterpretation kann der ans System gebundene Ausstatter nicht bieten.
Stimmige, heitere Innenwelten
Das Büro von Peter Ippolito und Gunter Fleitz ist allerdings auch kein klassisches Architekturbüro, denn von einer Abgrenzung der geschützten Tätigkeiten Hochbau, Statik, Inneneinrichtung und was es alles gibt, möchten sie nichts wissen. Als „Gestalter“ verfolgen sie einen ganzheitlichen Ansatz in allem und jedem, das sie beginnen. Mit unkonventionellen, aber stimmigen, heiteren Innenwelten gewinnen sie das Vertrauen von Menschen, die ihnen auch die Einrichtung des privaten Zuhauses überlassen.
Das erstaunt bei einer Wohnung, die sie in Stuttgart eingerichtet haben, umso mehr, weil die Bauherrin eine Designerin und in Gestaltungsfragen eigentlich selbst kompetent ist. Aber mehr als „Brombeer“ und „Mooreiche“ brachte sie als Einrichtungswunsch gar nicht zur Sprache. Mit 97 Quadratmetern auf einem etwa neunzehn Meter langen und knapp sechs Meter breiten Grundriss sollten zwei Bäder, zwei Zimmer, zwei Schrankkammern und ein Koch-, Arbeits- und Wohnbereich untergebracht werden – eine Terrasse gibt es auch noch. Dass nun ein Ambiente entstand, das nicht eng, aber doch sehr wohnlich, praktisch und zugleich räumlich reizvoll wirkt, darf als uneingeschränkter Verdienst ausgetüftelter Innenraumplanung gelten, dem kein Möbelsystem oder handelsübliches Einrichtungssortiment etwas entgegensetzen kann.
Die Wohnung liegt im dritten Geschoss eines vorzüglich gelegenen Mehrfamilienwohnhauses, das vor Kurzem aus Büroräumen zu hochwertigen Wohneinheiten umgebaut worden ist – ein Experiment des Investors, um auf dem gehobenen Stuttgarter Immobiliensektor etwas anbieten zu können. Den tiefen, schmalen Grundriss der Wohnung gliederten die Architekten in einen rückwärtigen, ganz privaten Bereich, der linker Hand des Eingangs liegt, und eine weitgehend offene Zone, in dem Küche, Ess- und Arbeitsraum, Wohnzimmerecke und Terrasse irgendwie nahtlos ineinander übergehen, ohne von einer einheitlichen Atmosphäre bestimmt zu sein.
Die Küchenzeilen – funktional mit allen Schikanen ausgestattet – sind mit einer Glasscheibe zur lederbezogenen Sitzbank am langen Ess- und mal Arbeitstisch abgegrenzt. Direkt daneben lässt eine Lese- und Kuschelecke, die mit rautenförmig abgestepptem Samtvelours bespannt ist, ahnen, wo sich die Bewohnerin am liebsten aufhält. Aus der Seitenwand dieser Koje ist eine Öffnung ausgeschnitten – hier wäre es eine Schande gewesen, den Ausblick auf Stuttgarts Halbhöhenlage zu versperren. Ohnehin ergeben sich aus den beiden langen, beidseitigen Erschließungsflächen – Flure sind es nicht – Blickbezüge, die die Wohnung größer erscheinen lassen, als sie ist.
Auch Dunkelbraun ist aktuell
Dunkelbraunes Holz, braunbeige stoffbespannte oder brombeerfarben und lindgrün gestrichene Wandflächen – diese Stichworte lassen erst einmal zusammenzucken, weil sie eine biedere Wohnkultur der Sechziger und Siebzigerjahre des zwanzigsten Jahrhunderts in Erinnerung rufen. An Ort und Stelle ist alles ganz anders, nicht zuletzt, weil die feine Abstimmung von Farben und Materialien durch eine mit Blumen und Blüten bemalte Decke aufgefrischt wird: Motive und Farbtöne kennt man aus der Ludwigsburger Apotheke; auch hier ging die Stuttgarter Textildesignerin Monica Trenkler ans Werk.
Weil die Wohnung für ihr Genre nicht sehr groß ist, musste jeder Quadratmeter optimal ausgenutzt werden. Millimetergenau sitzende Einbauschränke, haarscharf passende Regale und Schubladenschränke und schön ausgeklügelte Badezimmer verlangen nach einer Planungs- und Ausführungspräzision, um die man sich als Bewohner nicht nebenbei kümmern möchte. Wenn sie noch einmal umzieht, so die Bauherrin, lässt sie alles hier in dieser Wohnung und fängt an anderem Ort wieder von vorne an. Selbstverständlich mit einem Architekten. Schließlich sei aber nicht verschwiegen, dass so eine maßgeschneiderte Einrichtung ihren Preis hat. Andererseits kann man sicher sein: Von dieser Einrichtung landet nichts auf dem Sperrmüll.
Dr. Ursula Baus ist freie Autorin für Architekturkritik, -theorie und -geschichte in Stuttgart.