Nils Hille
Wo wir gerade einfach vorbeilaufen, da bleiben die Besucher unserer Stadt beeindruckt stehen“, sagt Professor Bernd Rudolf. Der Dekan der Architekturfakultät steht im Treppenhaus des Hauptgebäudes „seiner“ Bauhaus-Universität Weimar. Er zeigt auf den ellipsenförmigen Weg nach oben in dem von Henry van de Velde gebauten Haus und auf die Plastik „Eva“ von Auguste Rodin, die im „Auge“ der Treppe steht.
„Es ist wohl einer der schönsten Räume Weimars, den wir täglich benutzen, natürlich auch gemeinsam mit den Touristen“, schwärmt Rudolf und scheint froh zu sein, zum Anlass dieser Tour den Ort selbst wieder einmal wie ein Besucher wahrnehmen zu können. Und er liefert gleich eines von vielen Beispielen, wo sich besondere Orte in Weimar mit Alltäglichkeiten überlagern. Goethe, Schiller, Liszt – an Spuren berühmter Personen, auf denen man durch die Stadt wandern kann, mangelt es Weimar sicher nicht. Zum 90. Geburtstag des in Weimar gegründeten und bis 1925 hier ansässigen Bauhauses, der im kommenden Jahr vielfältig gefeiert wird, will Rudolf sich bei seiner Führung eher an Walter Gropius orientieren, aber auch andere Architektur nicht unbeachtet lassen.
Zuerst aber Bauhaus pur: Unsere nächste Station ist Gropius’ rekonstruiertes Direktorenzimmer, das sich unscheinbar hinter einer der vielen großen dunklen Holztüren in der ersten Etage der Universität befindet. Durch Fotografien und Reste von Materialien, wie Farben an und Dübel in den Wänden, wurde das Zimmer mit viel Mühe originalgetreu wiederhergestellt.
Auch der Wandteppich versucht das damalige Muster wiederaufzunehmen – es war allerdings nur auf einem historischen Foto als Spiegelung in der gläsernen Schreibtischablage zu erkennen. Der Blick im Raum nach oben führt zu einer Konstruktion, die zum ersten Mal einen länglichen Lichtkörper integrierte. „Diese Anhäufung von auratischer Intensität gibt es nur hier“, sagt Rudolf. Doch wer glaubt, dass das Zimmer nach sorgfältiger Rekonstruktion wie ein Ausstellungsobjekt eines Museums geschützt wird, der irrt. Der Raum dient als Arbeitszimmer für Gastprofessoren, die so in einer besonderen Atmosphäre arbeiten dürfen. „Das ist der Vorteil einer Nachbildung im Gegensatz zum Original. Der Raum steht allen Besuchern im Rahmen unserer Bauhaus-Spaziergänge oder nach Anruf offen“, verspricht Rudolf (siehe „Erlebenswert“).
Schwarzbrot statt Sahnetorte
Hinter dem Gründungsort des Bauhauses stehen zwei moderne Kubenbauten von AV1 Architekten aus Kaiserslautern, die den Studenten dienen. „Ursprünglich waren 13 solcher Gebäude geplant. Nun werden wir anlässlich des Bauhausjubiläums auf einigen der freien Baufelder architektonisch experimentieren. Das wird aber Schwarzbrot und keine Sahnetorte, wie mein Kollege Professor Stamm-Teske gerne sagt“, so Rudolf. Damit meint er, dass sie ohne eigenes Geld, sondern nur durch Spenden, unter anderem von Baustofflieferanten, versuchen werden, weitere Kuben entstehen zu lassen. Wenn alles nach ihren Hoffnungen läuft, wird je ein Würfel aus Beton, Holz, Stahl und Kunststoff gebaut. „Ab Juni nächsten Jahres könnte etwas zu sehen sein. Eine Baustelle auf dem Campus würde mich schon glücklich machen“, so der Dekan.
Von der Uni, die mitten in der Stadt liegt, ist es nicht weit zu deren Hauptbibliothek, die Rudolf als Nächstes ansteuert. Auf dem Gelände einer ehemaligen Brauerei sind rund 5 000 Quadratmeter Hauptnutzfläche inklusive des zentralen Hörsaals der Universität entstanden. Meck Architekten aus München realisierten das zweiflügelige Gebäude, das in einen Benutzungs- und einen Mitarbeiterbereich klar aufgeteilt ist, und bekamen dafür den Thüringer Staatspreis für Architektur und Städtebau 2006.
Innen wird vor allem die nutzerorientierte Gestaltung deutlich, unter anderem durch die zahlreichen „Carrels“, akustisch abgeschirmte, helle Arbeitsräume für die Studenten.Momentan werden die Hauptbibliothek und ein Nebengebäude, früher Sitz eines Getränkekombinats, das nun als Zweigbibliothek dient, im ersten Untergeschoss miteinander verbunden. Der neu aufgesetzte gläserne Dachpavillon des Nebengebäudes von Bernd Rudolf und seinem Weimarer Kollegen Torsten Brecht bietet einen guten Blick über die Innenstadt.
Ruhe!
Vorbei geht es am, so Rudolf, „wohl millionenfach fotografierten“ Goethe- und Schiller-Denkmal vor dem Nationaltheater und dem gegenüberliegenden Bauhaus-Museum, das ein neues Gebäude in Weimar bekommen soll. „Verschiedene Optionen werden diskutiert. Die Klassik Stiftung sieht es in einem Neubau am heutigen Standort. Die Bauhaus-Universität preferiert es vis-à-vis ihrem Hauptgebäude. Bis 2010 soll ein Wettbewerb Klärung bringen. Wir sind gespannt“, sagt Rudolf und führt weiter zu dem Kasseturm. Dieser wurde um 1500 gebaut und ist Teil der ehemaligen Stadtmauer von Weimar. Im 18. Jahrhundert baute Anton Georg Hauptmann ihn umfangreich zu seiner jetzigen Gestalt mit dem Obergeschoss in Fachwerk und einem Spitzdach um. „Seit 1962 dient er als Studentenclub. Der Vorteil ist, dass man darin so viel Lärm machen kann, wie man will“, so Rudolf.
An vielen Stellen entsteht der Eindruck, alle Wände in Weimar wären ungewöhnlich dick. Auf Plätzen und in Gassen der Innenstadt fällt immer wieder die dort herrschende Stille auf. Auch an unserem nächsten Ort ist das so. Das Congress Centrum Neue Weimarhalle von gmp Architekten mit dem angrenzenden Park bietet innerstädtische Entspannung. Eigentlich sollte die Substanz der alten Halle erhalten bleiben, doch bei den Sanierungsarbeiten wurde festgestellt, dass Abriss und Neubau die einzige Lösung waren.
„Ein Ort, der klingt. Es lohnt sich, darin die Weimarer Staatskapelle zu hören. Am besten plant man seinen Weimarbesuch um einem Konzerttermin herum“, empfiehlt Rudolf. Direkt neben der Halle befindet sich das Stadtmuseum (siehe „Kulturell“), das im klassizistischen Bertuchhaus, benannt nach seinem Erbauer Friedrich Justin Bertuch, seinen Platz gefunden hat. Die 1500 gebaute Stadtkirche St. Peter und Paul am Herderplatz, an der Rudolf danach vorbeiführt, verdeckt einen weiteren Lieblingsort von ihm: „Der ehemalige Nutz- und Ziergarten Johann Gottfried Herders, ein kleines Paradies.“
Unterirdischer Neubau
Das moderne Studienzentrum, neuster Teil der berühmten Herzogin Anna Amalia Bibliothek, deren Restaurierung nach dem verheerenden Brand 2004 vor gut einem Jahr abgeschlossen werden konnte, ist das nächste Ziel (siehe „Kulturell“). Ein Kubus, der in eine Furche des historischen Schlossbaus eingesetzt wurde, wirkt von außen unauffällig, bietet innen aber großzügigen Platz für Bücher und Besucher. Die Architekten Barz-Malfatti und Schmitz konnten sich bei dem Wettbewerb mit ihrer Lösung durchsetzen.
Sie hatten eine Möglichkeit gefunden, die umfangreiche Erweiterung, deren Volumen ein Vielfaches des historischen Gebäudes ausmacht, innerhalb des denkmalgeschützten Schlösserbezirks städtebaulich zurückhaltend einzufügen. Die Umnutzung von sieben Bestands- sowie zwei oberirdischen und drei unterirdischen Neubauten machte dies möglich. „Der Raum der Studiensammlung spricht die überzeugend klare und ruhige Sprache der Architekten. Eine unvorteilhafte Überbauung am Roten Schloss wurde durch die großzügige Unterkellerung vermieden“, so Rudolf.
Auch der Park an der Ilm, durch den er nun führt, ist fast von Bebauung verschont geblieben. „Das Römische Haus und das Grün sind die gebaute Italiensehnsucht Goethes.“ Um 1850 prägte den Park allerdings auch Hermann von Pückler-Muskau. Am anderen Flussufer findet sich das Gartenhaus des Dichters, das er 1776 bezog. Auch wenn er nur kurz darin wohnte, nutzte er die dortige Ruhe immer wieder zum Arbeiten. Das Duplikat von 1999, als Weimar europäische Kulturhauptstadt war, ist allerdings wieder abgebaut.
Maßstab 1:1
Bergauf findet sich der Bauhausklassiker Haus am Horn. Der Maler Georg Muche ließ es nach seinen Vorstellungen 1923 bauen. Es diente als Versuchshaus für neue Materialien wie Torfplatten für die Dämmung der mehrschaligen Wände und Decken. „So entstand ein Modell des zukünftigen Neuen Bauens als Lebensentwurf der Moderne im Maßstab 1:1. Die Sanierung folgte dem Konzept, die ursprüngliche Vision des Versuchshauses zu rekonstruieren und auf die denkmalpflegerische Aufwertung der zwischenzeitlichen Anbauten zu verzichten“, erklärt Rudolf.
Viel diskutiert wie das Haus am Horn 1923 wurde auch die Neubausiedlung in der Nähe, die sich durch ihre ausschließlich würfelförmigen Gebäude markant abhebt. Zahlreiche Architekten, wie auch Rudolf, nahmen die Herausforderung eines ziemlich stringenten B-Plans an: „Geräumig sollten sie sein, aber keine Dächer haben.“ Seit fünf Jahren wachsen die Kuben. Alle Grundstücke sind mittlerweile verkauft, obwohl es nur private Bauherren in dieser Siedlung gibt. Ein optisch am Bauhaus orientiertes Erfolgsmodell – fast 90 Jahre nach seiner Gründung.
Kulinarisch
Crêperie du Palais Kleines Restaurant mit einer großen Auswahl an herzhaften Galettes aus Buchweizenmehl.
Gastmahl des Meeres Fischrestaurant als ein Stück der historischen Altstadt, gegenüber der Stadtkirche.
Residenz-Café Das älteste, heute noch bestehende Kaffeehaus Weimars mit großer Frühstückskarte.
Kulturell
Stadtmuseum Geschichte der über 1100 Jahre alten Stadt auf drei Etagen. 2006 nach Renovierung wiederöffnet.
Bauhaus-Museum Eine der weltweit größten Ausstellungen, zurzeit am Theaterplatz gegenüber dem Goethe-Schiller-Denkmal.
Herzogin Anna Amalia Bibliothek Im 18. Jahrhundert umgebautes „Grünes Schloss“ mit umgestaltetem dreigeschossigem Saal im Stil des Rokoko (Bild). Langfristige Voranmeldung empfohlen.
Entspannend
Russischer Hof Über 200 Jahre altes 5-Sterne-Luxushotel mit denkmalgeschützter klassizistischer Fassade.
Art Hotel Weimar Im Bauhaus-Stil eingerichtetes Designhotel mit moderner Kunst und Wechselausstellungen in Villengegend.
Dorint am Goethepark Zentrales 4-Sterne-Superiorhotel mit Jugendstil- und Bauhaus-Elementen und großem Wellnessangebot.
Erlebenswert
Bauhaus-Jahr 2009 Zahlreiche Ausstellungen und Veranstaltungen zum 90. Geburtstag des Bauhauses. Auch spezielle Kunst- und Architekturreisen werden angeboten.
Bauhaus-Spaziergänge Studenten führen durch die Bauhaus-Universität und in einer großen Tour zusätzlich auch zum Ilmpark sowie zum Haus am Horn.
Zauber der Musik Regelmäßige Konzertreihe des Mitteldeutschen Rundfunks in der Neuen Weimarhalle mit diversen Künstlern.
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