Roland Stimpel
Seit hundert Jahren laufen Versuche, Stadt und Auto miteinander zu versöhnen. Gelungen ist fast keiner: Entweder litt die Stadt oder der Autoverkehr. Die „autogerechte Stadt“ gibt es so wenig wie das innenstadtgerechte Auto. Aber jetzt kursiert ein neues Heilsversprechen: Der Elektromotor versöhne endlich Auto und Stadt. Das hofft zum Beispiel Thomas Willemeit von Graft Architekten, der kürzlich in einem Beitrag der „Wirtschaftswoche“ auf „ultrasparsame und emissionsarme Fahrzeuge“ als wichtige Problemlösung setzte.
Für die geplanten Anwohner, Fußgänger und Radfahrer an und auf großen Straßen wäre das in der Tat ein großer Fortschritt – Abgase und Lärm lassen nach. Aber während diese Ärgernisse verschwinden oder sich in ferne Kraftwerke verlagern, bleiben sechs andere Probleme des Autoverkehrs in Städten erhalten: der immense Flächenfraß, die Unfallgefahr, die Barrierewirkung viel befahrener Straßen, die optische Dominanz lackierten Blechs und nicht zuletzt die Ausdünnung und Vergröberung der Städte – erzwungen durch den Raumbedarf fürs Fahren und Parken, gefördert durch das hohe Tempo der Autos. Beides prägt die Siedlungsstruktur immens. Da kann der „intelligente Städtebau“ kaum gegenhalten, den Thomas Willemeit zwecks „Reduzierung der Fahrstrecken“ fordert.
Der Zwiespalt autofahrender Städter bleibt erhalten, auch wenn der Motorantrieb wechselt: Sie sind Belästigte und Belästiger. Zugleich gibt es immer mehr Menschen, die meist nur Belästigte sind: in dichten Quartieren großer Städte bis zur Hälfte der Haushalte. Denn es wachsen die Gruppen, deren Angehörige weniger Autos besitzen: Rentner, Umwelt- und Gesundheitsbewusste, freiwillig oder zwangsweise Sparsame, Lebenskünstler. Auch sie sind nicht ganz autolos. Manche fahren fast wöchentlich Taxi, was sie sich ohne eigenen Wagen leisten können. Manche nehmen stunden- oder tageweise ein Miet- oder Carsharingauto, wenn sie ausnahmsweise eins brauchen. Und wenn sie in Ulm wohnen, lassen sie sich für die 200 Smarts registrieren, die neuerdings überall in der Stadt herumstehen und pro Minute 19 Cent kosten.
Teure Tunnel, zaghafte Kompromisse
Ihre wichtigsten Verkehrsmittel aber sind Füße, Fahrrad, Bus und Bahn. An Flexibilität und Effizienz sind sie in dichten Stadtgebieten den Autofahrern weit voraus. Den Planungsbehörden vieler Städte sind sie es auch. Die zwacken gelegentlich dem Autoverkehr eine Fahrspur oder einen Parkplatz ab, wagen sich aber nicht an mehr – denn Autofahrer und die auf sie fixierten Unternehmen sind da äußerst anspruchsvoll und schmerzempfindlich. Will man einen zentralen Stadtraum entlasten, baut man einen Multimillionentunnel – so geschehen in Köln und Düsseldorf, in Berlin unterm Tiergarten, vielleicht bald in Saarbrücken (siehe Seite 20). Wo das Geld fehlt wie jetzt in Stuttgart, bleibt die Misere – und in diesem Fall die Kulturmeile zerschnitten.
Manche Städte fördern auch Alternativen. Das kann helfen: In Berlin hat sich der Fahrradverkehr in den letzten zwanzig Jahren verdoppelt, dank eigener Spuren auf vielen Straßen, Radrouten quer durch die Stadt und großzügige Mitfahrregeln in den Bahnen. Aber trotz solcher Erfolge bleibt die Verkehrspolitik der Hauptstadt schizophren: Gerade ficht Berlins Senat wieder mit 70er-Jahre-Argumenten für eine neue Stadtautobahn. Und in der aktuell wiederentdeckten Altstadt soll zwar die breiteste und meistbelastete Piste zwei Schwenks erhalten, aber weiterhin soll sie täglich über 50 000 Autos direkt am Rathaus entlangführen. Auch in Frankfurt und Köln rühren die neuen Masterpläne die Altstadt-Rennpisten Berliner Straße und Nord-Süd-Fahrt kaum an.
Wo das Auto nicht ganz dominiert, suchen Städte nur zaghaft ein etwas friedlicheres Nebeneinander im Raum: mit verkehrsberuhigten Zonen, allerdings eher in entlegenen Vorstadtstraßen, oder neuerdings im holländischen „Shared Space“ mit eingeebneten Flächen, auf denen alle gleiche Rechte haben (siehe Seite 12). Oder aber mit getrenntem, doch neu verteiltem Raum. Lange galt die Straßenbauregel, zuerst vordefinierte Fahrbahnbreiten zu planen und alles andere auf den Restflächen. Seit 2006 erlaubt die „Richtlinie für die Anlage von Stadtstraßen“ andere Raumverteilungen. „Städtebauliche Bemessung“ heißt die maßgeblich vom Aachener Planer Harald Heinz aus dem Büro Heinz Jahnen Pflüger propagierte Methode: Der begrenzte Raum zwischen den Häusern wird optimal verteilt, nicht erst als Fahrbahn und dann für alles andere.
Heinz berichtet: „Oft werde ich gefragt, was zu machen sei, wenn sich danach eine Fahrbahnbreite ergebe, die nicht mehr zum Fahren ausreiche. Meine Antwort ist, dass ich mir eher eine Straße ohne Autos als eine Straße ohne Menschen vorstellen kann.“ Doch die meisten Straßen sind längst gebaut und bleiben, wie sie sind. Und selbst wo sie umgestaltet oder wo noch neue angelegt werden, hat meist das Auto Priorität. In der Blechzeit gilt wie in der Steinzeit: Die Harten, Breiten, Lauten und Schnellen setzen sich durch.
Selbst das Bundesministerium, das in seinem Namen sowohl den Verkehr wie die Stadtentwicklung führt, sucht zwischen beiden oft keine Kompromisse. Ein Abteilungsleiter verordnete zur Richtlinie von 2006, in Ortsdurchfahrten von Bundesstraßen sei „in der Regel eine Befahrbarkeit mit der innerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h sicherzustellen“ und „unabhängig von der Stärke des Verkehrs die Begegnung zweier Linienbusse mit uneingeschränktem Bewegungsspielraum zu gewährleisten. Für zweistreifige Fahrbahnen ist deshalb in der Regel eine Breite von 6,5 Metern erforderlich.“
Keine Versöhnung
Ein Auto wäre kein Auto mehr, wenn sein Umfang und sein Tempo auf ein stadtgerechtes Maß schrumpfen müssten. Darum wird der Konflikt zwischen der empfindsamen, kommunikativen und feinmaschigen Stadt und dem raumgreifenden, eher autistischen Fahrzeug weitergehen. Seit es in den Nachkriegsjahrzehnten die stärkste Dominanz in Planerköpfen besaß, haben sich die Gewichte zwar wieder etwas zugunsten der Stadt verschoben. Aber meist sollen noch ungehindert alle Räder in der Stadt rollen dürfen, auch wenn die Stadt weiter unter die Räder zu kommen droht. Versöhnung bleibt die Ausnahme; der Dauerkampf zwischen Stadt und Auto geht weiter.