Interview: Cornelia Dörries
Ein Tatort ist, ganz banal, ein Ort, der zum Schauplatz eines kriminellen Delikts wurde. Kriminalstatistisch handelt es sich dabei eher selten um einen dunklen, menschenleeren Wald, sondern in den meisten Fällen um einen bebauten, von Architekten oder Stadtplanern gestalteten Raum. Die Architektin Ingrid Hermannsdörfer geht im Landeskriminalamt Berlin dem Zusammenhang von Planung und Sicherheit nach und untersucht systematisch, welche strukturellen und gestalterischen Faktoren dazu beitragen können, dass Orte nicht zum Tatort werden. So einleuchtend die Verbindung zwischen Planung und Sicherheit ist – erst 2011 schrieb die Berliner Polizei eine Stelle für eine entsprechend qualifizierte Fachkraft aus. Hermannsdörfer, die sich schon in ihrem 1982 abgeschlossenen Studium für das Thema interessierte, bewarb sich mit Erfolg und hat es in den vergangenen vier Jahren geschafft, innerhalb der Behörde ein neues Bewusstsein für die räumlichen Bedingungen von Straftaten zu schaffen. So schult sie die Beamten in den einzelnen Direktionen, doch ihre Abteilung berät auch Planer und Bauherren, oft schon im Vorfeld eines Projekts. Hermannsdörfer setzt bei ihrer Strategie nicht vorrangig auf den verstärkten Einsatz von Sicherheits- und Überwachungstechnik, sondern auf die vorbeugende Wirkung von hellen, gut einsehbaren Räumen mit Aufenthaltsqualität und sozialer Kontrolle.
Sie beschäftigen sich als Architektin im Polizeidienst mit der Frage, wie Räume, Plätze und Gebäude beschaffen sein müssen, damit Überfälle, Raubdelikte oder mutwillige Zerstörungen gar nicht erst stattfinden. Welche Kriterien legen Sie dabei zugrunde?
Wichtig ist zunächst etwas, das man nicht unbedingt sofort mit Kriminalität in Zusammenhang bringen würde, nämlich eine gute Instandhaltung von Gebäuden und öffentlichen Räumen. Denn Verwahrlosung signalisiert immer, hier gebe es keine verbindlichen sozialen Regeln und Normen. Durch neuere Studien wurde bestätigt, dass verstreuter Müll, Graffiti, zerkratzte Scheiben an Bushaltestellen und Zerstörungen zu weiteren Normverletzungen verleiten. Gleichzeitig fühlen sich viele Menschen in verwahrlosten Räumen verunsichert, weil sie befürchten, dass ihnen hier im Notfall niemand zu Hilfe kommen würde. Es ist also wichtig, Vandalismusschäden und Müll zügig zu beseitigen und insbesondere bei Grünanlagen auf einen guten Pflegezustand zu achten.
In jeder Stadt gibt es Plätze oder Gegenden, an denen eine gewisse Verwahrlosung um sich greift. Wann wird aus solchen Räumen ein Ort, der auch aus kriminologischer Sicht „gefährlich“ oder „unsicher“ ist?
Man muss unterscheiden zwischen Orten, die möglicherweise tatsächlich gefährlich sind, und Orten, die als gefährlich wahrgenommen werden. Wir haben es mit einem Unterschied zwischen tatsächlicher Sicherheitslage, also der „objektiven Sicherheit“, und dem individuell unterschiedlichen Sicherheitsempfinden, der „subjektiven Sicherheit“ zu tun. Auf beides muss die städtebauliche Kriminalprävention eingehen. Manche Orte verändern ihren Sicherheitscharakter auch mit der Tageszeit. Ein tagsüber belebter Park oder ein Platz, auf dem man sich im Hellen entspannt aufhalten kann, auch wenn er nicht in allen Bereichen übersichtlich ist, kann nachts unsicher sein. Objektiv gefährlich können Orte sein, die abgelegen, wenig frequentiert, unübersichtlich, verwahrlost oder schlecht beleuchtet sind. Durch das Fehlen von sozialer Kontrolle durch andere Menschen, zu wenig Licht und unzureichende Sicht ergeben sich im Zusammenhang mit gewissen räumlichen Strukturen Tatgelegenheiten für verschiedene Delikte: Diebstähle, Raubtaten, Sexualstraftaten oder Drogenhandel. Solche Orte werden allerdings von den meisten Menschen auch als potenziell gefährlich empfunden und möglichst gemieden, zumindest zu bestimmten Zeiten. Auch Orte, die von einzelnen Nutzergruppen dominiert werden, zum Beispiel von Drogen- oder Alkoholkonsumenten, lösen bei vielen Leuten Unbehagen und Unsicherheit aus.
Wie kann man schon bei der Planung auf solche Aspekte reagieren? Oder anders gefragt: Gibt es bestimmte sicherheitsrelevante Parameter, die Architekten schon beim Entwurf beachten sollten?
Ein wichtiger Aspekt ist die Gewährleistung sozialer Kontrolle durch eine Aufenthaltsqualität, die viele unterschiedliche Nutzergruppen anspricht und Sichtbezüge erlaubt. Die Möblierung öffentlicher Räume sollte also nicht einfach bestimmten Moden oder einem rein ästhetischen Zeitgeist folgen, sondern muss die Bedürfnisse unterschiedlicher Altersgruppen, soziale und kulturelle Hintergründe sowie psychologische Belange, wie beispielsweise geschlechtsspezifische Unterschiede in der Raumnutzung, berücksichtigen. Räumliche Strukturen, die tatbegünstigend wirken können, sind beispielsweise Nischen, Gebäuderücksprünge oder eine sichtbehindernde Bepflanzung. Jeder kann sich leicht vorstellen, dass es Unbehagen erzeugt, wenn neben einem schlecht beleuchteten Hauseingang mit seitlichen Schutzwänden auch noch hohe Sträucher stehen. Barrierefreiheit und gute Orientierungsmöglichkeit sind weitere Aspekte. Stellen Sie sich vor, Sie sind schon etwas älter und gehbehindert und müssen einen Platz überqueren, der mit einem halben Dutzend unterschiedlicher Pflasterungsarten gestaltet wurde – das bedeutet, dass Sie Ihre ganze Aufmerksamkeit auf die unfallfreie Fortbewegung richten müssen, sodass Ihnen möglicherweise entgeht, dass sich gerade jemand anschickt, Ihnen das Portemonnaie aus der Tasche zu ziehen oder die Handtasche zu entreißen. Dasselbe kann passieren, wenn Sie Mühe haben, sich auf einem unübersichtlichen Platz ohne Orientierungshinweise zurechtzufinden. Bestimmte Delikte können leider überall und ortsunabhängig passieren, insbesondere Affekttaten. Plötzliche Gewaltexzesse unter Alkoholeinfluss zum Beispiel werden auch durch Videoüberwachung des betreffenden Ortes oder durch die Anwesenheit von Zeugen nicht unbedingt verhindert.
Lassen sich solche allgemein verbindlichen Kriterien auch für Gebäude formulieren?
Vielfach ergeben sich Sicherheitsrisiken aus der Gebäudegeometrie, die ungewollt Versteckmöglichkeiten für potenzielle Täter anbietet: durch Rücksprünge, Mauern, Nischen oder verwinkelte Flure. So sollten Hauseingänge grundsätzlich nischenfrei und möglichst transparent gestaltet werden. Einbrüche im Erdgeschoss werden oft erleichtert, weil hohe Sträucher vor den Fenstern den potenziellen Tätern guten Sichtschutz bieten. Doch grundsätzlich gilt: Jede Situation muss individuell betrachtet werden. Wie ist die jeweilige Lage vor Ort? Gibt es Auffälligkeiten in puncto Kriminalität? Wenn ja, lassen diese sich mit den konkreten räumlichen Bedingungen in Verbindung bringen? Welche Einflussfaktoren gibt es im Umfeld? Mit welchen konkreten baulich-gestalterischen Veränderungen kann man den Prinzipien der städtebaulichen Kriminalprävention gerecht werden? Wie lässt sich soziale Kontrolle herstellen? Wer muss in den Planungsprozess einbezogen werden? Partizipation ist dabei ein wichtiger Punkt: Städtebauliche Kriminalprävention ist auf Netzwerkarbeit und die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger angewiesen. Informelle soziale Kontrolle entsteht und funktioniert dann, wenn die Anwohnerschaft beziehungsweise die Nutzerinnen und Nutzer sich durch Teilnahme an der Planung mit ihrem Wohnumfeld identifizieren und deshalb bereit sind, sich zu engagieren und Verantwortung dafür zu übernehmen.
Wohin können sich Planer mit speziellen Fragen zu Kriminalitätsprävention und Sicherheit wenden?
Die Polizei bietet allen, die planen und bauen sowie raum- und baubezogene Konzepte entwickeln, eine kostenlose Beratung an. Sinnvollerweise sollte dieses polizeiliche Erfahrungswissen bereits in der Phase der Vorplanung einbezogen, wenn nicht sogar schon zum Bestandteil der Grundlagenermittlung gemacht werden. In Berlin kann man sich an den Bereich Städtebauliche Kriminalprävention der Zentralstelle für Prävention beim Landeskriminalamt wenden. Wir bieten Ortsbegehungen an und beraten bei konkreten Problemlagen, beteiligen uns an Planungsverfahren, Runden Tischen und Verwaltungsrunden und nehmen Stellung zur Bauleitplanung sowie im Rahmen von Wettbewerbsverfahren. In den anderen Bundesländern sind die Strukturen unterschiedlich, aber es gibt überall polizeiliche Ansprechpartner für diese Form der Prävention.
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