Text: Simone Hübener
Ökologie und Nachhaltigkeit sind Schlagworte, die sich Firmen heute gerne auf die Fahne schreiben. Beim Büromöbel-Hersteller Sedus Stoll in Dogern am Hochrhein stand die Auseinandersetzung mit diesen Themen bereits von Beginn, also von 1871 an, auf der Tagesordnung. So verkündet einer der Unternehmensgrundsätze: „Wir handeln konsequent umweltbewusst. Höchste Qualität und Langlebigkeit unserer Produkte sind der wichtigste Beitrag für eine nachhaltige Entwicklung.“ Die Firma unterstreicht dies auch mit ihrer Architektur am Firmensitz, der zwischen Basel und dem Bodensee gelegen ist.
Werte erhalten
In einem ersten Schritt zur Corporate Architecture bauten Jockers Architekten aus Stuttgart Ende der 1990er-Jahre einen erst wenige Jahre alten Bürobau um und stockten ihn um eine Etage für das Betriebsrestaurant auf, in dem Lebensmittel aus eigenem Bioanbau verarbeitet und serviert werden. Die drei Stockwerke des Bestandsgebäudes wurden durch ein Atrium miteinander verbunden, das eine großzügige Atmosphäre schafft und über dessen Glasdach Tageslicht ins Innere strömt. Die gläsernen Trennwände der Zellenbüros ermöglichen auch vom Flur Ausblicke auf die bewaldeten Hügel des Schwarzwalds; die Glasfassade bietet den Mitarbeitern die Möglichkeit, den Blick in die Ferne schweifen zu lassen.
Dieser Bau signalisiert vor allem eines: Nachhaltigkeit betrifft nicht nur Materialien und Energieverbrauch, sondern auch den Umgang mit den Beschäftigten. Gesunde und motivierte Mitarbeiter sind leistungsfähiger und produktiver, sodass die Sorge um die Qualität der Arbeitsplätze aus der Sicht des Unternehmens nicht ganz selbstlos ist. Damals wurde aber auch schon auf langlebige und qualitativ hochwertige Materialien und Produkte Wert gelegt. Das lässt sich rund 15 Jahre später gut erkennen: Das Gebäude spricht zwar deutlich die Sprache seiner Entstehungszeit, wie sich beispielsweise am voll verglasten, vorgebauten Treppenhaus mit einem ebensolchen Aufzug erkennen lässt, doch die einzelnen Elemente wirken überwiegend wie neu.
Vom Stein des Anstoßes zum Firmen-Merkmal
Weitaus mutiger war die Unternehmensleitung bei der Sanierung und Erweiterung des bestehenden Hochregallagers. Dessen neue, bunte Fassade trägt eindeutig die Handschrift des Berliner Architekturbüros Sauerbruch Hutton und verbindet diese mit den Grundsätzen von Sedus. Die Fassade sollte ökonomisch und ökologisch sinnvoll sein; sie sollte den Stellenwert widerspiegeln, den das Design bei Sedus mittlerweile eingenommen hat, und sie sollte einen Bezug zum neuen Motto „Place 2.5 – die neue emotionale Kultur des Büros“ herstellen.
Was nach einer Wortschöpfung aus der Marketingabteilung klingt, hat bei Sedus Substanz. Soziologen sind der Meinung, dass sich unser Leben an drei Orten abspielt: im Zuhause als erstem Ort, im Büro als zweitem und an dem Ort, an dem wir unsere Freizeit verbringen, als drittem. Das Unternehmen versucht, mit seinen Möbeln, die durch Produkte anderer Hersteller, wie Leuchten und Akustikpaneele, ergänzt werden, den Arbeitsplatz in eine „inspirierende Bürolandschaft“ umzuwandeln. Dass dabei auch Farben eine Rolle spielen, ist evident und wird bei der neuen Fassade des Hochregallagers sichtbar. Bunt ist sie aber auch, damit der 115 Meter breite und 29 Meter hohe Baukörper durch die kleinteilige Gliederung optisch seine Massivität verliert.
Um die richtigen Töne zu treffen, studierten die Architekten die Umgebung: die ans Gelände angrenzende Wohnbebauung, den Wald, die Wiesen, den Rhein und vieles mehr. Aus dieser Fülle wählten sie 20 Farbtöne aus, die sich gleichzeitig an das warme Terrakotta des benachbarten Verwaltungsbaus anpassen. Mit dieser Palette schufen sie ein bis ins Detail geplantes Muster. Insgesamt 17.200 gedämmte Stahlblechpaneele in den Abmessungen 1.600 mal 255 Millimeter montierten die Arbeiter. Auf den Längsseiten integrierten die Planer je einmal den Unternehmensschriftzug, zusammengesetzt aus je 24 Paneelen mit 1.100 mal 1.600 Millimetern. Die Schrift ist zwar prägnant und von Weitem sichtbar, im Vergleich zur Gesamtfläche allerdings nicht zu dominant.
Der Mut, den Bauherren und Architekten bei diesem Projekt zeigten, lohnte sich aus heutiger Sicht gleich doppelt: Zum einen wirkt der riesige Baukörper, der zur angrenzenden niedrigen Wohnbebauung einen unglaublichen Maßstabssprung darstellt, deutlich kleiner. Zum anderen ist ein Stück Corporate Design entstanden. Das Farbspiel der Fassade hat es sogar auf Pressemappen und diverse Kundengeschenke, wie Notizbücher, geschafft. Es schließt sich hier der Kreis, der bei den Unternehmensgrundsätzen begann und über die Architektur wieder zum Markenauftritt zurückführt.
Hochwertig, funktional, ansprechend
Mit einem ganz anderen Erscheinungsbild wartet das neue Innovationszentrum auf, das jüngste Architekturprojekt auf dem Campus Dogern. Das Hochregallager war einfach in der Kubatur und auffällig an der Fassade. Das Entwicklungs- und Innovationszentrum macht dagegen durch seine Form auf sich aufmerksam, nicht durch sein weißes, textiles Fassadenkleid. Bereits 2001 ebenfalls von Sauerbruch Hutton geplant, wurde es aufgrund der Wirtschaftskrise erst Jahre später begonnen und Ende 2010 fertiggestellt. Mittlerweile war die Projektleitung an das Berliner Büro Ludloff & Ludloff übergegangen. Jens Ludloff war Büropartner von Sauerbruch Hutton und hatte dieses Projekt gewissermaßen als Startkapital mitbekommen.
In diesem Neubau sollten fortan Designer, Entwickler, Einkäufer und Marketingstrategen gemeinsam unter einem Dach forschen und arbeiten. Diesen Anspruch haben die Architekten in der Tat sehr wörtlich genommen. Im Obergeschoss gehen die verschiedenen Arbeitsbereiche fließend ineinander über. Ein großer innerer Kern nimmt Projekt- und Besprechungsräume, eine interne Treppe und mehr auf. Das Erdgeschoss mit Modellwerkstätten und einer Prüfanlage für Bürostühle ist aus funktionalen und akustischen Gründen mit fest stehenden Wänden unterteilt und in Ortbeton ausgeführt. Bei der Wahl der Materialien sowie der Haus- und Energietechnik wurde die Haltung des Unternehmens noch deutlicher in Architektur umgesetzt. Die Fassade besteht aus einem plastifizierten Glasfasergewebe mit hellblauen Abdichtungsbahnen als Unterkonstruktion, das sehr leicht und zugleich extrem strapazierfähig ist. Damit kann das Ziel erreicht werden, eine beständige Fassade mit minimalem Materialeinsatz zu bauen – ganz so, wie es Sedus bei all seinen Produkten praktiziert. Die Analogie zur Stoffbespannung der Stuhlsitze war laut Jens Ludloff nicht explizit gewollt, wirkt aber sehr sympathisch, da damit auch ein Bezug zu den Produkten des Unternehmens hergestellt wird. Als Wandbespannung des inneren Kerns taucht das Textile wieder auf. Der scharrierte Sichtbeton im Eingangsbereich, der dunkelrote Bodenbelag aus Naturkautschuk und die firmeneigenen Möbel vermitteln einen soliden, hochwertigen und langlebigen Eindruck.
Genauso wie das Sichtbare überzeugt bei diesem energetisch optimierten Neubau auch das im Verborgenen Liegende. Beheizt und gekühlt wird das Obergeschoss über eine eingeputzte Heiz- und Kühldecke, die mit Brunnenwasser gespeist wird. Aus der Rücklaufleitung wird das Wasser für die Toilettenspülung und die Bewässerung der Außenanlagen abgezweigt. Das anfallende Regenwasser versickert in Rigolen. Alle Leuchten werden tageslichtabhängig gesteuert und sind mit energieeffizienten Leuchtmitteln bestückt. Und eine logische, aber bislang wenig praktizierte Möglichkeit der Energieeinsparung setzten Architekt und Bauherr hier in die Tat um: Die Abwärme der Bürostuhl-Prüfanlage wird durch einen bivalenten Speicher-Wassererwärmer dem Brauchwasser zugeführt und für die Beheizung verwendet. Für Jens Ludloff ist das eine Selbstverständlichkeit, doch entdecken die meisten Industriebetriebe erst langsam das Potenzial der Nutzung von Abwärme. In der Regel werden die warmen Räume mit weiterer Energie und ökologisch völlig unsinnig einfach wieder auf die gewünschte Temperatur heruntergekühlt. Sedus geht auch hier einen Schritt voraus.
Gleiche Maßstäbe für Architektur und Möbel
Bürostühle wie Gebäude halten keine Ewigkeit und müssen irgendwann wieder auseinandergebaut werden. Bei den Sedus-Stühlen wird das spätere Recycling schon in der Entwicklung bedacht. Auch beim Entwicklungszentrum achteten alle Beteiligten darauf, dass es möglichst wieder in seine ursprünglichen Komponenten zerlegt und gut entsorgt werden kann. Dass darüber hinaus für die Bauarbeiten, wo immer möglich, ortsansässige Handwerker beauftragt wurden, versteht sich bei dieser Herangehensweise schon fast von selbst.
Aus städtebaulicher Sicht erfüllt das Entwicklungs- und Innovationszentrum noch eine weitere wichtige Rolle: Es vermittelt zwischen den kleinen Häusern am Ortsrand und dem riesigen Hochregallager. Dies gelang den Architekten durch die in allen drei Dimensionen differenzierte Form des Gebäudes, die es als Hintergrund der Wohnhäuser kleiner und als Vordergrund des Lagers größer erscheinen lässt.
Beispiel 4: Bock auf Truck – Im Abbild eines Lkw-Auflegers werden Lkws verkauft
Simone Hübener ist Fachjournalistin für Architektur und Bauen in Stuttgart.