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Recht auf gute Gestaltung

Barrierefrei zu bauen, lag früheren Epochen fern. Burgen und Schlösser ebenso wie historische Stadthäuser und Kirchen heutzutage allen zugänglich zu machen, ist eine enorme gestalterische Herausforderung. Wie ein selbstbewusster Umgang damit aussehen kann, zeigt der Blick nach Thüringen.

31.01.20196 Min. Kommentar schreiben
Elegant: In der Stadtkirche Jena wurde der Einbau eines Stuhllagers unter der Empore genutzt, um den Kirchenraum zugleich barrierefrei zu erschließen. Rampen führen um die holzverschalte Funktionsbox herum

Von Christoph Gunßer

Noch immer müssen Menschen mit Behinderungen in vielen öffentlichen Gebäuden draußen bleiben. Oder sie werden auf Hintereingänge und hässliche Provisorien verwiesen. Für Heribert Sutter, Abteilungsleiter im thüringischen Landesdenkmalamt in Erfurt, ist das nicht hinnehmbar. „Alle Menschen“, sagt er – übrigens nicht nur Gehbehinderte, sondern ebenso jene mit anderen Sinneseinschränkungen –, „wollen mit dabei sein.“ Zum Beispiel in der Warteschlange vor dem Theater, weil man nur dort mitbekommt, was los ist. „Und auch Menschen mit einer Behinderung haben ein Recht auf gute Gestaltung!“

Inklusive Lösungen sind auch in Baudenkmalen möglich, davon ist Sutter überzeugt. Als neue Zeitschicht lassen sie sich in die Architektur integrieren – und dürfen auch sichtbar sein. Ruhig eine gut gestaltete Rampe an den Haupteingang setzen, einen transparenten Fahrstuhl prominent platzieren, ein multisensorisches Leitsystem anbieten. Wenn alle Beteiligten mitziehen und auch einmal die Perspektive der anderen einnehmen, funktioniert Inklusion. Das versuchen Architekt Sutter und sein Geografen-Kollege Markus Rebstock von der FH Erfurt in Vorträgen und Fortbildungen auch den Architekten zu vermitteln.

„Das Thema müssen die meisten Architekten erst noch für sich entdecken“, meint Sutter. Im Studium spiele Inklusion bislang leider kaum eine Rolle. Auch die Denkmalpflege tut sich oft schwer damit. Das Thüringer Landesdenkmalamt war 2012 das erste, das eine entsprechende Rahmenrichtlinie formulierte; nur drei Bundesländer zogen bisher nach. Die Ergebnisse dieser Bemühungen sind ansehnlich.

Selbstbewusst: Der Anbau an das Lutherhaus in Neustadt/ Orla versorgt das Schaudenkmal von der Hofseite aus …

Begehbares Schaudenkmal

Für das Lutherhaus im ostthüringischen Neustadt/Orla war 1988 bereits der Abbruch beantragt. Das einstmals stattliche, auf 1452 datierte Haus, in dem Martin Luther wohl mehrmals nächtigte, war arg marode. Zunächst gesichert und von einem Verein provisorisch als Museum genutzt, ließ die Stadt es zum Lutherjahr aufwendig herrichten: Im Herbst 2016 wurde es als „begehbares Schaudenkmal“ eröffnet, in dem zwar die Touristen-Information würdig residiert, ansonsten aber viel Platz ist, um die originale Innenausstattung zu bestaunen.

Zahlreich sind die Zeitschichten seit dem späten Mittelalter, die vielfarbig und voller Patina erhalten sind. Die letzte bildet nun ein transparenter neuer Anbau auf der Hofseite, in dem neben Toiletten und Treppenhaus vor allem zwei Rampen untergebracht sind. Diese verbinden über bestehende Öffnungen die drei Vollgeschosse des Hauses weitgehend barrierefrei nach DIN 18040. Innerhalb der Etagen, die zum Teil vier verschiedene Niveaus aufweisen, reichen Keilbohlen vor den Türen, um die Räume allen zugänglich zu machen.

… mit Toiletten, einem Treppenhaus und zwei Rampen, die die drei Vollgeschosse des Hauses über bestehende Öffnungen verbinden.

Stahlprofile stützen sichtbar das krumme Gebälk im Inneren. Auf Vorbilder für die klar kontrastierende Gestaltung angesprochen, verweist der weltoffene Heribert Sutter auf die Charta von Venedig und nennt als Vorbild: „Klar, Scarpa zieht sich durch.“ Beteiligt waren als freier Ingenieur für Denkmalpflege Veit Gröschner aus Rudolstadt und Spindler Architekten aus Saalfeld.

Unauffällig lassen sich Rampen oftmals im Innenraum unterbringen. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Stadtkirche in Jena, die vielseitig benutzt wird. Für Konzerte fehlte hier ein Stuhllager. Geschickt nutzten Müller & Lehmann Architekten aus Bad Berka den Einbau dieses Raums im Raum unter der Empore, um den Kirchenraum barrierefrei erreichbar zu machen (Foto siehe Seite 24/25). Rampen führen vom Eingang an einem Tresen vorbei um die hölzerne Funktionsbox. Die Verkehrsflächen erhellt eine indirekte Beleuchtung in den Handläufen, die selbst bei Minimalbeleuchtung im Kirchenschiff nicht als störend empfunden wird. Die Lattung aus Lärchenholz trägt dazu bei, dass die Einbauten im Gesamtbild eher in den Hintergrund treten, dem ästhetischen Anspruch im Sakralbau aber gerecht werden. „Das ist der Bogenschlag beim Bauen im Bestand: Der Neubau sollte sich gegenüber dem Vorhandenen zurücknehmen und sich dabei trotzdem ins Gesamtbild gestalterisch einfügen“, so Projektleiter Alexander Schunke. Die Denkmalpflege unterstützte auch hier die selbstbewusst zeitgenössische Zutat. „Da wurden mehrere Fliegen mit einer Klappe erledigt“, kommentiert Sutter. Ähnlich ging man zuletzt auch beim Umbau der Brüderkirche in Altenburg vor.

Reflektiert: Manchmal sind die auffälligsten Lösungen die unauffälligsten. Hier: Außenaufzug
an der Elisabethenburg Meiningen.

Verwinkelte Schlösser und Burgen

Thüringens berühmte Burgenlandschaft fordert die Denkmalpfleger heraus, wenn es um das „Design for all“ geht: barrierefrei auf den Bergfried und ins Verlies? „Die letzte Ecke kriege ich nicht zugänglich“, gesteht Markus Rebstock ein, der die Koordinierungsstelle Barrierefreiheit im Freistaat betreut und eine Matrix sowie Checklisten für ein systematisches Vorgehen erarbeitet hat. Denn: „Nachträglich wird es immer hässlich.“

Bei der Elisabethenburg Meiningen ergab die Prüfung, dass ein Außenaufzug nahe dem Haupteingang die beste Lösung darstellt (umgesetzt vom Planungsbüro bgs, Meiningen). Auch wenn der seitlich hingestellte gläserne Quader die Steinfassade etwas aus der Balance bringt, gab die Denkmalpflege ihr Okay. Ähnlich verfuhr man bei der Burg Normannstein bei Treffurt an der Werra. Auch hier fügt sich ein frei stehender Stahlturm ans alte Gemäuer, um Hof und Gaststätte zu erschließen. Indes: „Ein Aufzug macht ein Gebäude noch lange nicht barrierefrei“, weiß Rebstock. Aufwendige Rampen waren nötig, um den Burgberg rollstuhlgerecht zu erschließen (Planung: Büro Backofen & Seidenzahl, Eisenach).

Integriert: Im Oberen Schloss Greiz verschwindet hinter Originaltüren …

Sehr elegant und unauffällig lösten hingegen Schubert Hamann Dinkler Architekten + Ingenieure aus Greiz den Lift-Einbau im Oberen Schloss ihrer Stadt: In einem Zwickel des barocken Raumgefüges ließen sie einen fünfeckigen Aufzug einbauen, der hinter originalen Türen verschwindet. Die Kabine erstrahlt jeweils in den Leitfarben der erreichten Museums-Etage – ein Beispiel, wie sich zugleich auch visuelle Handicaps ausgleichen lassen.

… ein fünfeckiger Aufzug. Farbiges Licht hilft bei der Orientierung.

Das Engagement der Thüringer für mehr Inklusion am Bau hatte zuletzt einen Aktionsplan samt starker Aufstockung der Landesmittel zur Folge. Die Warteschleife für Folgeprojekte ist dennoch lang. Im vorigen Oktober fand zum Thema eine viel beachtete Regionalkonferenz der Architektenkammern in Erfurt statt, die maßgeblich vom Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen unterstützt wurde. Und im Landesdenkmalamt häufen sich einschlägige Anfragen aus anderen Bundesländern.


Mehr Beiträge zu unserem Schwerpunkt „Alt trifft neu“ finden Sie hier

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