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Grüne Räume, gutes Klima

Die Gebäudebegrünung ist eher als gestalterisches Element bekannt. Doch insbesondere die Innenraumbegrünung löst auch viele technische Probleme auf umweltfreundliche Art.

29.12.20177 Min. Kommentar schreiben

Von Gerhard Zemp

Die heutige energieoptimierte, hoch wärmegedämmte Bauweise, die Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung bedingt, offenbart gerade in der kühlen Jahreszeit ihre Schwäche: die niedrige Luftfeuchtigkeit. Immer mehr Nutzer solcher Immobilien beklagen die trockene Luft. Im Sommer hingegen erhitzen sich die Gebäude übermäßig. Diese Herausforderungen werden in der Regel technisch gelöst; verbunden mit hohen Investitions- und Wartungskosten. Dass die Kombination der Anlagentechnik mit einer Begrünung die angenehmere und kostengünstigere Lösung sein könnte, daran denken Planer nur selten, obwohl die positiven Eigenschaften von Pflanzen eigentlich jeder kennt: Sie produzieren Sauerstoff, erhöhen die Luftfeuchtigkeit und reduzieren Schadstoffe. Weitgehend unbekannt ist dabei, dass die Menge der von Pflanzen produzierten Luftfeuchte berechnet und in die energetische Planung eines Gebäudes einbezogen werden kann.

Konkret heißt das, es wird ermittelt, welche Flächen von vertikalen Pflanzenwänden, frei stehenden Hecken oder mobilen Einzelpflanzen notwendig sind, um die relative Luftfeuchte in dem jeweiligen Raum um die angestrebte Prozentzahl zu erhöhen. Dazu besprechen zunächst der Fachplaner für Gebäudebegrünung und der Klimatechniker die geplanten technischen Anlagen und legen die Eckwerte fest. Im zweiten Schritt wird geprüft, welches energetische Potenzial mit Grün aufgefangen werden kann. Wie zahlreiche Beispiele aus der Praxis belegen, können dadurch oft Energiespitzen abgedeckt und die Klimatechnik kann entsprechend energiesparender dimensioniert und kostengünstiger realisiert werden. Als Ergebnis erhält der Architekt eine Datenliste mit vertikalen Grünflächen und der Anzahl mobiler Pflanzenelemente, mit denen er die Räume gestalten kann. Damit dient die Begrünung als funktionales Gestaltungselement.

Verwaltungsgebäude der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) in Zürich: Das Gebäude umfasst Büros für 720 Mitarbeiter, 80 Mietwohnungen und diverse Läden und wurde im Minergie-Standard errichtet. Im zweiten Obergeschoss befindet sich ein als Dachgarten konzipierter Innenhof, der die umliegenden Büros mit Tageslicht versorgt. In diesem Innenhof wurde nachträglich ein Moosgarten angelegt, der im Sommer durch die natürliche Verdunstung des Wassers die Luft im Innenhof und folglich in den Büros kühlt. Die Moose und Lebermoose tragen außerdem zur Lärmreduktion und durch die Filterung von Feinstäuben zu einer besseren Luftqualität bei. Die optisch natürliche Gestaltung erfreut auch die Nutzer der Büros, die den Moosgarten gewissermaßen wie eine Waldlichtung vor ihren Fenstern erleben. Bauherr: SBB Schweizerische Bundesbahnen, Entwurf: atelier ww-Architekten, Zürich, Grünfläche: 300 m²

Nachweis erbracht

Die Grundlagen dafür, dass sich die Wirkung der Begrünung heute zuverlässig berechnen lässt, bilden Fachwissen und langjährige Praxiserfahrungen, geprüfte und zertifizierte Produkte sowie die Forschung. So hat sich beispielsweise das bayerische Ingenieurbüro Häring Radtke Partner auf biologische Gebäudeklimatisierung spezialisiert. Einer der Partner, der Biologe Manfred Radtke, hat spezielle „Prima Klima“-Pflanzen gezüchtet. Gegenüber im klassischen Handel erhältlichen Sorten verfügen diese über eine deutlich höhere Transpirationsleistung sowie Eigenschaften, die durch die Art der Vermehrung der Pflanzen identisch bleiben.

Das Prinzip: schematische Darstellung der Wirkungsweise einer funktionalen vertikalen Begrünung.

Ein weiterer wichtiger Schritt für die Etablierung der biologischen Gebäudeklimatisierung waren die Forschungen der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf. Das Team unter Leitung von Annette Bucher hat Pflanzenwände analysiert und nachgewiesen, dass deren bioklimatische Wirkung mess- und berechenbar ist. Konkret konnte gezeigt werden, dass sich durch die Begrünung die Luftfeuchte erhöht. Außerdem wurden klare Anforderungen an Funktion und Wartungsaufwand für derartige biotechnische Systeme erarbeitet. Die Ergebnisse helfen vor allem, das Vertrauen in die praktische Anwendung zu stärken. Das ist wichtig, denn auch meinen langjährigen Erfahrungen zufolge stehen die meisten Bauherren, Planer und Klimatechniker einer kombinierten technischen und biotechnischen Lösung skeptisch gegenüber. Für sie ist es bislang in der Regel die letzte Möglichkeit, die sie vor einer kostenintensiven Erweiterung der technischen Anlage in Betracht ziehen.

Klinik Hirslanden in Zürich: Für die Räume der Herzklinik sollten Lösungen gefunden werden, die die Luftfeuchtigkeit erhöhen und die Akustik verbessern. Die Maßnahmen sollten gleichzeitig das sterile klinische Umfeld durchbrechen und stattdessen ein vertrautes Gefühl vermitteln. Dazu wurden die Innenräume mit Pflanzenwänden, in Büromöbel integrierten Pflanzmodulen, Wandbildern und Solitärpflanzen begrünt. Jetzt liegt die Luftfeuchte im optimalen Bereich von 45 bis 50 Prozent und durch die schadstofffilternden Eigenschaften der Pflanzen wird zudem eine hohe hygienische Luftqualität erreicht. Die Schallabsorption und -diffusion der Pflanzen hat außerdem zu einer Minderung der Lautstärke um etwa fünf Dezibel bei 500−1.000 Hertz geführt. Aus Brandschutzgründen (Fluchtweg) wurde für die Begrünung eine Metall-Konstruktion gewählt. Bauherr: Klinik Hirslanden, Zürich, Innenarchitektur: Dost Design, Schaffhausen, Nutzfläche: 690 Quadratmeter, Grünfläche: 72 m² Wand, 7,2 m² in Möbel, 3 x 1,2 m² als Wandbild

Oft wird unser Büro im ersten Winter nach Fertigstellung eines Gebäudes als Problemlöser für die zu geringe Luftfeuchte hinzugezogen. Häufig empfehlen wir dann, zunächst eine Versuchsanlage mit einer Pflanzenwand oder Pflanzengruppe in einem Raum aufzubauen, der lüftungstechnisch als eigener Sektor funktioniert. Zum Vergleich dient ein weiterer Referenzraum ohne Pflanzen. Nach diesem Prinzip gingen wir auch beim Logistik- und Rechenzentrum der Stadt Zürich vor. Der Neubau bietet Platz für 160 Mitarbeiter, denen auf einer Fläche von 3.200 Quadratmetern 20 Meeting-Räume, Begegnungszonen und drei Cafeterias zur Verfügung stehen.

Praxistest zur Probe

Das Gebäude erfüllt die Kriterien der „Energiestadt auf dem Weg in die 2.000-Watt-Gesellschaft“ und trägt die Labels „Standard Minergie-P-Eco“, „Gutes Innenraumklima“ und „Allergie Suisse“. Durch die kompakte Bauweise, die optimierte Wärmedämmung und die kontrollierte Lüftung sank jedoch die Luftfeuchtigkeit unter das Maß des Wohlfühlbereichs für die Mitarbeiter. Um die Gesamtenergiebilanz nicht zu gefährden, wurde eine Lösung durch Bepflanzung gesucht. Für den Versuchsaufbau wurde ein 30 Quadratmeter großer Raum mit drei mobilen Pflanzgefäßen mit Cyperus alternifolius Prima Klima bestückt. Bereits wenige Wochen später konnte der Biologe anhand der aufgezeichneten Daten einen Anstieg der Luftfeuchtigkeit um etwa 15 Prozent feststellen. Damit ließ sich die Luftfeuchtigkeit in den Räumen von den ursprünglich kritischen 30 Prozent auf angenehme 45 Prozent steigern. Für Großraumbüros mit wenig Stellfläche wurden vertikale Pflanzenwände mit einer Begrünungsfläche von zwölf Quadratmetern verwendet, in kleinen geschlossenen Räumen kamen mobile Pflanzbehälter zum Einsatz. Ein weiteres Ergebnis war, dass die Wartungskosten der Innenraumbegrünung im Vergleich zu einer technischen Luftbefeuchtung sehr gering sind.

Das Logistik- und Rechenzentrum ist auch ein Beispiel dafür, wie durch die Begrünung die Luftwechselrate reduziert werden kann. Wie die Praxis zeigt, ist diese in Gebäuden ohne Begrünung oft höher eingestellt als notwendig, um beim Nutzer das Gefühl frischer Luft zu erzeugen. Die höhere Luftfeuchtigkeit bietet den gleichen Effekt mit weit weniger Energieaufwand.

Lösungen auch für außen

Die 15-prozentige Steigerung der Luftfeuchtigkeit deckt sich mit meinen langjährigen Erfahrungen bei zahlreichen anderen Projekten. Das Angebot des Aufbaus einer Versuchsanlage hat sich ebenfalls bewährt, denn es räumte bislang stets die Bedenken der technikaƒnen Experten aus und machte den Weg frei für den Architekten, die Grünelemente gestalterisch in den Raum zu integrieren.

Novartis Campus in Basel, Neubau Virchow 16: Die Westfassade wurde mit verschiedenen Arten von Hänge- und Kletterpflanzen begrünt, die ein breites Spektrum an Farben und Formen bieten. Durch die Mischung aus blühenden, immergrünen und laubabwerfenden Pflanzen verändert sich das äußere Bild der Fassade und auch die Nutzer können von innen den jahreszeitlichen Wechsel erleben. Im Sommer sind 80 Prozent der Fassade von den Pflanzen bedeckt, die dann als natürliche Beschattung und Klimaregulierung des Innenraumes dienen. Die Kombination aus Verdunstungskälte sowie Absorption und Reflexion (40−80 Prozent) der Sonneneinstrahlung reduziert die Wärmelast und senkt somit den Primärenergiebedarf für die Kühlung des Gebäudes um bis zu 50 Prozent. Im Winter beträgt der Bedeckungsgrad der Fassade mit Pflanzen etwa 30 Prozent, sodass hier die solaren Energiegewinne zu niedrigeren Heizkosten führen. Bauherr: Novartis Pharma AG, Architektur: RMA Architects, Entwurf Grünfassade: Vogt Landschaftsarchitekten, Zürich, Begrünte Fassadenfläche: 480 Quadratmeter

Eine Begrünung sorgt neben einem komfortablen Raumklima aufgrund ihrer schallschluckenden Eigenschaften auch für eine bessere Akustik, wie das Beispiel der Klinik Hirslanden zeigt. Während bei diesem Projekt im Inneren eine Verbesserung um fünf Dezibel erzielt wurde, lässt sich das Prinzip ebenso im Außenraum anwenden. Prädestiniert dafür sind Innenhöfe in Erdgeschosszonen, wo der Lärm von Anlieferungsfahrzeugen die Bewohner der oberen Geschosse belästigt. Auch in solchen Fällen dienen die Pflanzen gleichzeitig als Gestaltungselement. Lichthöfe in Obergeschossen, die zunehmend in den stark verdichteten Innenstädten entstehen, sind häufig mit einer einfachen Bekiesung versehen. Doch auch die benötigt ein gewisses Maß an Pflege und Wartung, denn meist wächst hier Unkraut oder die Flächen vermoosen. So geschehen beim Neubau des Verwaltungsgebäudes für die Schweizerischen Bundesbahnen. Hier konnte unser Büro den Architekten von einer ungewöhnlichen Lösung überzeugen: die Vermoosung als Herausforderung anzunehmen und einen „geplanten“ Moosgarten anzulegen. Inzwischen erfreut die naturnahe Gestaltung die Nutzer der Büros. Neben den optischen Aspekten unterstützt die Begrünung, obwohl außen angelegt, die Klimatisierung der Innenräume. Im Sommer strömt durch die natürliche Verdunstung angenehm kühle Luft durch die geöffneten Fenster.

Gerhard Zemp ist Mitbegründer des Architektur- und Ingenieurbüros für Innenraum- und Gebäudebegrünung Aplantis in Bern.


MEHR INFORMATIONEN

Biotechnische Gebäudeklimatisierung

Damit ist die Regulierung des Raumklimas im Zusammenspiel von natürlichen Elementen mit neuster Gebäudetechnik gemeint. Wasser und Pflanzen haben, sorgfältig ausgesucht und angeordnet, spürbare Wirkungen. Als Bauelement, komplementär in technische Systeme integriert, sind sie Grundlage und Garanten für:‡
– natürliche Regelung von Raumtemperatur und Luftfeuchtigkeit
– Steigerung von Luftqualität und Lufthygiene
– Verbesserung der Raumakustik (Schallreduktion)
– Energieeinsparung, Energieeffiƒzienz
– Verbesserung von Wohlbefinden und Gesundheit

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