Bei aller „Landliebe“ – die allermeisten Dörfer darben, am sichtbarsten baulich. Zwischen Agrarfabriken, Leerstand und Pendlerelend nutzen indes mancherorts Pioniere die Freiräume, die sich hier bieten – nicht zuletzt architektonisch.
Einer dieser Pioniere ist Fritz Stiegler, 57, Landwirt in Gonnersdorf westlich von Nürnberg. Hier, in Mittelfranken, ist die Zahl landwirtschaftlicher Betriebe seit 2010 um über zehn Prozent zurückgegangen, stärker als bundesweit. Doch Fritz Stiegler gab nicht auf, auch wenn sein mitten im Ortskern gelegener Hof „mehr schlecht als recht“ lief, wie er sagt.
Zunächst war er auf den Anbau von Tabak umgestiegen und hatte seine Milchkühe durch die Reitpferde von Städtern ersetzt. Als die Subventionen für Tabak ausliefen, fing er versuchsweise mit dem Anbau von Haselnüssen an. Sein Sohn Martin, 27, brachte als frischgebackener Agraringenieur Ideen zur Direktvermarktung aus den USA mit und probierte aus, was sich mit Nüssen so alles machen ließe. Das Unternehmen kam in Schwung, Anbaufläche und Produktpalette expandierten – da brannte 2014 der komplette Hof ab.
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Neustart am alten Platz
Für die drei Generationen der Familie war klar, dass sie weiter am alten Platz wohnen und arbeiten wollten. Als Erstes errichtete man zwar eine Halle im Außenbereich des Ortes für den laufenden Betrieb, doch den gesamten Hof auszusiedeln kam nicht infrage. Fritz Stiegler schreibt nebenher fürs örtliche Theater, Spross Martin ist voller innovativer Ideen, da wäre so eine x-beliebige Trapezblech-Existenz auf freier Flur völlig unpassend.
Mithilfe des Architekten Peter Dürschinger aus dem kaum zehn Kilometer entfernten Fürth, dessen Holzbauprojekte ihnen bekannt waren, bauten die Stieglers also den jahrhundertealten Dreiseithof an der Dorfstraße neu auf. Aus dem Schutt bargen sie die Brocken aus ortstypischem Sandstein, die wieder als Basis für die Gebäude dienen sollten. Holz aus dem eigenen Wald wurde für fast alles Weitere verwendet, wie zuvor schon bei den Reitställen und -hallen im rückwärtigen Bereich des Hofes, der verschont geblieben war. Dürschinger ist überzeugt: „Bauen auf dem Land geschieht aus der Materialität heraus.“ Rechts und links durften sie wieder auf die Grenze zum Nachbarn gehen, und auch die Behörden spielten mit.
Wie geschaffen für eine Landpartie
Stadtnah gelegen, noch gerade außerhalb des Fürther Speckgürtels, bot sich der Hof für den Ausbau der Direktvermarktung an. Die imposante, gerade renovierte Cadolzburg in Sichtweite, wirkt die Gegend wie geschaffen für eine Landpartie. Tatsächlich strömen die Touristen von weit her, und der Hof kooperiert mit Gastronomen in der Nähe, sodass heute fast täglich Busse bei Stieglers „FrankenGeNuss“ vorfahren.
Der Neuaufbau ist gezielt als Bauernhof zum Anfassen konzipiert: Zur Dorfstraße hin stehen wie zuvor zwei Giebelhäuser, wie es üblich ist in der Gegend um Nürnberg. Eines jedoch ist neu gebaut als Hofladen mit einer Glasfront hinterm Lattenrost. Drinnen ein offener Verkaufsraum, an dessen Ende eine Panoramascheibe: Man setzt auf „gläserne Produktion“ und lässt sich beim Sortieren und Rösten zuschauen. Auch die alte Schmiede nebenan ist einbezogen, dort steht im restaurierten Ambiente sogar ein Automat für den Topseller der jungen Firma, die Nusscreme (ohne Palmöl!), von der im letzten Jahr 25.000 Gläser verkauft wurden. Beide Giebelhäuser verbindet ein kleiner, bekiester Innenhof zum Bewirten.
Die große Ausnahme
Am Laden vorbei geht es in den Haupthof, den wie früher Hallen und Lager säumen, nun aus schlichtem Holz in traditioneller Boden-Deckel-Schalung, aber mit Pultdach für die Solarnutzung. Hackschnitzel aus dem eigenen Wald beheizen hier den ganzen Hof. Werkstatt und Verwaltung liegen eher versteckt auf der Nordseite. Das Hof-Pflaster ist recycelt und darum voller bunter Farbspuren, was fast schon Kunst-am-Bau-Charakter hat.
Wichtigste Abweichung vom Alten: An die Stelle des großen Wohnhauses vorn an der Straße trat ein schlanker Neubau, der quer zur Straße steht. Diese Neuausrichtung schafft einerseits Platz zum Rangieren im Hof, sie nutzt aber andererseits auch das Gefälle der Straße, um die Austragswohnung der Eltern von Süden her ebenerdig zu erschließen.
Der Sockel aus verwitterten Hausteinen erdet den sonst modernen Tafelbau und rahmt die Treppe zur Wohnung des Juniors. Glatte, grau lasierte Vertikalschalung, Metallfenster mit schrägen Laibungen, eine Loggia mit Über-Eck-Verglasung – all das wirkt mitten im Ort schon etwas ungewöhnlich. Das noble Grau sowie raumbildende Bäume lassen das Haus aber in den Hintergrund treten. Vis-à-vis vom Laden birgt der Neubau eine große Küche für alle. So herrscht fast wieder heile Welt am Hof, auch wenn die vielen Autos der Kundschaft etwas stören. Das Geschäft floriert, um die 150 Kunden kommen am Tag.
Karge Gegend, sparsame Bauweise
Architekt Peter Dürschinger, der den Stieglerhof von Leistungsphase 1 bis 9 betreut hat, ist in der traditionell kargen Gegend aufgewachsen und mit deren sparsamen Bauweisen vertraut. Er ist es gewohnt, mit den Handwerkern vor Ort machbare Lösungen zu skizzieren. So gelangen ihm „Details, die die Nähe suchen“, wie er es ausdrückt, etwa an den Traufen, wo ein dreieckiger Querschnitt aus Holz mit Blecheinlage an alte Vorbilder erinnert. Die heute gängige knappe Hausform ohne Überstände war hier schon früher verbreitet – die Gegend ist auch an Regen arm. Dass Bauherren am Haus selbst mit Hand anlegen und Dinge organisieren, ist für ihn typisch Land. Da rede man miteinander.
Leider sei das Projekt, für das er 2018 mit dem Deutschen Landbaukulturpreis ausgezeichnet wurde, aber konzeptionell und gestalterisch eine große Ausnahme, klagt Dürschinger und schimpft, wie viel an wertvoller Substanz in den Orten „zusammengerissen“ und von gesichtslosen Bauträgerprojekten ersetzt werde. „Seit die Staatsregierung das Bauen im Außenbereich erschwert, muss man sich Sorgen um die Innenbereiche machen“, meint er. Früher hätten die Kreisbaumeister noch die Bauern gekannt und oft ein gutes Wort für ortsverträgliche Lösungen eingelegt. „Heute ist die Materialität oft verheerend.“
So steht der Stieglerhof eher für eine ländliche Nische, die kreativ genutzt wird. Wer sich dem „Wachsen oder Weichen“ der industrialisierten Landwirtschaft nicht unterwerfen will, muss sich eben etwas Gutes einfallen lassen. Die bodenständige, gesunde Familien-Manufaktur als Gegenmodell zur anonymen Massenware – das zieht in medialen Zeiten allemal.
Zahlreiche Berichte widmeten sich schon den findigen Feinschmeckern mit der Nuss als Ausgangspunkt für die entlegensten Produkte wie Nuss-Likör, Nuss-Nudeln, Nuss-Salz oder Nuss-Mulch. In Bio-Kreislaufwirtschaft wird hier (mithilfe von 800 Hühnern) in ländlichen, aber auch in Online-Netzwerken wirklich alles verwertet und unter die Leute gebracht. Vielleicht Luxus (ein kleines Glas Aufstrich kostet fast sieben Euro), aber von hier, von einem besonderen Ort.
Alle Beiträge zum Thema finden Sie in unserem Schwerpunkt Ländlich
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