Brücken verbinden. An ihnen scheiden sich bisweilen aber auch die Geister. Europas derzeit größtes Brücken-bauwerk, die Hochmoselbrücke, die seit Kurzem das von steilen Weinbergen gerahmte mittlere Moseltal überspannt und im Lauf des Jahres (nach abschließender Asphaltierung) für den Verkehr eröffnet wird, ist der klassische Fall eines Projekts, bei dem die Beteiligten – Anwohner und Naturschützer, Politiker und Verkehrsexperten – sich über Jahrzehnte mit-, oder besser gesagt: ineinander verhakten, über Vogelschutzgebiete, Landschaftsbilder, Riesling-Lagen und Bodenbewegungen diskutierten, vor Gericht stritten, tiefer bohrten, ingenieurtechnische Rekorde erzielten und schließlich eine Lösung fanden. Wie man diese gestalterisch bewertet, ob als vorzeigbaren Kompromiss oder versäumte Chance, dürfte je nach Standpunkt differieren; ein Kompromiss stellt bekanntlich nie alle komplett zufrieden. In jedem Fall spiegelt die neue Moselbrücke die strukturellen Schwierigkeiten eines Großprojekts in Deutschland wider. Darüber hinaus wirft sie Fragen auf zum Stellenwert von Architektur und Gestaltung innerhalb der Hierarchie der Werte bei öffentlichen Großprojekten.
Ingenieurtechnische Superlative
Mit einer Länge von 1.702 Metern, bis zu 160 Metern Höhe, einer Bauzeit von acht Jahren und rund 480 Millionen Euro Baukosten hat die Hochmoselbrücke in jeder Hinsicht stolze Dimensionen. Aus der Froschperspektive ist das ingenieurtechnisch höchst anspruchsvolle Bauwerk, das auf zwei Widerlagern und zehn Pfeilern ruht, von imposanter Kühnheit, aus der Entfernung wirkt die Balkenbrücke eher ein wenig staksig. Ihre Befürworter, allen voran der Bund als Bauherr, betonten stets die Verkehrsfunktion: Als Teil eines 25 Kilometer langen Straßenneubauprojektes mit insgesamt 42 Brücken und einem Tunnel stellt der Hochmoselübergang ein Infrastrukturprojekt dar, das bis in die benachbarten Beneluxländer ausstrahlen und europäische Bedeutung besitzen soll. Pläne dazu reichen bis in die 1960er-Jahre zurück.
Umfangreich waren vor allem die Vorbereitungen und Begleitmaßnahmen: 40.000 Kubikmeter Beton für die Pfeiler wurden verbaut. Der Rohstahl für den 29 Meter breiten Stahlüberbau, im Saarland gegossen, wurde in Hannover und im Elsass verarbeitet. Die Lieferung der Teile von dort erfolgte in 1.000 nächtlichen, Polizei-eskortierten Lkw-Transporten (das maximale Transportgewicht dafür liegt bei 100 Tonnen). Sie wurden vor Ort auf dem Montageplatz in Form von 25 Meter langen Hohlkästen zusammengeschweißt. Der Brückenbau selbst erfolgte in einem in diesem Fall besonders aufwendigen sogenannten Taktschiebeverfahren (siehe Textende).
Sicherheit und Verschleiß
Zuvor waren die zehn Stahlbetonpfeiler mit Höhen von circa 20 bis 160 Metern errichtet worden. Sie sind auf bis zu 47 Metern tiefen Bohrpfählen gegründet und wurden mit einer Selbstkletterschalung hergestellt. Ihre Sicherheit war insbesondere auf der Eifelseite wegen dort festgestellter Erdverformungen in 22 Metern Tiefe umstritten. Sechs zusätzliche unterirdische Betonsäulen waren erforderlich, um für alle Eventualitäten gerüstet zu sein. Die Brückenpfeiler selbst sind innen hohl und können, da mit einem Aufzug zugänglich, auf Solidität und Verschleiß leicht überprüft werden. Dafür sind insbesondere Anzahl und Verknotung der stählernen Bewehrungsstäbe entscheidend. Die derzeit infolge überhöhter Brückenbelastung viel diskutierte Brückenmisere, die zahlreiche Autobahnbrücken in Deutschland lahmlegt, hat genau hier, beim Abstand zwischen Stahlbewehrung und Betonoberfläche, ihre Achillesferse. Heute, erläutert beim Baustellenrundgang Christoph Schinhofen, Bauaufseher des Landesbaubetriebs Rheinland-Pfalz, sei der vorgeschriebene Mindestabstand zwischen Bewehrungsstahl und Betonoberfläche, der vor Feuchtigkeit und Erosion schützt, drei- bis viermal so hoch wie in den Bauzeiten vieler der Brücken, die heute sanierungsbedürftig sind. Dies mache neben der Qualität des Betons den Sicherheitsunter-schied gegenüber früheren Brückengenerationen aus.
Streitfragen und Widerstände
Während die Anwohner allem Anschein nach die neue Brücke vor allem im Hinblick auf die Entlastung vom Lkw-Verkehr, der sich durch die engen Straßen windet, sowie in der Hoffnung auf neue Touristengruppen begrüßen, blieb die ökonomische Notwendigkeit der Schnellstraßenverbindung zwischen dem Rhein-Main-Gebiet und den Beneluxländern nicht ganz so offensichtlich. Ob die politischen Festreden von der „Vollendung einer Verkehrsachse von europäischer Bedeutung“ und einem „Statement“ für den freien Warenverkehr, die beim Brückenschlag im vergangenen Sommer gehalten wurden, mit konkreten Zahlen unterfüttert werden können, wird die Zukunft zeigen. Eine 2008 in Auftrag gegebene Untersuchung zum Verkehrsaufkommen prognostiziert circa 25.000 Kfz pro Tag jedenfalls für das Jahr 2025. (Zum Vergleich: Die Leverkusener Rheinbrücke überqueren 120.000 Fahrzeuge pro Tag.) Den Planfeststellungsbeschlüssen für das Projekt aus dem Jahr 2000 folgten schließlich Einsprüche des Bundes für Umwelt und Naturschutz wegen der Gefährdung von Vogelschutzgebieten durch den Straßenneubau, denen 2007 durch Korrekturmaßnahmen entsprochen wurde.
Der wichtigste Punkt aber blieb und bleibt der Konflikt zwischen dem baulichen Eingriff und dem Erhalt eines Landschaftsbildes, das ähnlich wie am Mittelrhein geradezu national-typische Züge besitzt. Anders als das Obere Mittelrheintal genießt das Moseltal jedoch keinen von der UNESCO überwachten Schutzstatus. Vielleicht war dies mit ein Grund dafür, an der Mosel keinen Wettbewerb durchzuführen, der die ingenieurtechnische, architektonisch-gestalterische und die landschaftsarchitektonische Seite miteinander verbunden hätte, wie dies angesichts der Größe und Lage des Projekts an sich nahegelegen hätte. Beim Wettbewerbsentwurf von 2009 für die Mittelrheinbrücke der Architekten Heneghan Peng aus Irland hätte man die Variante einer Brücke in Flusshöhe studieren können. Auch diese Lösung hätte Probleme vor allem der Anbindung mit sich gebracht, doch erscheint fraglich, ob man heute noch ein Verfahren ganz ohne gestalterische Alternativen verfolgen würde.
Stattdessen gab es hinsichtlich der Gestaltung stets eine einfache Vorgabe: Transparent, optisch zurückhaltend und wenig störend sollte die Brücke sein. Das Düsseldorfer Ingenieurbüro Schüßler-Plan entsprach dem durch den Entwurf einer einfachen Balkenbrücke, deren zehn Pfeiler im Volumen so weit wie möglich reduziert und auf gleicher Höhe in Querrichtung auf 9,5 Meter tailliert wurden. Die Pfeiler sind elegant, keine Frage, auch der Stahlüberbau ist nicht mehr als ein schmaler Strich in der Landschaft. Doch lassen sich die immerhin zehn mächtigen Pfeiler eben auch nicht verstecken. Statt an diesem Punkt eine gestalterisch anspruchsvollere Lösung zu wagen – man vergleiche etwa Norman Fosters beeindruckende Hängeseil-Konstruktion am Millau-Viadukt in Südfrankreich –, setzte man an der Mosel offenbar darauf, im Hinblick vor allem auf die Kritiker möglichst wenig aufzufallen. Dass dieser Ansatz letztlich die gewünschte Wirkung doch nicht ganz erzielt, fällt zumindest auf den zweiten Blick auf.
Gleichwohl, vieles wurde getan, um Bedenken zu zerstreuen: 600 Hektar wurden durch landespflegerische Maßnahmen neu gestaltet. 35 Millionen Euro flossen in Naturschutzprojekte und Ausgleichsmaßnahmen. Schließlich erfolgte ein Wettbewerb zur Gestaltung eines Rast- und Aussichtsplatzes an der Hangkante auf der Südseite, den die Landschaftsarchitekten Kraft.Raum. aus Krefeld mit einem sensibel in die Landschaft gesetzten Aussichtssteg gewannen.
Was bleibt? Die ingenieurtechnisch sicherlich anspruchsvolle Moselbrücke als Weiterentwicklung einer Kulturlandschaft, gewissermaßen als die natürliche Entwicklungsstufe einer Landschaft des 21. Jahrhunderts, zu begreifen, fällt angesichts des gefundenen Kompromisses nicht leicht. Die Anwohner übrigens, die sich mit dem Anblick über die Jahre vertraut machen konnten, sollen, so heißt es vor Ort, den Abbau des Behelfs-Pylons, der dem Bauwerk wie bei einer Hängeseilbrücke eine vertikale Ergänzung nach oben gegeben hatte, aus ästhetischen Gründen sogar bedauert haben; der Blick und das gestalterische Urteil gewinnen offensichtlich erst mit der Zeit an Klarheit und Prägnanz. Auch deshalb sind bei Projekten dieser Größenordnung und Bedeutung gestalterische Überlegungen nicht zuletzt in Form von Wettbewerben in jedem Fall die bessere Lösung.
Mit Takt verschieben
Beim Taktschiebeverfahren wurde die bis zu 7,80 Meter hohe Stahlkonstruktion von einer Seite aus – der südlichen Hunsrückseite – in 13 Schüben Stück für Stück über sämtliche Pfeiler auf die Eifelseite geschoben – auf einem aus Edelstahlplatten bestehenden und zur besseren Gleitfähigkeit mit Teflon beschichteten Verschubschlitten, der auf jedem Pfeiler installiert werden musste. Ein Schub mit 210 Metern Länge markierte hierbei einen Weltrekord. Hierzu wurde als Hilfskonstruktion ein 80 Meter hoher und über 600 Tonnen schwerer Montagepylon-Turm errichtet, dessen Aufgabe es war, die beim Schubvorgang bis zum jeweils nächsten Pfeilerkopf unvermeidliche Durchbiegung des Stahlüberbaus auf ein genau festgelegtes Maß zu reduzieren; wobei der Stahlüberbau, der auf etwas erhöhter Ebene verschoben wird (der Schubvorgang erfolgt mit einer Geschwindigkeit von bis zu vier Metern in der Stunde) schließlich auf die exakt vorgesehene Höhenlage abgesenkt wird.
Mehr Beiträge zum Thema finden Sie in unserem Schwerpunkt Infrastruktur
War dieser Artikel hilfreich?
Weitere Artikel zu: