Text: Ralf Kalscheur
Die Idee kam aus der Öko-Bewegung: Warum ein eigenes Auto besitzen, wenn es doch die meiste Zeit im Stadtraum herumsteht? 1988 entstand daraus das erste Carsharing-Unternehmen „StattAuto“ in West-Berlin. Heute gibt es rund 150 Anbieter, von denen 115 Mitglieder des Bundesverbands CarSharing (bcs) sind. Anfang 2015 waren nach Angabe des bcs 1.040.000 Menschen als Fahrberechtigte bei den deutschen CarSharing-Anbietern angemeldet – manche allerdings bei mehreren, so dass sie doppelt gezählt werden. Der Zuwachs war zuletzt enorm: 67,1 Prozent im Jahr 2013, immer noch 37,4 Prozent 2014.
Grund der aktuellen Branchenbelebung ist, dass es neuerdings zwei Formen des Carsharings gibt. Bei den Pionieren und ihren Nachahmern buchte und bucht man das Auto im Voraus für eine bestimmte Zeit, holt es an einer festen Station ab und muss es auch dort wieder abgeben – die Fachwelt spricht vom „stationären Carsharing“. Seit 2011 ist die neudeutsch „Free Floating“ genannte Form hinzugekommen: Die Autos stehen irgendwo im Stadtgebiet. Per App, Internet oder Auge findet man das nächste verfügbare, fährt zu einer beliebigen anderen Stelle im Geschäftsgebiet und stellt es dort wieder ab. Das Modell der spontanen Automiete wurde 2011 von zwei Firmen etabliert: DriveNow ist ein Joint Venture von BMW und Sixt und bietet Minis und BMWs. Car2Go wird von Daimler und Europcar betrieben und stellt Smarts in die Städte. Angebote mit jeweils mehreren hundert Wagen pro Stadt gibt es nur in Ballungszentren und auch hier meist nur in den dichter bebauten Stadtteilen, DriveNow fährt in Berlin, Düsseldorf, Hamburg, Köln und München, Car2Go außerdem in Frankfurt und Stuttgart. Auf seinem ersten Testmarkt Ulm hat sich das Unternehmen wieder zurückgezogen: Er war zu klein.
Das Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ) in Berlin erforscht die neue Verkehrsform. Sein Geschäftsführer ist der Soziologie-Professor Andreas Knie, der festgestellt hat: „Das flexible Carsharing kann dort blühen, wo es einen ordentlichen öffentlichen Nahverkehr gibt.“ Die Mobilitätsforscher fanden heraus, dass das Angebot in der Nähe von Bahnstationen am häufigsten frequentiert wird: Wenn möglich, werden Bus und Bahn im Verbund mit dem Gemeinschaftsauto genutzt.
Das hat mehrere Gründe: Erstens haben Großstädter mit gutem Bahnangebot oft kein eigenes Auto. Auf tausend Berliner kamen laut einer Statistik von 2014 nur 324 Personenwagen. In kleinen Großstädten ohne lokales Bahnangebot wie Chemnitz, Göttingen oder Bochum sind es jeweils fast 500. Zweitens ergänzen U- und S-Bahnen einerseits und flexibles Carsharing andererseits einander gut: lange Strecken fährt man auf der Schiene, ebenso in der City zu den stauträchtigen Zeiten. Wo aber der Bahnhof am Start oder Ziel fehlt oder die Wartezeit nachts lang wäre, sucht man ein Auto.
Flexibles Carsharing eignet sich dagegen weniger für ganze Tage und lange Strecken. Denn abgerechnet wird im Minutentakt, der je nach Anbieter und Fahrzeug bei rund 30 Cent liegt – rund acht Minuten Autofahrt für den Preis eines Nahverkehrs-Tickets. Dafür stellt der Nutzer in Zonen mit Parkgebühren den Wagen kostenfrei ab. Andreas Knie nennt als häufigsten Grund für flexibles Carsharing „Dringlichkeitsmotive“, etwa eine deutlich kürzere Fahrzeit zum Ziel oder mehrfaches Umsteigen auf der Bahnwegstrecke. Hier ist Carsharing zwar günstiger als ein Taxi, aber manchen nicht günstig genug. Andreas Knie meint: „Die Preise sind ein Problem. In der Tarifgestaltung wird es Anpassungen geben müssen.“
Auch nach einer gemeinsamen Studie von DriveNow und Car2Go bei ihren Nutzern sind ihre Carsharing-Kunden besonders oft mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs – 65 Prozent der befragten Kunden gaben dies an. 39 Prozent bezeichneten sich als häufige Nutzer von Fahrrädern; dagegen nutzten nur 34 Prozent oft das eigene oder dienstliche Auto und gar nur zwei Prozent häufig Taxis oder andere Formen des Autoleihens und -teilens.
Gebremste Elektromobilität
Free Floating-Autos werden im Stadtverkehr meist für kurze Distanzen gebucht. Gerade für diesen Einsatz würde sich der Elektroantrieb eigentlich eignen. „E-Autos gibt es aber nur in ein paar Pilotprojekten, denn die Anschaffungskosten sind viel zu hoch. Elektrofahrzeuge sind nicht wirtschaftlich betriebsfähig, und es ist auch nicht absehbar, wann sich das ändert“, sagt Andreas Knie. Immerhin: Die E-Cars der Carsharer führen Neugierige, die den Antrieb testen möchten, an das Thema Elektromobilität heran. Das Forschungsprojekt WiMobil des Bundesministeriums für Umwelt und Bau fand heraus, dass jeder zweite Nutzer der untersuchten Anbieter DriveNow und Flinkster (stationäres Carsharing der Deutschen Bahn) schon mal E-Auto gefahren ist. Seit DriveNow seine Flotte 2013 um 40 E-Autos erweiterte, entscheiden sich monatlich rund 3000 Kunden erstmals für einen Stromer.
In Deutschland sind insgesamt 44,4 Millionen Fahrzeuge auf den Straßen. Laut Bundesverband CarSharing besteht die gesamte Carsharing-Flotte in Deutschland erst aus 15.400 Fahrzeugen. Die Verkehrswende ist also noch weit entfernt. Mobilitätsforscher Knie fordert darum endlich mehr politische Unterstützung für die gemeinschaftliche Autonutzung: „Die Parkraumbewirtschaftung ist die Stellschraube. Das Carsharing wird täglich durch hohe Parkgebühren benachteiligt, die die Unternehmen zahlen müssen, während ein Bewohnerparkausweis in Berlin schon für 20 Euro im Jahr zu haben ist.“ Knie schlägt vor, den Parkplatz fürs Privatauto drastisch zu verteuern. „Dann würde sich das Carsharing sofort durchsetzen.“
Viele Kunden kombinieren das flexible und das stationäre Carsharing und nutzen beider Vorteile. Beim stationären Modell sind längere Mieten oft günstiger; zu dem steht nach Knies Worten „das Auto garantiert zum vereinbarten Termin an der Station zur Verfügung. Darum wird es immer beide Angebotsformen geben.“ Groß ist offenbar die Chance für die von Blechlawinen geplagten Städte, viele Privatwagen durch weniger Carsharing-Autos zu ersetzen. Immerhin 37 Prozent der Nutzer gaben laut der gemeinsamen Mobilitäts-Studie von Car2Go und DriveNow an, sie hätten in den letzten Jahren ihren Privatwagen abgeschafft. Von denen, die auch noch eigene Wagen fahren, würden 74 Prozent aufs Gemeinschaftsauto umsteigen, „wenn die Autos noch zuverlässiger in meiner Nähe verfügbar wären, wenn ich eines brauche“.
Ralf Kalscheur ist freier Journalist in Berlin.
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