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Gruppen-Dynamik

Baugruppen liegen im Trend – bei Matthias Gütschow und seinen Kollegen in der Tübinger w5 Planungsgesellschaft schon lange. Tipps und Hinweise für den Erfolg mit Gruppenprojekten

01.03.20107 Min. Kommentar schreiben

Interview: Michael Sudahl

Bauherren organisieren sich immer öfter in privaten Baugemeinschaften und -gruppen. Eine Mode­erscheinung?

Nein, viel mehr. Neben jungen Familien zieht es in jüngster Zeit auch Menschen anderer Lebensphasen in urbane Ballungszentren. Weil es dort aber oft nicht das passende Angebot gibt, schließen sie sich zusammen, um gemeinsam einen Wohnungsbau zu realisieren. Das Ganze hat ­etwas mit Individualität, Nachhaltigkeit und bezahlbarem Bauen zu tun.

Was bedeutet das für den Architekten?

Im Vergleich zu einem einzelnen Bauherrn ist zunächst einmal die Anzahl der Ansprechpartner größer und es werden die Wohnungen im Zuschnitt und der Ausstattung nach den Bedürfnissen der Einzelnen realisiert. Auch entfalten Gruppen eine ganz eigene Dynamik. Das bedeutet mehr Aufwand. Dessen muss man sich bewusst sein.

Der Architekt wird also zum Moderator?

Oft teilt ein Architektenteam die Aufgaben auf. Der eine übernimmt die klassischen Leistungen: Entwurf, Ausführungsplanung, Bauleitung. Eine zweite Person betreut und moderiert die Baugemeinschaft. Sie ist neutraler und zentraler Ansprechpartner. Geht es etwa um die Fassadenfarbe, macht der Planer Vorschläge. Der Projektbetreuer und Moderator trägt diese in die Gruppe hinein und führt eine Entscheidung herbei – das ist seine wichtigste Aufgabe. Der Maler erhält im Namen der Gruppe dann vom Projektbetreuer den Auftrag; Bauleitung und Abrechnung übernimmt der Planer. Diese Trennung hat sich als sehr praktikabel erwiesen.

Warum?

Der Planer kann nicht gleichzeitig für Inhalte und Moderation einer Entscheidungsfindung verantwortlich sein. Vor allem aber hemmt es ihn in seiner Funktion als Architekt, der sich um den Bau kümmern muss. Der Projektbetreuer stellt Transparenz her und sorgt für die Einhaltung des Kosten- und Terminrahmens. Erfahrene Projektsteuerer mit Moderationserfahrung findet man über die Kammern oder man wendet sich an den Bundesverband Baugemeinschaften.

Macht diese Doppelarbeit Projekte nicht teurer?

Im Gegenteil. Realistisch betrachtet, ist der Bau mit einer Baugemeinschaft um 15 Prozent günstiger als der Kauf ­einer vergleichbaren Wohnung bei einem Bauträger. Denn der lässt sich seine Risiken bezahlen, etwa wenn er eine Wohnung nicht verkauft. Und Gewinn will er ebenfalls machen. Beides entfällt bei privaten Baugemeinschaften. Zudem wird erst gebaut, wenn alle Einheiten vergeben sind. Sparen lässt sich bei der Grunderwerbsteuer und den Notar­gebühren, die in der Regel nur auf den Grundstückskostenanteil anfallen.

Was ist der beste Weg für einen Architekten, um Baugemeinschaften zu akquirieren?

Im selteneren Fall kommt eine Interessentengruppe auf ­einen Architekten zu und will das Projekt mit ihm realisieren. Dann muss das Büro prüfen, ob die Vorstellungen der Gruppe – innerhalb des anvisierten Kostenrahmens – und die Realisierung des Vorhabens machbar sind. Oft ist noch kein Grundstück in Aussicht. Hier rate ich, von Beginn an die Beratungsleistung vertraglich zu regeln. Meistens läuft es anders herum: Ein Planer sichtet ein Grundstück, für das er eine Kaufoption erhalten kann. Nachdem er geprüft hat, ob das Grundstück vermarktbar ist – also nicht bereits von drei Maklern wie sauer Bier angeboten wurde –, muss er ­seinen Entwurf an den Mann bringen. Also Menschen dafür begeistern.

Und wo findet er diese?

Als wir vor rund zehn Jahren angefangen haben, für Projekte die passenden Interessenten zu suchen, hatten wir die Stadt Tübingen im Rücken. Sie bietet auf ihrer Internetseite eine Vermarktungsplattform für Baugemeinschaften an, sie veranstaltet „Stadthausbörsen“ – das sind Veranstaltungen, auf denen wir unsere Projektidee präsentieren können – und sie berät neutral zum Thema. Das half uns, Baugemeinschaftsprojekte zu etablieren. Daneben schalten wir Anzeigen in den Wochenblättern, haben mit www.baugemeinschaft.org eine Webseite und suchen außerhalb Tübingens den Kontakt zu lokalen Agendagruppen. Dort ist das Thema urbaner Wohnbau politisch angedockt. Ein Teil unserer Mitbauenden hat Bekannte in realisierten Projekten. Steuern wir Projekte außerhalb unseres Arbeitsortes an, suchen wir Kontakt zu Maklern …

Wie bitte?

Ja, wir brauchen einen Ansprechpartner vor Ort. Es muss jedoch der Fokus auf der Beratung und nicht auf dem schnellen Verkauf liegen. Aber bei einem Projekt haben wir recht gute Erfahrungen mit einem Makler gesammelt. Es gilt jedoch, dass eine neue Form der Bauherrschaft neue Wege des Vertriebs fordert. Unser Vorteil als Architekten ist es, dass wir uns beim ersten Gespräch als Fachleute einbringen und die Abwicklung begleiten können.

Welchen Haken hat das Arbeiten mit den Baugemeinschaften?

Es müssen der Wille und die Bereitschaft da sein, öfter umzuplanen und den Bedürfnissen der Gruppe Raum einzuräumen. Man muss weit in Vorleistung gehen. Und wer nicht aufpasst, hat schnell viel Zeit und Geld in Projektentwicklung und Entwurfsplanung investiert und bleibt darauf sitzen, wenn das Vorhaben nicht realisiert wird.

Wie kann man dieses Risiko mindern?

Die Projektbeteiligten müssen sich realistische Vermarktungsziele setzen und diese in kurzen Abständen selbstkritisch prüfen. Es fällt uns schwer, rechtzeitig zu erkennen, wann die selbst entwickelten Bauvorhaben nicht mehr zu realisieren sind.

Ein Problem für den Eigentümer ist die lange Zeit nicht verkaufte Parzelle.

Sicher. Verkauft etwa eine Kommune ein Grundstück an eine Baugemeinschaft, muss vereinbart werden, dass die ­Planungsphase und Interessentensuche bis zu eineinhalb Jahre dauern kann. Für diese Zeit bekommt der Verkäufer keinen Cent. Er garantiert der Baugemeinschaft in einer Grundstückskaufoption jedoch, dass sie die Parzelle zum Festpreis erwerben kann. Das Verfahren ist komplizierter als der Verkauf an Bauträger, aber die Kommune profitiert langfristig durch die Aufwertung der Quartiere.

Ab wann wird es schwierig?

Unserer Erfahrung nach liegt die Idealgröße für eine Baugruppe bei zwölf bis zwanzig Einheiten. Darüber ist sie deutlich schwerer zu handhaben. Transparenz und Informationsfluss leiden. Auch kleinere Gruppen haben ihre Schwierigkeiten: Extrovertierte Typen können viel stärker ins Gewicht fallen. Bei größeren Einheiten weist die Gruppe die Person schon in ihre Schranken. Unschön ist es, wenn die Kostenverteilung zwischen den Wohnungen zu Beginn nicht abschließend geklärt wurde. Da hilft nur Offenheit von Anfang an: immer volle Kostentransparenz und klare Aussagen, was realistisch und machbar ist und was nicht.

Was reizt Sie und Ihre Kollegen?

Für uns sind Baugemeinschaften interessante und oft innovative Auftraggeber: So wurde in Tübingen der erste Passiv-Geschosswohnungsbau von einer Baugemeinschaft realisiert. Mit anderen Fragen, die bei der Projektbetreuung auftreten, hatten wir uns zuvor nicht beschäftigt: etwa mit Vermarktung, Recht und Gruppenführung. Unser Büro hat sein Tätigkeitsfeld im direkten Zusammenhang von Baugemeinschaftsprojekten erweitert, später haben wir diese Leistungen ebenso „normalen“ Auftraggebern angeboten. Innerhalb der vergangenen zehn Jahre hat sich unser Büro dadurch verdreifacht. Und im Grunde hat man die Chance, gesellschaftspolitische Veränderungen voranzutreiben.

Sie selbst leben in einem Baugemeinschaftshaus. Ging da alles gut?

Zunächst war ich skeptisch, wie die anderen reagieren, wenn der Architekt mitbaut. Jedoch schafft es Vertrauen, wenn der Planer obendrein Bauherr ist. Das Signal an die Gruppe ist deutlich: Er glaubt an das Gelingen des Projekts. Wir sind als pragmatische Baugemeinschaft ohne große ­Ansprüche an das Zusammenleben gestartet. Heute sind wir – sicherlich auch durch die Bewältigung der Planungsphase – eine richtig gute Hausgemeinschaft, in der jeder jeden schätzt, aber einzelne unterschiedlich intensiv ­Kontakt haben. Ich persönlich habe erst durch das Zusammenleben in unserem Haus die sozialen Vorteile wirklich begriffen.

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