Mein Name ist Petra Münzel, ich bin 46 Jahre alt, Architektin, und ich bin in einem Messie-Haus aufgewachsen. Meine Eltern sind gute Menschen, aber sie waren wohl an irgendeinem Punkt im Leben überfordert – mit sich und ihrer Vergangenheit, vermutlich mit uns Kindern und mit den Herausforderungen des Lebens im Allgemeinen. Und so habe ich den größten Teil meiner Kindheit und Jugend in einem vollgestopften, ungeputzten, dunklen und depressiven Haus in einem stinknormalen Vorort einer durchschnittlichen deutschen Großstadt verbracht.
Typische Doppelhaushälfte
Von außen sah die Doppelhaushälfte aus den 70ern aus wie die vielen anderen in dem Wohngebiet. Nur der ungepflegte Garten ließ irgendwann erahnen, dass hier nicht mit besonders viel Liebe gewohnt wurde. Von innen betrachtet, war das Haus mein erster persönlicher Kriegsschauplatz in dem verzweifelten Kampf gegen die Massen an Wohlstandsmüll, die sich in Häusern so ansammeln können.
Als Kind habe ich mir immer ausgemalt, wie mein Leben wohl wäre, wenn ich in einem schönen, hellen, aufgeräumten Haus wohnen würde. Ich habe davon geträumt, in einem Preisausschreiben so viel Geld zu gewinnen, dass ich mir einfach ein Haus kaufen könnte und dort ein neues Leben beginnen würde. Mein Traum von „schöner Architektur“ hat mich meine Jugend durchhalten lassen, obwohl mein Anspruch an Architektur damals, im Vergleich zu heute, gestalterisch sicher nicht sehr anspruchsvoll war.
Architekturstudium als Ausweg
Als ich die Schule beendet hatte, gab es für mich nur die eine Option: Architektur zu studieren. Über etwas anderes habe ich nie nachgedacht und ich habe es bis heute auch nicht bereut. Ich habe in meinen fast 25 Jahren Berufserfahrung viel gesehen und erlebt, habe sieben Jahre im Ausland gearbeitet und Großprojekte betreut, auch mehrere Jahre im Facility-Management gearbeitet und in den letzten Jahren sehr individuelle Einfamilienhäuser geplant und intensiv Bauleitung gemacht.
Gebäude und gestalteter Raum begleiten uns auf unserem Lebensweg. Mir ist auf meinem viel Architektur begegnet, aber nichts hat mich in all den Jahren mehr beeindruckt und bei mir seine Spuren hinterlassen als all die Menschen im gemeinsamen Prozess der Schaffung von Architektur. Da waren natürlich die visionären Planer, die große Ideen haben, aber denen es oftmals auch an Menschlichkeit im Umgang mit anderen mangelt sowie auch an Dankbarkeit für den „kleinen“ Handwerker, der das große Ganze erst möglich macht.
Aber mit einem Lächeln denke ich vielmehr an ….
- …. all meine Bauherren, die überhaupt erst die Vision und den finanziellen Rahmen für Architektur schaffen und dann auch in schwierigen Situationen immer noch respektvoll mit Handwerkern und Planern kommunizieren und bereit sind, Kompromisse zu finden,
- …. die vielen Handwerker, die auch unter widrigen Bedingungen ihre Leistung erfolgreich fertigstellen und dann noch gern bei einem Kaffee von ihrem Enkelkind oder Haustier erzählen,
- …. die Behördenmitarbeiter, die ihre Schreibtische voll mit Papierstapeln haben, aber dann doch die Beschleunigung eines Vorgangs ermöglichen,
- …. die Nachbarn, die monatelang Staub, Dreck und zugeparkte Straßen im Rahmen einer Baustelle geduldig ertragen und trotzdem noch freundlich grüßen,
- …. all die Männer, die zuerst einmal geringschätzend auf eine weibliche Bauleitung blicken und sich nach Abschluss der Baustelle dann für die gute Zusammenarbeit bedanken.
Gute Architektur nimmt sich zurück
Gute Architektur sollte ein Wohlfühlort sein für all diejenigen, die sich darin aufhalten, aber auch für die, die sie gemeinsam erschaffen. Gute Architektur ist nicht narzisstisch, sondern nimmt sich zurück und bietet ihren Erschaffern und Benutzern einen Ort, um sich selbst (neu) zu entdecken und zu entfalten.
Heute lebe ich mit meiner Familie in einem kleinen, alten Sandsteinhaus, das wir kernsaniert haben. Das Haus hatte das Glück, dass ich zur richtigen Zeit vorbeispaziert bin, und es daher nicht einem Bauträger zum Opfer gefallen ist. Wir sind mit unserem Projekt auch nach unserem Einzug noch nicht abschließend fertig und auch hier gibt es die eine oder andere kleine Messie-Ecke mit Wohlstandsmüll. Aber ich bin glücklich und dankbar für das, was ich geschafft und geschaffen habe.
Und ich weiß: Architektur kann nicht unsere Seelen heilen, aber sie kann uns einen Raum bieten, in dem dies überhaupt möglich ist. Jeder von uns ist ein Stück weit ein Architekt – der seines eigenen Lebens!
Petra Münzel, Architektin, Fürth
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Sehr bewegend und treffend :-). Männer bauen Häuser. Frauen bauen mit und für Menschen. Danke für diesen Beitrag!
Sehr tief berührt und dankbar wünsche ich der Autorin weitere erfüllende Ideen.
Vielen Dank.
Hallo Petra! Einen bewegenden Text hast du verfasst, der einem zeigt wie sehr jedoch man Bauherr/in seines Lebens ist… Grüße aus dem Facility Management…
Eine herzerfrischende Schilderung, die klar macht, dass jede Person die Welt ein Stück besser gestalten und erlebbar machen kann.