Ulf Meyer
Die „Große Freiheit“ in Hamburg kennt fast jeder; die „Grüne Freiheit“ hingegen ist neu: So nennen Renner Hainke Wirth Architekten aus Hamburg ihren Beitrag für einen städtebaulichen Realisierungswettbewerb im Herzen St. Paulis, den das Bezirksamt Hamburg-Mitte als Auslober mit dem ersten Preis bedachte. Auf dem Gelände der ehemaligen Pestalozzi-Grundschule zwischen Kleiner und Großer Freiheit soll ein neues Quartier für familienorientiertes Wohnen und Gewerbe gebaut werden. Zu dem Wettbewerb waren acht Architekturbüros aus Hamburg geladen worden. Der zweite Preis wurde an trapez architektur – Dirk Landwehr und der dritte an Spengler Wiescholek Architekten verliehen.
Renner Hainke Wirth Architekten haben sich die „Vielfalt von St. Pauli zum Konzept gemacht“: Die städtebauliche Schichtung, der Baumbestand, gemischt mit der Neubebauung, soll große Wohn- und Freiraumqualitäten garantieren. Die geplante Neubebauung nimmt die Typologie der vorhandenen Solitärbauten auf und reagiert dabei auf die unterschiedlichen Straßenränder. Die Blockränder sind geschlossen, aber in Ost-West-Richtung ist das Quartier „porös“: Lücken mit Treppen, Mauern und kleinen Plätzen öffnen es für Fußgänger. Die Freiraumplanung, die in Zusammenarbeit mit dem Büro Breimann und Bruun erfolgte, will den „einmaligen Mix von Hafen, Kultur und urbanem Wohnen in St. Pauli“ stärken. „Unterschiedliche städtische Räume erlauben eine Vielzahl an Nutzungen“, so die Planer.
Ein skulpturaler, expressiver Geschosswohnungsbau mit Klinkerfassade soll sich mit großen Fenstern und Loggien öffnen und mit seiner Auskragung die Straßenflucht aufnehmen. Im Erdgeschoss ist ein Restaurant vorgesehen. Alle Fassaden sind als helle Putzfassaden geplant. Hinzu kommt ein viergeschossiges Stadthaus für Familien. Herzstück des neuen Quartiers soll ein Platz mit Kita, Café und Seniorenwohnen werden. Ein weiteres Wohnhaus erzeugt einen kleinen intimen Wohnhof. Der südliche Blockrand wird durch ein fünfgeschossiges Hotel begrenzt, das als Abgrenzung zum benachbarten Rotlichtbezirk dient.
Bis auf die gewerblich genutzten Erdgeschosse sieht der Entwurf eine massive Bauweise mit bewegten Lochfassaden vor. Diese Fassaden setzen sich von den Fassaden der 20er-Jahre und der Gründerzeit ab, ein Spiel der variierenden quadratischen Fensterformate soll Kontraste erzeugen. Die unterschiedlichen Öffnungsgrößen zeigen die Vielfalt der Wohnungstypen, die sich häufig über zwei Geschosse erstrecken und immer einen Freibereich haben.
Die Hamburger Architekten haben jedoch nicht nur über die Baukörper intensiv nachgedacht, sondern auch über die Platzgestaltungen: Bänke, Wasserbecken oder Leuchten zeigen eine Achse von neun verschiedenen Freiflächen an. Sie reicht vom „Pestalozzi-Platz“ (steinern und mit Zierkirschen bestückt) über den „Quartiersplatz“ (mit großer Esche und rot eingefärbtem Beton) bis zur „Arena“ (asphaltiert als Kinderspielplatz).
Die Neubauten sollen „in Anlehnung an Niedrigenergie-Haus-, beziehungsweise Passivhausstandard“ gebaut werden. Um einen Heizwärmebedarf von weniger als 15 kWh/m2 zu gewährleisten, setzten die Architekten auf massive, hochwertig gedämmte Fassaden, dezentrale Heizsysteme mit Erdwärme (Wärmepumpen) und Kollektoren. Das gesammelte Regenwasser soll wiederverwendet werden und die Flachdächer werden begrünt – ein Beitrag, aus dem Rotlichtviertel einen grüneren Stadtteil zu machen.
Dipl.-Ing. Ulf Meyer ist Fachjournalist in Berlin.
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