Von Jürgen Tietz
Das Problem ist nicht neu, aber es ist grundlegend: Wohnquartiere der Nachkriegszeit entsprechen nicht mehr den heutigen Anforderungen. Das betrifft vor allem Wärmedämmung und Wohnungszuschnitte. Die Wohnansprüche haben sich in den vergangenen fünfzig Jahren geradezu dramatisch verändert. In einer Wohnung, in der in den 1950er-Jahren noch eine Familie mit Kindern Platz gefunden hat, finden heute bestenfalls noch ein Pärchen oder gar ein Single angemessene Lebensverhältnisse vor. Doch was soll mit dem großen Wohnungsbestand der Wiederaufbauzeit künftig geschehen?
Eine mögliche Antwort auf diese Frage liefert das Berliner Büro Springer Architekten im Wohnquartier am Altenhagener Weg in Hamburg, das sich mit seinem Entwurf bei einem eingeladenen Wettbewerb der Helvetia-Versicherung durchsetzen konnte. Der Bestand im nordöstlichen Stadtteil Farmsen zeigt eine charakteristische städtebauliche Situation der Wiederaufbauzeit mit einer durchgrünten Zeilenbebauung. 1958 und 1959 in zwei Phasen durch den Hamburger Architekten Adolph Kruse verwirklicht, lehnen sich die sympathisch zurückhaltenden sechs Wohnzeilen mit ihrem nur flach geneigten Dach stilistisch an Vorbilder aus Skandinavien an. Damals entstanden vorwiegend Zwei- und Zweieinhalbzimmerwohnungen mit jeweils rund 56 bis 70 Quadratmetern. Lediglich wenige Vierzimmerwohnungen mit 95 Quadratmetern ergänzten das Angebot. Sie waren jedoch immer weniger gefragt, die Bewohnerschaft der Anlage war überaltert und von den insgesamt 108 Wohnungen standen zu Beginn der Sanierung bereits 60 leer.
Grund genug
für den Eigentümer, durch einen grundlegenden Eingriff in den Gebäudebestand gegenzusteuern. Ziel war es, die Attraktivität der Wohnungen zu erhöhen und zugleich durch eine nachträgliche Verdichtung der locker gruppierten Wohnanlage ein zusätzliches Angebot an größeren Wohnungen mit gehobenem Standard zu schaffen, das auch für Familien mit Kindern interessant ist. Hierzu wird das Quartier um vier frei finanzierte Punkthäuser ergänzt. L-förmig von fünf auf drei Geschosse abgestuft, bewegen sie sich städtebaulich auf einem schmalen Grat. Denn einerseits leisten sie die ökonomisch wie funktional gewünschte Verdichtung der Wohnanlage. Andererseits bemühen sie sich darum, die charakteristische Offenheit der durchgrünten Zeilenbauweise durch ihre Form weiterhin spürbar zu belassen. Die Neubauten verfügen jeweils über Tiefgarage und Fahrstühle. Die Wohnungsgrößen reichen von 60 bis 105 Quadratmeter. In der Materialverwendung eng an die „Altbauten“ angebunden, heben sich die vier Punkthäuser gleichwohl durch ihre kubische Formensprache vom Bestand ab.
Die Bestandsmieter wurden für den zehnmonatigen ersten Bauabschnitt, der nun abgeschlossen ist, in einem der leer gezogenen Riegel untergebracht. Am Ende der Sanierung sollen die Altmieter, die in die Planung mit einbezogen wurden, eine „neue“ Wohnung erhalten, ohne eine höhere Miete zu zahlen. Das ermöglicht ein Landesprogramm für die Modernisierung von Bestandswohnungen.
Die meisten Häuser wurden und werden nach dem Entwurf von Springer Architekten bis auf den Rohbau zurückgebaut und dann jeweils um ein Geschoss aufgestockt. Davon ausgenommen sind lediglich die nördlichen Hausenden, um eine störende Verdichtung zu den angrenzenden Grundstücken zu vermeiden. Zudem greifen die Architekten in die Grundrissdisposition ein, ohne jedoch Wohnungen zusammenzulegen, wie dies gelegentlich praktiziert wird. Stattdessen werden Trennwände zwischen den Zimmern sowie zu Küche und Flur entfernt, sodass die Wohnungen einen großzügigeren Zuschnitt erhalten.
Großzügiger
sollte auch die natürliche Belichtung werden: Dafür trat an der südlichen Fassade an die Stelle der alten Fensterbrüstungen eine raumhohe Verglasung mit neuen Holz-Aluminium-Fenstern. Ebenfalls entfernt wurden die alten Balkone, die statisch mit dem Haus verbunden waren. Mit ihnen verschwand zugleich auch eine störende Kältebrücke. Stattdessen wurde dem Haus auf seiner gesamten Länge ein neues Loggienregal von rund 1,70 Meter Tiefe vorgestellt. Durch die Aufstockung sind im neuen Dachgeschoss großzügige Wohnungen von 115 bis 125 Quadratmetern entstanden, die auch familientauglich sind. Zusätzlich zu der vorgesetzten Loggia verfügen sie jeweils über einen kleinen Dachgarten, der wie ein intimer Innenhof gegen die Außenwelt abgeschirmt ist.
An der Nordseite erhielt der Altbau zusätzlich zur Wärmedämmung und einer Luftschicht eine lichte Ziegelfassade vorgeblendet, die den Charakter in Stil und Material fortschreibt. Das gilt auch für das mit Eternit gedeckte Dach, das die 15-prozentige Dachneigung wieder aufnimmt.
Das Konzept für den Umbau des Wohnquartiers am Altenhagener Weg zeichnet sich letztlich nicht nur dadurch aus, dass hier – nicht unter Denkmalschutz stehende – Zeilenbauten der späten Fünfzigerjahre modernisiert, aufgestockt und durch Neubauten ergänzt wurden, um ihnen dadurch eine neue Attraktivität auf dem Immobilienmarkt zu verleihen. Weit wichtiger ist die grundsätzliche Entscheidung des Investors, durch eine hochwertige und architektonisch besonders qualitätvolle Gestaltung zu einer langfristigen Aufwertung der Anlage zu gelangen. Gerade hierin besitzt der Umbau Vorbildcharakter gegenüber anderen, weniger ambitionierten Sanierungen von 50er-Jahre-Siedlungen.
Dr. Jürgen Tietz ist Kunsthistoriker und Publizist in Berlin.