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Gewissenhaft gebaut

Eine Wanderung durch Rostock mit vielen Umnutzungen, neuen Entwicklungen am Ufer und einem Wunsch nach Bedächtigkeit

01.06.20099 Min. Kommentar schreiben
Zum Himmel hoch: Gotteshäuser wie die Petrikirche, dienten durch ihre enormen Höhen auch als See­zeichen.

Nils Hille

Stadtgeschichte einmal im Kreis, vom Mittelalter bis heute. Um einen ersten Eindruck von Rostock zu bekommen, stellen sich Besucher am besten einfach mitten auf den Neuen Markt und drehen sich um ihre eigene Achse. Genau dies machen Ursula Jastram und Maik Buttler vor. Für sie, die gemeinsam in Rostock ein Architekturbüro leiten, dient der historische Platz als Ausgangsort ihrer Stadtführung. „Schon 1942 wurde die Altstadt bombardiert. Somit sind nur wenige der historisch anmutenden Gebäude auch wirklich von damals. Die anderen sind ihnen nachempfunden“, erklärt Jastram beim Blick auf die westliche Häuserzeile. Die vom Platz abgehende Kröpeliner Straße war und ist die wichtigste Achse für die Rostocker. Bis 1961 fuhr noch die Straßenbahn hindurch, heute dient sie als Hauptfußgängerzone.

Stadtumbau im Fluss: Das Rathaus glänzt nicht nur außen wieder. In der Grubenstraße (rechts) fließt nun Wasser, wo früher Züge zum Hafen fuhren.

Dreht man sich nach Süden, gerät die Richtung Hauptbahnhof führende Steinstraße ins Blickfeld. „Sie wurde nach Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg verbreitert und das his­torische Steintor wurde Anfang der 50er-Jahre umfassend restauriert, da auch dieses stärkere Kriegsschäden erlitten hatte“, erklärt Buttler. Auch das alte Rathaus an der östlichen Platzseite steht noch.

Das Äußere ist barock, das Innere gotisch – was nach der Sanierung durch die Rostocker Architektinnen Albert & Beyer, die gleich nebenan unter der Adresse „Hinter dem Rathaus“ residieren, jetzt wieder zur Geltung kommt. Walter + Planer aus Rostock ergänzten es mit zeitgemäß-funktionaler Innenarchitektur, unter anderem geschickt ausklappbaren Garderoben. „Diese Verbindung des Alten mit neuen Elementen ist wichtig für die Ablesbarkeit von Stadtgeschichte. Das hier etwas neu ist, kann man ruhig zeigen“, sagt Ursula Jastram, während sie und Buttler einige Schritte ins Nachbargebäude hochgehen.

Ihr Büro hat den Anbau an das Rathaus aus den 50er-Jahren saniert und funktional erweitert. Sie bauten das Dach aus, senkten das Erdgeschoss auf Höhe des Alten Marktes ab und ergänzten ein Treppenhaus. „Zuvor war der Abriss erwogen worden. Aber wozu? Es ist gute Bausubstanz und repräsentiert eine Epoche“, meint Buttler. Der Besuch lohnt aus zwei weiteren Gründen: Von der vierten Etage bietet sich ein schöner Blick über die Stadt. „Und im Untergeschoss gibt es mit dem Ratskeller ein Restaurant in historischen Räumen“, so Jastram.

Sakrale Seemarke

Zurück auf dem Alten Markt, wandert der Blick jetzt nach Norden. Dieser Bereich ist unbebaut. „Es gab schon Bemühungen für einen neuen Wettbewerb, damit die Nordseite des Platzes wieder geschlossen wird, aber durchgeführt und entstanden ist bisher noch nichts“, erzählt Jastram.

Das ist an dieser Stelle auch eine besondere Herausforderung, denn neben dem potenziellen Baufeld steht die Hauptkirche der Stadt: St. Marien, erstmals 1232 erwähnt, ein gewaltiger Bau mit einer Deckenhöhe von 31,5 Metern und bis zu 26 Meter hohen Buntglasfenstern. „Unsere Kirchen sind so hoch, da die Türme früher auch als Seezeichen dienten“, erklärt Jastram. Zur reichen Innenausstattung gehört die aufwendig gestaltete Kanzel von Rudolf Stockmann aus dem 16. Jahrhundert, die „schon durch die Fülle ihrer Bilder predigt, auch wenn kein Pastor daraufsteht“, wie der Förderverein in einer Veröffentlichung treffend formuliert. Eine weitere beeindruckende Arbeit zeigt Frank Sakowski, Vorsitzender des Vorstands und leitender Restaurator, hinter dem Hochaltar im Chorumgang.

„Die astronomische Uhr von 1472 ist weitestgehend original erhalten und voll in Funktion – noch. Bis 2017 zeigt sie den Stand von Mond und Sternen. Dann muss sie ersetzt werden, wenn sie weiter funktionieren soll“, erzählt er.

Wieder draußen, gehen Jastram und Buttler in Richtung Rathaus zurück, daran allerdings nun rechts vorbei. Auf der anderen Straßenseite liegt die „Weinwirtschaft“ im Erdgeschoss des Hotels Sonne. „Hier gibt es eine sehr gelungene Auswahl an guten Tropfen und Sie können gemütlich dort sitzen“, empfiehlt Jastram (siehe „Entspannend“).

Heute zieht es die beiden Architekten aber weiter: vorbei am Standesamt aus dem 15. Jahrhundert, früher Kerkhoffhaus genannt, mit aufwendigen Terrakottaverzierungen der Front, die seit dem 16. Jahrhundert das Gebäude schmücken. Jastram und Buttler überqueren die Grubenstraße, in der bis Anfang der 90er-Jahre ein Gleis bis zum Hafen führte. Die Schienen sind nun zurückgebaut. Ein Wasserlauf hat an dieser Stelle als symbolische Grube seinen Platz gefunden.

Umbau statt Abriss: die Nikolaikirche, die Hochschule für Musik und Theater sowie zwei Silos.

Direkter Draht nach oben

Auch hier halten sich die Architekten nicht lange auf. Ihr Ziel ist die ein paar Meter entfernt liegende Nikolaikirche, die 1985 eine ungewöhnliche Umnutzung erfuhr: Der Kirchturm wurde für Büros umgebaut. Und in das Hallendach sind zahlreiche Balkone eingebaut. Auf drei Etagen beherbergt die gotische Schräge 13 Wohnungen und einige Gästezimmer. Die an die Balkone geschraubten Satellitenschüsseln sind gewöhnungsbedürftig. Dazu kommen inzwischen Solarzellen auf einer Fläche von 134 Quadratmetern, die am Dach befestigt sind. „Der darunter wiederhergestellte Kirchenraum wird heute wegen seiner Qualität intensiv für Konzerte und Kulturveranstaltungen genutzt und entsprechend seltener für Gottesdienste“, berichtet Buttler.

Historische Bausubstanz und Stadtbilder zu DDR-Zeiten weiterzuentwickeln – dafür ist die Nikolaikirche ein Zeugnis. Ebenso wie das Fünfgiebelhaus am Universitätsplatz. Peter Baumbach plante es in modifizierter Großplattenbauweise. Auch Maik Buttler hat neben der Nikolaikirche die historische Struktur aufgenommen – mit zwei Einfamilienhäusern, nach dem Vorbild dieses Viertels, aber in heutigen Materialien neu interpretiert.Auf dem Weg in Richtung Stadthafen erzählen er und Jastram von den Wohnwünschen der Rostocker: „In der Nachwende waren die Außenbezirke viel beliebter.

Hier entstanden zahlreiche Neubaugebiete mit Einfamilienhäusern. Jetzt ziehen die Leute wieder Richtung Mitte“, erklärt Jastram. So sollen direkt an der Oberwarnow, die kurz darauf am Hafen in die Unterwarnow fließt, zwei neue Quartiere die Stadt verdichten. Eines ist schon konkret geplant. Vorne, auf der 83 000 Quadratmeter großen, sogenannten „Holzhalbinsel“, baut ein Investor das „Karavelle-Quartier“. Wohnungen, Büros und Ladenlokalen sowie eine Schule und ein Hotel sollen entstehen und „ein komplett neues Viertel schaffen“, so der Werbetext. Noch sieht man aber nicht viel davon.

Vor den Silos: Figurengruppe „Reisende“ von Jo Jastram.

Ein kleines Stück weiter am Stadthafen ist dagegen schon eine neue Anlaufstelle entstanden – nicht in erster Linie für Schiffe, sondern für Mitarbeiter verschiedener Unternehmen, die hier nun ihren Arbeitsplatz haben. Auch Jastram und Buttler steuern den Bereich jetzt an. Aus alten Silos werden „Businesscenter“ in repräsentativer Lage am Wasser. Zum Auftakt der Erneuerung dieses Bereichs bauten, erweiterten und verbanden Beyer und Partner aus Rostock zwei dieser Speicher aus den Dreißigerjahren. Hier hat sich unter anderem die Verwaltung einer der größten deutschen Reedereien angesiedelt. „Das ist wohl nur der Anfang. Wir gehen von einer weiteren Entwicklung am Wasser aus, diese ist ständig in der Diskussion. Aber es ist ganz gut, wenn es sich schrittweise in die richtige Richtung bewegt. Dann können wir auch von den Erfahrungen der anderen Städte profitieren“, sagt Jastram gelassen. So lange genießen die Rostocker schon einmal den Ausblick über Stadt und Hafen. Die großen Fens­ter des Restaurants „Silo 4“ in der obersten Etage des Speichers bieten sich bestens dazu an (siehe „Kulinarisch“).

Musik und Ruhe

Nach kurzem Innehalten gehen die Architekten weiter zur Hochschule für Musik und Theater. Das ehemalige Franziskanerkloster Katharinenstift aus dem 13. Jahrhundert wurde für die Umnutzung zur Bildungsstätte restauriert und durch neue Gebäudeteile ergänzt. Bei einer europaweiten Ausschreibung hatte das Architekturbüro Braun & Voigt aus Frankfurt am Main den ersten Preis gewonnen und den Auftrag erhalten. Entstanden sind zahlreiche Unterrichts- und Proberäume, Musiksäle, eine Mensa und ein Innenhof, der auch für Freilichtveranstaltungen ausgestattet ist. Beim Gang um das und im Gebäude können die Architekten immer wieder Instrumente spielen hören: „Hier wurden wunderbare Räume für Klangerlebnisse geschaffen, denn die Grundhaltung der Planer stimmte – das Alte erhalten und durch Neues ergänzen“, flüstert Buttler und geht weiter.

Grüne Ruheinsel: Der Hof des Klosters zum heiligen Kreuz lädt zum entspannten Verweilen mitten in der Stadt ein.

Das im 13. Jahrhundert von Zisterzienserinnen gegründete Kloster zum heiligen Kreuz ist ein geschlossenes Bauensemble des Mittelalters mit einem lauschigen Hof zwischen Kloster- und Stadtmauer. Die dazugehörenden „Professorenhäuser“, umgebaut von Hass + Briese, beherbergen heute auch das Kempowski-Archiv (siehe „Kulturell“) und ein kleines Café. Sie sind weitere Argumente für den Besuch dieses Ortes, der sehr gut angenommen wird, auch von Jastram: „Wenn ich mal eine halbe Stunde dem Büro entfliehen muss, um wieder einen klaren Kopf zu kriegen, dann gehe ich hier hin. Dieser Ort hat wirklich eine heilende Wirkung.“

 

 

Kulinarisch

Silo 4 Restaurant und Bar im Rostocker Stadthafen. Herrliche Aussicht über Stadt und Wasser.

La Villa In Warnemünde, direkt am „Alten Strom“. Speisenqualität und Getränkeauswahl sind hier genauso gelungen wie die Innenarchitektur.

Café Panorama In der 19. Etage des Hotels Neptun in Warnemünde. Mit Blick aus 64 Metern Höhe kann man Kuchen und Torten aus der hauseigenen Patisserie genießen.

Kulturell

Schiffbau- und Schifffahrtsmuseum Einblicke in den Schiffbau und das Leben an Bord bietet ein umgenutzter Hochseefrachter im IGA Park am Ufer der Warnow.

Kröpeliner Tor Das prächtigste der einst 22 Stadt- und Wassertore Rostocks fungiert heute als stadtgeschichtliches Begegnungszentrum und dokumentiert die Rostocker Stadtbefestigung.

Kempowski-Archiv Werke von Walter Kempowski, bekannt durch die Romanreihe „Deutsche Chronik“. Kleines Museum im Klosterhof.

Entspannend

Steigenberger Hotel Sonne Viersternehotel, am Neuen Markt und somit am Eingang in die Fußgängerzone gelegen. Mit empfehlenswerter „Weinwirtschaft“.

Strand-Hotel Hübner Direkt am Strand gelegene Herberge, mit Blick auf Leuchtturm, Hafeneinfahrt und Promenade.

Feriendomizile Zahlreiche Häuser und Wohnungen in verschiedenster Ausstattung und Preislage.

Erlebenswert

Fischmarkt Am Warnemünder Strom bieten die Händler ihre Fischspezialitäten zum Kauf. Samstags und sonntags

Hanse Sail Rostock Zahlreiche Windjammer, Traditionssegler und Museumsschiffe zeigen sich zu einem der weltweit größten maritimen Feste. 6. bis 9. August

Kultur aus dem Hut Die Straßen werden zur Bühne. Gaukler und Akrobaten bevölkern die Stadt und zeigen vielfältige Kleinkunst. 21. und 22. August

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