Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Aufs Dach gestiegen“ im Deutschen Architektenblatt 04.2022 erschienen.
Von Juliane von Hagen
Grün auf dem Dach ist nichts Neues, aber derzeit bekommt das Thema neue Aufmerksamkeit. Vor dem Hintergrund des fortschreitenden Klimawandels rücken die positiven Effekte von Gebäudegrün vermehrt in den Blickwinkel verschiedener Disziplinen. Dazu gehören auch Landschaftsarchitektinnen und -architekten, die in der grün-blauen Infrastruktur unverzichtbare Elemente einer resilienten Stadt sehen. Sie fordern, dass Grün an und auf Gebäuden zum selbstverständlichen Instrument der Stadtentwicklung werden muss.
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Begrünte Dächer gegen Starkregen und Überhitzung
Diese Sichtweise vertritt auch Landschaftsarchitekt Friedhelm Terfrüchte von der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen: „Für einen wirksamen Klimawandel müssen wir die Dächer miteinbeziehen. Wir brauchen einen Paradigmenwechsel: Dachflächen müssen wie selbstverständlich begrünt werden.“ Denn sie helfen bei Starkregenereignissen, Wasser zurückzuhalten, sie wirken extremen Temperaturen entgegen und tragen dazu bei, Energie zu sparen und Gebäude zu kühlen.
Und natürlich hilft jegliche Art der Begrünung, CO2 zu reduzieren, Feinstaub zu binden und positiv auf Luft- und Lärmqualität zu wirken. Ebenso spielen die Dächer als Lebensräume für Pflanzen und Tiere inmitten der Stadt eine große Rolle – nicht zu vergessen die Menschen, für die in den dichter werdenden Städten wichtige Freiräume entstehen.
Schlössle-Galerie Pforzheim: öffentlicher Park auf dem Dach
Bei der nun vermehrt geforderten Dachbegrünung können Landschaftsarchitektinnen und -architekten auf einen langjährigen Erfahrungsschatz zurückgreifen. Sie arbeiten schon seit Jahrzehnten daran, Bauherrinnen und Architekten vom Wert begrünter Dachlandschaften zu überzeugen. Realisiert wurden dabei nicht nur einfache Ansätze, die den Bewohnern von angrenzenden Hochhäusern den Ausblick verschönern sollten. Auch im Diskurs um Verdichtung in der Stadt wanderte Grün schon vor Jahren auf eine neue Ebene – mit teilweise spektakulärem Ergebnis.
So fand 2005 die Überbauung eines kleinen Parks inmitten von Pforzheim nur Zustimmung, weil auf dem Dach der hier gebauten Shopping-Mall Ersatz geschaffen wurde. Auf Initiative des Landschaftsarchitekturbüros lad+ ist hier ein öffentlich zugänglicher Raum entstanden. Große Treppen und ein barrierefreier Zugang ermöglichen allen, den Park auf der „Schlössle-Galerie“ zu erreichen. Bis heute ist der grüne Stadtplatz auf dem Dach für die Bürger eine Bereicherung.
Forschungsministerium: Architektur visuell beleben
Solche komplett öffentlichen Dachgärten sind bisher eher die Seltenheit. Häufiger sind halb öffentliche oder private Freiräume, die vor allem in und auf Bürogebäuden zum guten Arbeitsumfeld beitragen. Wie der Bewuchs auch nüchternste Architektur beleben kann, zeigen die Dachgärten des Neubaus des Bundesministeriums für Bildung und Forschung in Berlin. Sie bringen Grün in die dichte Stadt, bieten verschiedene Nutzungsmöglichkeiten und sind, nicht zuletzt, eine gestalterische Bereicherung der Architektur.
In enger Zusammenarbeit mit den Architekten Heinle, Wischer und Partner gestaltete das Landschaftsarchitekturbüro topotek 1 aus Berlin verschiedene Bereiche im und auf dem Neubau. Die auf unterschiedlichen Ebenen liegenden grünen Räume sind je nach Nutzungsmöglichkeit, aber auch Einsehbarkeit von außen, differenziert gestaltet.
So sind die Höfe, die über dem Keller- und Technikgeschoss liegen, gut sieben Jahre nach Fertigstellung dicht begrünte, fast zugewucherte Oasen inmitten des ministeriellen Gebäudes. Hier setzen Ginkgo-Bäume und Sträucher starke Akzente, deren Farbe im Laufe eines Jahres variiert. Die begrünten Räume bieten nicht nur den Mitarbeitenden hochwertige Aufenthaltsbereiche im Freien. Sie schaffen auch eine hohe visuelle Qualität, die bis in das Gebäudeinnere strahlt.
Obwohl auch ein zweiter, kleinerer Hof mit blühenden Stauden und Sträuchern gestaltet ist, ist er doch anderer Natur. Seine Öffnung zu den benachbarten Bahngleisen erschien den Architekten und Landschaftsarchitektinnen im Laufe des Planungsprozesses als zu groß. Letztere schlugen dann eine farbige, halb transparente Glaswand vor, die Privatheit schafft und die Farbigkeit des Gartens akzentuiert.
Die Dachflächen der nächsten, der mittleren Ebene, sind insgesamt ruhiger gestaltet. Hier dominieren Gräserlandschaften, die wie hochflorige Teppiche anmuten. Und für die nur aus der Vogelperspektive sichtbaren obersten Dachflächen wählte topotek 1 eine unaufgeregte Begrünung mit Sedum aus. „Alles, was aus einem Gebäude oder aus der Umgebung sichtbar ist, bekommt eine höhere Gestaltqualität als unsichtbare und unzugängliche Dächer“, erläutert Landschaftsarchitekt Lorenz Dexler die Herangehensweise seines Teams.
Trivago-Zentrale Düsseldorf: Laufbahn auf dem Dach
Während die Gärten des Berliner Forschungsministeriums die Mitarbeitenden zu Pausen in grüner Umgebung anlocken, steht beim Unternehmen Trivago die Aktivierung der Mitarbeitenden auf dem Programm: Auf dem Dach der neu gebauten Konzernzentrale in Düsseldorf lädt eine blaue EPDM-Laufbahn zum Joggen entlang verschiedener Pflanzen ein.
Diese Idee wuchs erst während des Planungsprozesses. „Zunächst war nur eine extensiv begrünte Fläche vorgesehen“, erinnert sich Landschaftsarchitekt Thomas Fenner vom studio grüngrau. „Dann kam das Thema Jogging auf. Die Bauherren wünschten eine coole Joggingstrecke, die uns wiederum anregte, auch über intensive Begrünung nachzudenken“ – entlang einer extensiven Begrünung wäre das Lauferlebnis nur mäßig gewesen. Schließlich identifizierten die Landschaftsarchitekten diejenigen Bereiche auf dem Dach, die mehr Volumen aufnehmen konnten. Dort wurde die Substratschicht erhöht und in amorphe Strukturen gebracht. Diese kleinen Hügel schaffen heute nicht nur Raumerlebnisse, sondern bieten auch so viel Substrat, dass dort eine Vielfalt an Sträuchern, Blütenstauden und Gräsern gedeihen kann.
Intensivere Begrünung wird verordnet
Was bei diesem Projekt im Laufe des Planungsprozesses geändert wurde, ist heute Standard in Düsseldorf. Die Stadt hat erkannt, dass Dächer wichtige Beiträge zur Abmilderung des Klimawandels leisten. Deshalb erlaubt sie keine extensiv begrünten Dächer mehr, sondern fordert eine leicht intensive Begrünung. Wo vor zwei Jahren noch 40 Zentimeter Substrat reichten, sind es jetzt 50 Zentimeter zuzüglich Drainage. „Das hat zahlreiche Folgen. Es sind größere Lasten abzutragen, Attiken müssen höher sein, was alles auch die Kosten steigen lässt. Aber der Speicherung von Wasser auf dem Dach kommt eben eine große Bedeutung zu“, erklärt Thomas Fenner.
Kommunale Gründachstrategien
Dass mehr Dächer begrünt werden müssen, sieht nicht nur Düsseldorf so. Auch Hamburg erkennt die Notwendigkeit und hat als erste deutsche Großstadt eine umfassende Gründachstrategie entwickelt. Als Teil einer nachhaltigen Stadtentwicklung will die Senatsverwaltung bis zum Jahr 2024 hundert Hektar Dachflächen begrünen. Das sind wichtige und Zeichen setzende Initiativen, die Lust auf mehr Grün machen.
Die haben auch Thomas Fenner und sein Team, für die das Dach auf dem Trivago-Gebäude ein wichtiger Ansporn war. Das Büro verfolgt den Ansatz weiter und gewann so einen nächsten Wettbewerb: „Auf dem neuen Gebäude wird wieder eine Joggingstrecke liegen, aber auch sehr intensive Begrünung. Auf bis zu einem Meter hohen Hügeln werden sogar Bäume wachsen können, die Schatten spenden“, verrät Fenner.
RAG-Zentrale Essen: Dem Weltkulturerbe verpflichtet
An Schatten spendende Bäume hatte auch Landschaftsarchitekt Hubertus Schäfer vom Büro Greenbox im Kontext des Neubaus der RAG-Zentrale auf dem Gelände der Kokerei Zollverein zunächst gedacht. Aber auf einem Weltkulturerbe sind besondere Restriktionen zu beachten. Letztlich war es schon eine Besonderheit, überhaupt auf dem Gelände des UNESCO-Denkmals bauen zu dürfen.
Vor diesem Hintergrund haben die Architekten kadawittfeld gemeinsam mit dem Landschaftsarchitekturbüro Greenbox das sogenannte Kreislaufhaus für die RAG entworfen. Der Neubau ist dem Cradle-to-Cradle-Prinzip verpflichtet, das heißt, die Baumaterialien sind wiederverwendbar (Lesen Sie hier einen ausführlichen Bericht dazu).
Energielieferant und Dachgarten
Darüber hinaus sollte der Baugrund, der dem Weltkulturerbe durch den Neubau genommen wurde, dem Areal in Form eines Gartens zurückgegeben werden. Von Anfang an war klar, dass dieser die Dächer des Bürobaus und des benachbarten Parkdecks krönen würde. Den halb öffentlichen, begehbaren Dachgarten dominieren heute naturnahe Pflanzen.
Die Atmosphäre ist hier eher rau, genau wie im angrenzenden Zollverein Park. Auch sollten Elemente zur Energiegewinnung integriert werden, was gestalterisch eine Herausforderung darstellte. „Natur und Technik gut miteinander zu verbinden, das ist eine hohe Kunst“, sagt Hubertus Schäfer. „Dafür sind die Schnittstellen zwischen Architekten, Landschaftsarchitekten und Fachplanern sorgfältig zu gestalten.“
Gründächer frühzeitig und sorgfältig planen
Für ein solches funktional und gestalterisch zufriedenstellendes Zusammenspiel von Energiegewinnung und Vegetation wird derzeit nach Ansätzen gesucht. Systemlösungen helfen da bisher nur wenig weiter. Vielmehr müssen alle am Bau beteiligten Disziplinen gemeinsam an guten Lösungen arbeiten. Dafür ist es wichtig, dass grüne Dächer frühzeitig in der Planungsphase Null als elementarer Teil eines Gebäudes mitgedacht werden.
Eine wirksame Begrünung muss mit allen Fachplanenden zu Beginn eines Entwurfs- und Planungsprozesses thematisiert werden. Darüber hinaus muss sie als wirklicher Klimaschützer und nicht als optisch spektakulärer Ressourcenfresser gestaltet werden. Ein der jeweiligen Situation angepasster Entwurf mit einem sparsamen Einsatz von Materialien in der Konstruktion und einem möglichst geringen Aufwand für Instandhaltung und Pflege erachten die Landschaftsarchitektinnen und -architekten der oben skizzierten Projekte als zentral.
Vielleicht muten ihre Entwürfe weniger aufsehenerregend an als andere grüne Bauwerke, wie zum Beispiel der Düsseldorfer Kö-Bogen II. Aber der sparsame Umgang mit Ressourcen spielt in ihren Projekten eine große Rolle. Denn nur so leisten grüne Dachlandschaften wirklich wichtige Beiträge zum Klimaschutz und zur Erhaltung lebenswerter Städte.
Weitere Beiträge finden Sie in unserem Schwerpunkt Draußen.
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