Von Gerhard Zemp
Die heutige energieoptimierte, hoch wärmegedämmte Bauweise, die Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung bedingt, offenbart gerade in der kühlen Jahreszeit ihre Schwäche: die niedrige Luftfeuchtigkeit. Immer mehr Nutzer solcher Immobilien beklagen die trockene Luft. Im Sommer hingegen erhitzen sich die Gebäude übermäßig. Diese Herausforderungen werden in der Regel technisch gelöst; verbunden mit hohen Investitions- und Wartungskosten. Dass die Kombination der Anlagentechnik mit einer Begrünung die angenehmere und kostengünstigere Lösung sein könnte, daran denken Planer nur selten, obwohl die positiven Eigenschaften von Pflanzen eigentlich jeder kennt: Sie produzieren Sauerstoff, erhöhen die Luftfeuchtigkeit und reduzieren Schadstoffe. Weitgehend unbekannt ist dabei, dass die Menge der von Pflanzen produzierten Luftfeuchte berechnet und in die energetische Planung eines Gebäudes einbezogen werden kann.
Konkret heißt das, es wird ermittelt, welche Flächen von vertikalen Pflanzenwänden, frei stehenden Hecken oder mobilen Einzelpflanzen notwendig sind, um die relative Luftfeuchte in dem jeweiligen Raum um die angestrebte Prozentzahl zu erhöhen. Dazu besprechen zunächst der Fachplaner für Gebäudebegrünung und der Klimatechniker die geplanten technischen Anlagen und legen die Eckwerte fest. Im zweiten Schritt wird geprüft, welches energetische Potenzial mit Grün aufgefangen werden kann. Wie zahlreiche Beispiele aus der Praxis belegen, können dadurch oft Energiespitzen abgedeckt und die Klimatechnik kann entsprechend energiesparender dimensioniert und kostengünstiger realisiert werden. Als Ergebnis erhält der Architekt eine Datenliste mit vertikalen Grünflächen und der Anzahl mobiler Pflanzenelemente, mit denen er die Räume gestalten kann. Damit dient die Begrünung als funktionales Gestaltungselement.
Nachweis erbracht
Die Grundlagen dafür, dass sich die Wirkung der Begrünung heute zuverlässig berechnen lässt, bilden Fachwissen und langjährige Praxiserfahrungen, geprüfte und zertifizierte Produkte sowie die Forschung. So hat sich beispielsweise das bayerische Ingenieurbüro Häring Radtke Partner auf biologische Gebäudeklimatisierung spezialisiert. Einer der Partner, der Biologe Manfred Radtke, hat spezielle „Prima Klima“-Pflanzen gezüchtet. Gegenüber im klassischen Handel erhältlichen Sorten verfügen diese über eine deutlich höhere Transpirationsleistung sowie Eigenschaften, die durch die Art der Vermehrung der Pflanzen identisch bleiben.
Ein weiterer wichtiger Schritt für die Etablierung der biologischen Gebäudeklimatisierung waren die Forschungen der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf. Das Team unter Leitung von Annette Bucher hat Pflanzenwände analysiert und nachgewiesen, dass deren bioklimatische Wirkung mess- und berechenbar ist. Konkret konnte gezeigt werden, dass sich durch die Begrünung die Luftfeuchte erhöht. Außerdem wurden klare Anforderungen an Funktion und Wartungsaufwand für derartige biotechnische Systeme erarbeitet. Die Ergebnisse helfen vor allem, das Vertrauen in die praktische Anwendung zu stärken. Das ist wichtig, denn auch meinen langjährigen Erfahrungen zufolge stehen die meisten Bauherren, Planer und Klimatechniker einer kombinierten technischen und biotechnischen Lösung skeptisch gegenüber. Für sie ist es bislang in der Regel die letzte Möglichkeit, die sie vor einer kostenintensiven Erweiterung der technischen Anlage in Betracht ziehen.
Oft wird unser Büro im ersten Winter nach Fertigstellung eines Gebäudes als Problemlöser für die zu geringe Luftfeuchte hinzugezogen. Häufig empfehlen wir dann, zunächst eine Versuchsanlage mit einer Pflanzenwand oder Pflanzengruppe in einem Raum aufzubauen, der lüftungstechnisch als eigener Sektor funktioniert. Zum Vergleich dient ein weiterer Referenzraum ohne Pflanzen. Nach diesem Prinzip gingen wir auch beim Logistik- und Rechenzentrum der Stadt Zürich vor. Der Neubau bietet Platz für 160 Mitarbeiter, denen auf einer Fläche von 3.200 Quadratmetern 20 Meeting-Räume, Begegnungszonen und drei Cafeterias zur Verfügung stehen.
Praxistest zur Probe
Das Gebäude erfüllt die Kriterien der „Energiestadt auf dem Weg in die 2.000-Watt-Gesellschaft“ und trägt die Labels „Standard Minergie-P-Eco“, „Gutes Innenraumklima“ und „Allergie Suisse“. Durch die kompakte Bauweise, die optimierte Wärmedämmung und die kontrollierte Lüftung sank jedoch die Luftfeuchtigkeit unter das Maß des Wohlfühlbereichs für die Mitarbeiter. Um die Gesamtenergiebilanz nicht zu gefährden, wurde eine Lösung durch Bepflanzung gesucht. Für den Versuchsaufbau wurde ein 30 Quadratmeter großer Raum mit drei mobilen Pflanzgefäßen mit Cyperus alternifolius Prima Klima bestückt. Bereits wenige Wochen später konnte der Biologe anhand der aufgezeichneten Daten einen Anstieg der Luftfeuchtigkeit um etwa 15 Prozent feststellen. Damit ließ sich die Luftfeuchtigkeit in den Räumen von den ursprünglich kritischen 30 Prozent auf angenehme 45 Prozent steigern. Für Großraumbüros mit wenig Stellfläche wurden vertikale Pflanzenwände mit einer Begrünungsfläche von zwölf Quadratmetern verwendet, in kleinen geschlossenen Räumen kamen mobile Pflanzbehälter zum Einsatz. Ein weiteres Ergebnis war, dass die Wartungskosten der Innenraumbegrünung im Vergleich zu einer technischen Luftbefeuchtung sehr gering sind.
Das Logistik- und Rechenzentrum ist auch ein Beispiel dafür, wie durch die Begrünung die Luftwechselrate reduziert werden kann. Wie die Praxis zeigt, ist diese in Gebäuden ohne Begrünung oft höher eingestellt als notwendig, um beim Nutzer das Gefühl frischer Luft zu erzeugen. Die höhere Luftfeuchtigkeit bietet den gleichen Effekt mit weit weniger Energieaufwand.
Lösungen auch für außen
Die 15-prozentige Steigerung der Luftfeuchtigkeit deckt sich mit meinen langjährigen Erfahrungen bei zahlreichen anderen Projekten. Das Angebot des Aufbaus einer Versuchsanlage hat sich ebenfalls bewährt, denn es räumte bislang stets die Bedenken der technikanen Experten aus und machte den Weg frei für den Architekten, die Grünelemente gestalterisch in den Raum zu integrieren.
Eine Begrünung sorgt neben einem komfortablen Raumklima aufgrund ihrer schallschluckenden Eigenschaften auch für eine bessere Akustik, wie das Beispiel der Klinik Hirslanden zeigt. Während bei diesem Projekt im Inneren eine Verbesserung um fünf Dezibel erzielt wurde, lässt sich das Prinzip ebenso im Außenraum anwenden. Prädestiniert dafür sind Innenhöfe in Erdgeschosszonen, wo der Lärm von Anlieferungsfahrzeugen die Bewohner der oberen Geschosse belästigt. Auch in solchen Fällen dienen die Pflanzen gleichzeitig als Gestaltungselement. Lichthöfe in Obergeschossen, die zunehmend in den stark verdichteten Innenstädten entstehen, sind häufig mit einer einfachen Bekiesung versehen. Doch auch die benötigt ein gewisses Maß an Pflege und Wartung, denn meist wächst hier Unkraut oder die Flächen vermoosen. So geschehen beim Neubau des Verwaltungsgebäudes für die Schweizerischen Bundesbahnen. Hier konnte unser Büro den Architekten von einer ungewöhnlichen Lösung überzeugen: die Vermoosung als Herausforderung anzunehmen und einen „geplanten“ Moosgarten anzulegen. Inzwischen erfreut die naturnahe Gestaltung die Nutzer der Büros. Neben den optischen Aspekten unterstützt die Begrünung, obwohl außen angelegt, die Klimatisierung der Innenräume. Im Sommer strömt durch die natürliche Verdunstung angenehm kühle Luft durch die geöffneten Fenster.
Gerhard Zemp ist Mitbegründer des Architektur- und Ingenieurbüros für Innenraum- und Gebäudebegrünung Aplantis in Bern.
MEHR INFORMATIONEN
Biotechnische Gebäudeklimatisierung
Damit ist die Regulierung des Raumklimas im Zusammenspiel von natürlichen Elementen mit neuster Gebäudetechnik gemeint. Wasser und Pflanzen haben, sorgfältig ausgesucht und angeordnet, spürbare Wirkungen. Als Bauelement, komplementär in technische Systeme integriert, sind sie Grundlage und Garanten für:
– natürliche Regelung von Raumtemperatur und Luftfeuchtigkeit
– Steigerung von Luftqualität und Lufthygiene
– Verbesserung der Raumakustik (Schallreduktion)
– Energieeinsparung, Energieeffizienz
– Verbesserung von Wohlbefinden und Gesundheit
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