Text: Nils Hille
Er läuft auf eine Mauer zu und wird dabei immer schneller. Sein Blick ist völlig konzentriert, sein Körper angespannt. Die Mauer kommt immer näher, doch er bremst nicht ab, weicht nicht aus. In dem Moment, in dem er die scheinbar unüberwindbare Hürde erreicht, springt er, läuft an der Mauer ein Stück hoch, greift kurz an deren Kante und steht plötzlich oben drauf. Das alles gelingt Pablo Giese in wenigen Sekunden. Doch er muss nicht verschnaufen oder gar stehen bleiben. Er hat seinen Atem völlig unter Kontrolle. Der Bochumer läuft oben auf der Mauer weiter, überwindet einen breiten Abgrund und springt mit einer geschickten Drehung wieder auf den Boden hinunter. Da steht er, lächelt, ganz so, als wäre nichts gewesen. Schon redet er wieder mit seinen Freunden, die die Szene beobachtet haben.
Pablo Giese ist Parkourläufer. Immer mehr junge Menschen in Deutschland bewegen sich bei diesem Sport frei im städtischen Raum. Die sogenannten Traceure lassen sich dabei nicht von gebauten Hürden umleiten, sondern versuchen, die urbanen Strukturen geschickt mit ihren Bewegungen zu überwinden – und damit neu zu erleben. „Wir können unseren Sport eigentlich überall ausüben. Es reicht völlig, wenn ich eine Richtung einschlage und mich dann querfeldein durch die Stadt fortbewege“, sagt Giese. Doch die Mauern, auf denen er gerade sein Können gezeigt hat, gehören nicht zu den Gebäuden oder Wegen hier in Bochum-Hustadt. Sie stehen auf einem von wbp Landschaftsarchitekten geplanten Parkour-Areal.
Es klingt zunächst einmal wie ein deutlicher Widerspruch, wenn Planer einen strukturierten Platz für eine Sportart entwickeln, die gerade von der freien Bewegung in der Stadt quer zum Geplanten lebt. Traceure sind sozusagen die Graffitisprayer unter den Freizeitsportlern, da sie gerade das Verbotene reizt. Entsprechend unbeliebt sind sie bei manchen Haus- und Raumwächtern, wenn sie Grundstücksgrenzen ignorieren oder Fußspuren und kleine Schäden hinterlassen.
Doch ihre Einbindung kann wie hier in Bochum-Hustadt funktionieren. In das stark sanierungsbedürftige Stadtrandquartier aus der Zeit um 1970 wären Jugendliche aus dem Zentrum früher nie freiwillig gefahren. Doch die Chefin von wbp, Landschaftsarchitektin Christine Wolf, stellt bei Ortsterminen immer wieder fest: „Jetzt treffen sich die Sportler gezielt auf ‚ihrer’ Anlage, um sich auszutauschen und für den freien Lauf durch die Stadt zu üben.“ Das bestätigt auch Pablo Giese, der als Experte beratend an der Planung beteiligt war. Er hatte sich auf Widerstand aus seiner Szene gegen diese Parkourplanung am Reißbrett eingestellt. „Doch der Protest blieb komplett aus. Alle sehen dies als gelungenes Trainingsareal und als Treffpunkt der Szene, die seitdem deutlich gewachsen ist“, sagt er.
Sicherheit – aber keine Spaßbremsen
Wolf war von Anfang an klar, dass dies nur klappen kann, wenn ihr Büro bei der Planung im engen Austausch mit den zukünftigen Nutzern steht. Schließlich kam auch die Idee, eine Parkour-Anlage zu bauen, von den Jugendlichen selbst. Im Rahmen eines Beteiligungsverfahrens in Form eines Workshops, betreut durch das Stadtumbaubüro Hustadt, konnten sie Wünsche nennen, wie die Freizeitbereiche in dem von Leerstand, Sozialwohnungen und dem Zusammenleben von Menschen aus über 60 verschiedenen Nationen geprägten Stadtteil neu gestaltet werden sollen. Zunächst erarbeitete wbp mit dem Institut für Wohnungswesen, Immobilienwirtschaft, Stadt- und Regionalentwicklung an der Ruhr-Universität Bochum eine städtebauliche Entwicklungsstudie. Dann erfolgte durch das Büro die Rahmenplanung für einen Teil des Gebiets. Immer wieder gab es dabei Dialoge mit den Bewohnern. Seit zwei Jahren werden die Maßnahmen nun nach und nach umgesetzt. Dank des Konjunkturpakets II konnte wbp im vergangenen Jahr schließlich mit Mitteln von Bund, Land und Stadt die Parkourstrecke bauen.
Bei der konkreten Planung der Anlage ließen sich Wolf und ihre Kollegen gern von den Sportlern hinreinreden. Gemeinsam mit Giese und anderen Traceuren besprachen sie mögliche Abläufe und die Anordnung der Geräte. „Uns war wichtig, dass sie einerseits für die Läufer eine Herausforderung darstellen, andererseits aber die Sicherheitsansprüche erfüllen“, erklärt Wolf. Der Spagat funktionierte. Jetzt üben die Traceure regelmäßig auf der Anlage. Kinder aus Hustadt trauen sich gleichzeitig daran, schauen sich erste Bewegungen ab und versuchen sie nachzuahmen. Oft entstehen Dialoge und spontan kleine Schulungen.
Ein genauso erfreuliches Ergebnis wünscht sich Stefan Prifling, Landschaftsarchitekt vom Büro WES & Partner in Hamburg. Er und seine Kollegen planen gerade für den Park in der Bremer Überseestadt eine Parkour-Anlage. Auch diese ist Frucht eines Beteiligungsverfahrens mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen, das die Bremer Jugendinitiative „Sportgarten“ organisierte. Dabei kristallisierten sich die besonders beliebten Sportarten dieser Generation heraus: Neben Skateboard, BMX und Fußball steht auch hier Parkour auf der Wunschliste. Prifling gibt zu: „Ich hatte davon schon einmal gehört, aber es noch nie live gesehen. So musste ich mich erst einmal durch Videos und Recherche in das Thema reindenken.“
Wenn Sportler Pläne selbst entwerfen
WES & Partner gewannen den Wettbewerb für den Park mit der Idee, ihn im klassischen Sinne als Ort für alle Zielgruppen zu begreifen. Die sonst oft separierten Sportflächen betten sie hier direkt in die Topografie ein. „Über den Verein Sportgarten e. V. haben wir den direkten Draht zu den Läufern und immer schnell Rückmeldungen zu unseren Entwürfen“, sagt Prifling. Die Sportler entwickeln am Computer auch selbst Pläne, die das Büro in seine Arbeit einfließen lassen kann. Vieles läuft über eine eigens geschaffene Plattform im Internet. „Das ist schon ein großer Aufwand, aber am Ende wollen wir ja einen Park haben, der auch akzeptiert wird“, so der Landschaftsarchitekt.
Die Zusammenarbeit funktioniert auch aus Sicht des „Sportgarten“-Vorsitzenden Hanns-Ulrich Barde: „Natürlich treffen da erst einmal Welten aufeinander. Damit kann nicht jeder Planer umgehen. Aber die Landschaftsarchitekten von WES & Partner und die Traceure haben sich sehr konstruktiv auf Augenhöhe auseinandergesetzt.“ Wenn die Finanzierung des Projektes gesichert ist, soll aus den Planungen schnell ein Parkour-Areal werden, wie alle Beteiligten hoffen. Barde: „Wir rechnen damit, dass die Anlage 2013 entsteht. Das muss einfach klappen. Schließlich fiebern die jugendlichen Akteure ihrem mitgeplanten Areal schon entgegen.“
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