Die Ballettsäle der John Cranko Schule fließen das Stuttgarter Gefälle hinunter (Klicken für mehr Bilder)
Direkt zum zweiten Beispiel, dem Sauerland-Museum in Arnsberg von bez+kock Architekten
Von Christoph Gunßer
Stefan Burger ist gleich selbst am Telefon. Das Münchener Architekturbüro Burger Rudacs, das sind im Wesentlichen er und Birgit Rudacs, dazu ein kleines wechselndes Team. Sie bearbeiteten immer nur ein Projekt, sagt Burger, eigentlich immer Wettbewerbe. Gut zwei Dutzend davon dokumentiert ihre Webseite, nur einige wurden realisiert. Vor zehn Jahren schafften sie es als Newcomer in die Auswahl des nicht offenen Wettbewerbes für die John Cranko Ballettschule an Stuttgarts prominenter Kulturmeile – und setzten sich gegen Koryphäen wie gmp, Snohetta und Delugan Meissl durch.
John Cranko Ballettschule von Burger Rudacs
Nicht die Ästhetik, sondern städtebauliche und topografische Randbedingungen bestimmen die charakteristische Höhenstaffelung und Körnung ihres Entwurfs. Statt expressiver Gesten liefern sie eine prägnante, gut funktionierende Struktur, die sich einfügt in den Ort. Tatsächlich bot ihr Entwurf als Einziger eine schlichte Terrassierung des steilen Baugeländes hinter der Alten Staatsgalerie an. Wohlproportioniert und natürlich belichtet, staffeln sich die acht Säle der Schule den Hang hinauf.
Probebühne, Mensa, Internat
Die sehr disziplinierte „Treppe“ überbrückt einen Höhenunterschied von 21 Metern. Ganz oben beherbergt sie das Internat der Schule, ganz unten die Probebühne, auf der alles ruht. Die jeweilige Straßenfassade ist im Maßstab an die Nachbarbebauung angepasst. Formal wirken die Fassaden indes eher abweisend. Die gesamte Struktur basiert auf einem Drei-Meter-Raster. Nur im Inneren erlauben sich die strengen Gestalter vereinzelt eine lyrische Note, etwa im kreisrunden Vordach des Mensa-Patios, mit dem Burger und Rudacs einen Gruß an Stirlings nahe Staatsgalerie senden, wie sie sagen.
Eine Ballettschule wie ein Tanz
„Jeder, der in diesem Haus lebt und arbeitet, will letztlich tanzen“, erläutern sie. „Der Tanz ist also der Leim, der hier alles zusammenhält. In Analogie zum Tanz ordnen und fügen sich die Räume im Grundriss wie im Aufriss in Sequenzen, in rhythmischen Wiederholungen aneinander und in das Ganze ein.“ Das ist in diesem Fall mehr als blumige Architektenprosa. Man kann es auch Engführung von Funktion und Struktur nennen. Trotz oder gerade wegen der Abstraktion passen Form und Inhalt hier perfekt zusammen.
Sichtbeton mit Kerndämmung
Das Material ist innen wie außen Beton, präzise geschalt und dennoch schroff, aber auch zeitlos. Statisch war dies, zumal für die stützenfreien großen Räume, wohl alternativlos. Das Material im Kern zu dämmen und nicht hinter einem Wärmedämmverbundsystem zu verstecken, wie es der Bauherr aus Kostengründen erwog, ist konsequent und robust. Das „Bedeutungsgewicht der Bauaufgabe“, wie die Architekten anmerken, findet so einen unprätentiösen Ausdruck. Dem Wesen nach gestisch und verspielt, wird die Schülerschaft aus aller Welt sich den minimalistischen, ja spröden Bau anzueignen wissen.
Ideal in der Pandemie: überall Zugang zum Freiraum
Momentan läuft der Betrieb pandemiebedingt etwas auf Sparflamme, sodass nur wenige Menschen die weiten Räume bevölkern. Als sehr nützlich erweist sich der direkte Freiraumbezug: Aus jeder Ebene führen kurze Wege auf Terrassen hinaus, und natürliche Lüftung ist möglich. Gleich nebenan, auf dem Gelände des ehemaligen Wasserwerkes, wurde ein grüner Park mit Spielfeld und einem Baumhain angelegt, eine wichtige Frischluftschneise.
Haustechnik verschwindet im Sichtbeton
Haustechnisch enthält die von Land und Stadt finanzierte, 60 Millionen Euro teure Struktur mit Bauteil-Aktivierung und saisonalem Eisspeicher Wegweisendes. Alle Installationen verschwinden im Beton, die großen Öffnungen sind fast randlos eingeschnitten. Allein lackiertes Holz und etwas Alu ergänzen das pure Finish. Bis auf die lokale Bauleitung betreuten Burger und Rudacs ihr bisher größtes Projekt von Leistungsphase 2 bis 8. „Wir konnten eigentlich alles wie geplant umsetzen“, freut sich Stefan Burger. Und Stuttgart hat jetzt am Hang über dem Hauptbahnhof eine neue, karge Landmarke.
Leider wurde neben der großen „Treppe“ eine kleine, Stuttgart-typische Treppe für Fußgänger wieder gesperrt, wegen Voyeuren, heißt es. Architekten, die das karg-gelungene Werk bestaunen wollen, finden indes sicher einen Weg.
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Sauerland-Museum von Bez+Kock
Beschaulicher, nämlich notgedrungen objekthafter, ist ein anderes beachtliches Kulturprojekt im rund 400 Kilometer nördlich gelegenen Arnsberg geraten, das eine noch extremere Hanglage zu meistern hatte. Auch hier handelt es sich um „ein Gebäude, das sich treppt“, wie es die stellvertretende Museumsleiterin, Dr. Ulrike Schowe, nennt. Das trifft den Gegenstand ganz gut. Denn unterhalb der in einer engen Ruhrschleife gelegenen Altstadt des sauerländischen Arnsberg fällt das Terrain 45 Grad steil ab. Der Wettbewerb 2012 legte deshalb nahe, die Erweiterung des oben an der Hangkante thronenden Palais zu großen Teilen in den Berg zu bauen. Das dort angesiedelte Heimatmuseum sollte saniert und um flexible Räume für Wechselausstellungen ergänzt werden, ohne dass der Anbau ihm die Schau stiehlt.
Außenseiter im Wettbewerb
Wie ihre Münchner Kollegen, waren auch bez+kock Architekten aus Stuttgart bei dem nicht offenen Verfahren nicht „gesetzt“. Sie bewarben sich aber erfolgreich aufgrund früherer Kulturbauten – und errangen den zweiten Preis. Ihr locker abgetreppter, unauffällig in die lokale Grauwacke gekleideter Entwurf brachte ihnen sogar den Auftrag, musste aber nach zwei Jahren Ausführungsplanung komplett ad acta gelegt werden, weil der Hang sich zwischenzeitlich als so instabil erwiesen hatte, dass man das halbe Budget im Berg hätte versenken müssen, wollte man die neuen Räume des Museums hineingraben.
Berg instabil: komplett neuer Entwurf
Also ein komplett neuer Entwurf zum selben Preis – das Projekt musste dafür verkleinert werden. Martin Bez, Thorsten Kock und ihr Team stapelten die verlangten Funktionen nun am Fuße des Berghangs, parallel zur Talstraße, mehrfach geknickt und eben abgetreppt, sodass auf dem Rücksprung eine populäre Dachterrasse mit Ruhrblick entstand. Angebunden wird das nun zwanzig Meter unter dem Altbau frei stehende Bauwerk über eine geschlossene Brücke, die im Gewölbekeller des Altbaus andockt – keine großzügige Verbindung, aber ein Aha-Erlebnis von eng nach weit.
Zugang nur von oben
Auch wenn der skulpturale, nun in schwäbischem Travertin gekleidete Neubau Eigenständigkeit suggeriert, ist er talseits nicht zugänglich. Um die Altstadt zu stärken, gelangen die Besucher in die zwei großen Säle nur von oben über einen langen, aber lichten Abstieg, mit präzise gesetzten Panoramen auf die Neustadt jenseits der Ruhr.
Wer sich dem Ensemble von dort nähert, erlebt den Neubau als starkes, doch wohlintegriertes Zeichen. Er fügt sich in den Stadtprospekt und ins alte Wegenetz, ist multifunktional bespielbar und bietet dank standardisierter Deckenträger 530 Quadratmeter stützenfreie Ausstellungsfläche für moderate Baukosten von gut sieben Millionen Euro.
Gewinn für die Stadt, ohne Bilbao-Effekt
Immerhin mussten auch hier erst mal 500 Tonnen Beton in eine zehn Meter tiefe Grube fließen und 200 Mikropfähle im Hang verankert werden, ehe mit dem eigentlichen Bau begonnen werden konnte. Der ist hinter der lebendig gestockten, zehn Zentimeter starken Travertin-Vormauerung natürlich auch aus Beton; im Inneren gibt es aber viel weißen Putz, weißen Terrazzo und Eichendielen. Bez+Kock sind mittlerweile bekannt für ihre ebenso soliden wie geschmeidigen Natursteingebäude, die niemanden verschrecken. Das Zentrum des 73.000 Einwohner kleinen Arnsberg stärkt und veredelt das neue Ensemble dauerhaft, ohne Bilbao-Show, die sich wohl mancher Lokalmatador gewünscht hatte. Zur Eröffnungsausstellung strömten noch vor Corona 40.000 Besucher.
So kam in beiden Fällen ein langer, komplexer Planungs- und Bauprozess zu einem guten Ende. Die Bedeutung eines durchlässigen Wettbewerbswesens für die lokale Baukultur kann also nicht oft genug betont werden.
Lesen Sie hier ein Interview über Museen in der Pandemie. Weitere Beiträge finden Sie in unserem Schwerpunkt Kulturell.
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