John Madin: Birmingham City Library, Birmingham, Großbritannien, 1969–1973, 2016 abgerissen
Von Heiko Haberle
Diese Ausstellung ist ein Meilenstein: Nicht nur, dass sie eine lange geringgeschätzte Architektursprache endgültig rehabilitiert, schafft sie dabei noch den Spagat zwischen Fachwelt und Popkultur. Um die Ausstellung herum gelingt das mit viel Aktivität in sozialen Netzwerken, auf denen brutalistische Fundstücke ohnehin gerade regelrecht zelebriert werden, und einer eigenen Projektdatenbank. In Vorbereitung auf die Ausstellung hatten das DAM und die Wüstenrot Stiftung die Website SOS Brutalismus aufgebaut, an der Fans der Betonarchitektur aus aller Welt aktiv mitwirken. So entstand bereits eine umfangreiche Sammlung von Bildern, Standorten und wichtigen Informationen, die insbesondere für bedrohte Bauten entscheidend sein können.
Die Ausstellung im DAM beeindruckt mit Modellen aus Pappe oder Beton in verschiedenen Maßstäben
In der Ausstellung selbst gelingt der Spagat dank einer übersichtlichen und umso eingängigeren Präsentation. Viel Lesen muss man hier nicht, denn die Informationen transportieren sich gänzlich über die kurzen Texte, die vielen bauzeitlichen wie aktuellen Fotos sowie Modelle in unterschiedlichen Größen und Materialien. Um zu verstehen, wie ablehnend bereits damals Politik und Presse dem Beton gegenüber standen, reichen markige Zitate, die von „brutaler Hässlichkeit“, „breiig-schmierigen und charakterlosen Massen“ oder einer „betonierten Ostseeküste“ sprechen. Um andererseits zu verstehen, wie stolz dann viele Kommunen doch insbesondere auf ihre neuen Rathäuser oder Kulturzentren waren, reicht eine Sammlung eingesandter Postkarten mit Architekturmotiven – etwa aus Pforzheim, das derzeit den Umbau seines Nachkriegs-Zentrums angeht. Eine lange Reihe kleiner Betonmodelle, die Studenten der TU Kaiserslautern anfertigten, unterstreichen die Skulpturalität dieser Architektur. Ebenfalls in Kaiserslautern gebaute Modelle aus grobem Karton im Maßstab 1:20 betonen die konstruktiven Aspekte und dominieren dabei ganz selbstverständlich den Ausstellungsraum.
Victor Leviash / Naum Matusevich: Gebäude 5, Elektrotechnisches Institut Leningrad (heute: Saint Petersburg Electrotechnical University), Sankt Petersburg, Russland, 1965–1975
Der Horizont ist nicht kleiner als weltweit gefasst. Dabei ist jeder Erdregion oder jedem wichtigen Land nur eine Schautafel mit wenigen Beispielen gewidmet. Zwangsläufig wird der Experte dabei wichtige Gebäude aus Deutschland oder Europa vermissen und womöglich auch den Begriff Brutalismus als nicht ganz wissenschaftlich korrekt angewandt empfinden. Doch das neu eröffnete Panorama einer eigentlich eher als Nischen-Architektur empfundenen Bauweise entschädigt dafür allemal. Hinzu kommen interessante Randinformationen, die laienverständlich etwa über verschiedene Methoden der Verschalung oder der Beton-Nachbearbeitung informieren. Dass das „Tabu“ begangen wurde, komplett auf Pläne zu verzichten, macht „SOS Brutalismus“ nur noch relevanter. Mit dieser Ausstellung könnte es endlich gelingen, die Wertschätzung der „Beton-Monster“ aus der Fachwelt und aus der zwar wachsenden aber vor allem bildverliebten Fangemeinde auf Instagram und Co. hinaus in eine breite Öffentlichkeit zu tragen.
Die Ausstellung ist noch bis zum 2. April 2018 im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt am Main zu sehen.
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