Von Christina Gräwe
Zweieinhalb Stunden waren für den Wohngipfel im Bundeskanzleramt am 21. September eingeplant – ein schmales Zeitfenster angesichts des gewichtigen Themas: Wohnungsknappheit und ihre Gegenmaßnahmen. Dennoch ergriff Barbara Ettinger-Brinckmann die Gelegenheit, die Haltung und Forderungen der Architektenschaft vorzutragen. Orientiert an Ernst Blochs Definition von Architektur als Produktionsversuch von Heimat, forderte die BAK-Präsidentin die „bestmögliche Gestaltung von Wohnung und Wohnumfeld“. Angelehnt an die Leipzig-Charta zur europäischen Stadt heißt das Vielfalt und Dichte: gesellschaftlich-sozial, in den Nutzungen und in der Architektur selbst. Ihr Appell an die Politik: bei aller notwendigen Eile und Quantität nicht die Qualität aus dem Blick zu verlieren.
Nun vermisst man bei Veranstaltungen dieser Art häufig handlungsbefähigende Vorschläge. Solche lieferte die BAK – und wird es beispielsweise im Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen weiterhin tun, dessen Fortbestand gesichert ist. Außerdem wurde eine „Baulandkommission“ beschlossen, in der die BAK Partner werden soll. Denn eine ihrer zentralen Forderungen ist eine strategische Boden- und Baulandpolitik. Dafür muss das Rad nicht neu erfunden werden; worum es vor allem geht, ist, bewährte Modelle dorthin zu bringen, wo sie noch nicht greifen, und den Rahmen für ihre Weiterentwicklung und Umsetzung zu stecken. Das erfordert Umdenken und konkrete Schritte: Die Verantwortlichen beim Bund, in den Ländern und Kommunen müssen wieder lernen, ihre Bauherrenrolle ernst zu nehmen und für erschwingliche Grundstückspreise zu sorgen. So sollen jetzt bundeseigene Flächen preiswert an Kommunen verkauft und diese auch an private Investoren veräußert werden können, sofern der soziale Wohnungsbau Teil der Planungen ist.
Die Dezentralisierung der Maßnahmen erreicht auch Kleinstädte und ländliche Regionen, wo die Situation häufig umgekehrt ist: Den 1,5 Millionen Wohnungen, die Politik und Planung als Bedarf ermittelt und bis 2021 geschaffen haben wollen, stehen zwei Millionen leer stehende Wohnungen gegenüber. Barbara Ettinger-Brinckmann schlägt vor, das Baukindergeld in die Wiederbelebung solcher Situationen einschließlich begleitender Maßnahmen wie eine verbesserte Mobilität fließen zu lassen. An potenziellen Stadtflüchtigen mangelt es wohl nicht.
Zurück in die Ballungsräume, wohin der Zuzug dennoch nicht abreißt. Die Schlüsselworte hier lauten: mehr Dichte, weniger Regeln. Um „Flächenpotenziale wachzuküssen“, so Ettinger-Brinckmann, soll ein bundesweites Flächenkataster entstehen, denn viel Potenzial schlummert unerkannt vor sich hin. Dieser Punkt wurde beim Wohngipfel mit besonderem Interesse aufgenommen. Außerdem bedarf die Baunutzungsverordnung einer gründlichen Überarbeitung. Willkommene Schritte wären, sich wieder auf die enge Verzahnung zwischen Arbeiten und Wohnen zu besinnen, Abstandsflächen und Traufhöhen flexibler zu handhaben und durch neue Mobilitätskonzepte die Frage nach zusätzlichen Stellplätzen hintanzustellen. Wohnungsknappheit hat nicht ausschließlich mit zu wenig Fläche zu tun. Die ist – auch in Ballungsräumen – vorhanden, aber zu teuer. Ein Instrument, das als „Hamburger Modell“ erfolgreich praktiziert wird, lautet Konzeptvergabe: Grundstücke werden nicht nach dem höchsten Gebot, sondern nach dem schlüssigsten Bebauungskonzept vergeben, etwa an Genossen- oder Baugemeinschaften. Aufstockungen sind ein probates Instrument, weil keine neue Fläche versiegelt und die Energieeffizienz verbessert wird. Die notwendige Infrastruktur ist bereits vorhanden. Die Vorteile liegen auf der Hand – Wildwuchs aber ist nicht das Ziel: Jede Situation ist individuell zu prüfen und auch die betroffene Nachbarschaft zu beteiligen.
Eine weitere Kostenverschlankungsmaßnahme, die derzeit kontrovers diskutiert wird, ist der serielle Wohnungsbau: beileibe keine Neuerfindung. Anspruchsvolle Architektur sowie eine gelungene städtebauliche Einbindung sind auch beim modularen Bauen möglich und unverzichtbar. Allerdings ist dies nur ein Mittel unter vielen, so Barbara Ettinger-Brinckmann. Wichtig für die Umsetzung ist insbesondere, Wettbewerbsauslobungen entsprechend zu formulieren und schon in der sogenannten Leistungsphase Null fachübergreifend zu planen.
Die Nachverdichtung verspricht insgesamt den eindrucksvollen Zuwachs von rund 1,1 Millionen Wohnungen. Diese Chance dürfen Politik und Planung nicht vergeben. Barbara Ettinger-Brinckmann ist zuversichtlich, dass es auch in der Praxis und mit dem gebündelten Expertenwissen der BAK in den wichtigen Gremien weitergeht. Denn: „Die Erwartungshaltung ist jetzt bei allen Akteuren hoch, die Politik kann nicht mehr dahinter zurück.“
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