Interview: Roland Stimpel
386 Hektar Fläche und 300 000 Quadratmeter Gebäude sind sinnvoll zu nutzen – und das in einer Stadt mit wenig räumlichem Entwicklungsdruck. Ist für Sie die Planung mit so viel Leerraum Lust oder nicht doch eher Last?
Eindeutig Lust. Die Faszination Tempelhofs liegt gerade in seiner Offenheit, in der Chance, zu forschen und neue Wege zu finden. Dass kein starker Bebauungsdruck herrscht, ist für die Zukunft des Areals ausgesprochen gut. So kann die Entwicklung dem Wandel von Anforderungen angepasst werden. Dadurch wird es auch lebendiger, erst damit lassen sich unterschiedliche Zeitschichten ablesen.
Wollen Sie ohne eine Leitvorstellung auskommen, die für Jahre und Jahrzehnte gültig ist?
Die Leitvorstellung ergibt sich aus dem Ort und der Stadt. Das Tempelhofer Feld ist in doppelter Hinsicht ein besonderer Ort. Es ist eine riesige, freie Fläche im Zentrum einer Großstadt und es besitzt immense ikonografische Kraft. Es ist schon heute eine internationale Adresse und wird mit Berlin identifiziert; es muss nicht eigens definiert und erklärt werden. Und Berlin insgesamt hat ein großes Zukunftsthema: hohe Lebensqualität in einer großen Metropole, die Synthese von Urbanität und Freiraum, kluge Kombinationen von Wohnen, Erholung und Arbeit, Alternativen zum suburbanen Leben. Dieses Thema kann gerade in Tempelhof exemplarisch entwickelt und präsentiert werden.
Was folgt daraus räumlich?
Fest steht, dass die Mitte offen bleibt – und zwar nicht nur ein kleiner grüner Kern, sondern ein Großteil des Gesamtgeländes. Fest steht auch, dass das Gebäude erhalten wird. Und die Randbereiche sollen sich nicht wie in einer Retorte entwickeln, sondern in Bezug zu den umliegenden Quartieren stehen.
Gibt es zu Beginn einen Wettbewerb für das Gesamtareal?
Nein, die Gesamtkonzeption ist schon in den mittleren 90er-Jahren entwickelt und jetzt nochmals überarbeitet worden. Aber selbstverständlich wird es Wettbewerbe für die einzelnen Quartiere und für die Parklandschaft im Zentrum geben. Im nördlichen Columbia-Quartier werden wir in einem ersten Wettbewerbsverfahren die Frage untersuchen, wie hier dieses neue Stück Stadt an Kreuzberg angebunden werden kann. Erst wenn dieser Kontext geklärt ist, geht es in einer zweiten Stufe um den Städtebau im Quartier selbst, um innovative, generationsübergreifende Wohnformen mit einem besonderen Gewicht auf Baugruppen. 2017 kann das Columbia-Quartier, das sich jedoch nicht nur auf dieses Quartier beziehen soll, Schauplatz einer internationalen Bauausstellung sein.
Wird es auch für den Freiraum bald einen Wettbewerb geben?
Bevor wir ihn starten, wollen wir mit zwei bis drei internationalen Landschaftsplanungsbüros ein Profil entwickeln. Es gibt ja sehr spannende Ansätze schon seit den 90er-Jahren, ich nenne die Stichworte Wiesenmeer und Fliegerberg. Ich denke aber, dass das Areal etwas mehr Diversität ertragen kann. Es geht auch darum, Erholung mit anderen Themen zu verknüpfen, etwa Energiegewinnung und Stadtklima. Hier hat ja das Gebiet eine ganz wichtige Funktion des ökologischen Ausgleichs und der Abkühlung, die es natürlich behalten soll.
Werden die Berliner es sich bald aneignen können?
Das Areal wird sukzessive geöffnet, aber nicht auf einen Schlag. Es soll ja nicht verwildern. Zwischen- und Pioniernutzungen, das Annektieren von Flächen ist ein ganz wichtiger Bestandteil der Entwicklung. Das wird mit Tagen der offenen Zugänglichkeit beginnen. Es kann Sport- und Kulturereignisse geben, auch temporäre Bauten und eine internationale Gartenschau, um die wir uns jetzt bewerben. Sie kann eine starke und zielführende Form der Übergangsnutzung sein.
Wie wollen Sie denn mit dem riesigen Flughafengebäude umgehen?
Das ist der Ausgangspunkt der künftigen Nutzung. Es ist im Bewusstsein der Stadt verankert und international prominent. Es hat eine außerordentlich robuste Architektur, die auch Veränderungen aushält, die sogar durch Veränderungen noch gestärkt werden kann. Als ein Vorbild sehe ich da die Tate Modern in London, die durch kluge Intervention im Inneren zu einem öffentlichen Raum geworden ist. Da wurde eine Trutzburg zum genauen Gegenteil umgepolt.
Es steht auch in zweierlei Hinsicht buchstäblich im Weg: als 50 Meter hohe und 1 200 Meter lange Mauer, die den Zugang und den Luftaustausch behindert.
Dass diese Mauer da ist, kann man nicht ändern. Aber man kann sie durchgängiger machen, indem man zum Beispiel das Zentralgebäude mit der jetzigen Terminalhalle nach beiden Seiten öffnet. Auch an anderen Stellen kann ich mir Durchgänge vorstellen.
Wie wollen Sie ein so riesiges, schwieriges und teils seit 65 Jahren im Rohbau dastehendes Gebäude entwickeln?
Da müssen wir stufenweise vorgehen. Wir beginnen mit einem „Call for Interest“, einem internationalen Aufruf, um herauszufinden, wo sich welche Potenziale befinden. Da können sich Interessenten für Teile des Gebäudes, in einem zweiten Aufruf auch für das Feld melden. Mit denen werden wir dann Gespräche führen.
Mit jedem?
Natürlich nicht. Das Gebäude muss eine thematische Ausstrahlung bekommen, sonst wird man es niemals wirtschaftlich vermarkten können. Wir suchen Nutzer, die im weiteren Sinn innovativ und kreativ sind, die es verstehen, Events hineinzubringen. Es gibt ja schon heute eine Eventhalle; und es gibt Interessenten wie zum Beispiel Filmstudios, Ausstellungen, Museen.
Für das Gesamtareal weiß heute noch niemand, wie groß das Entwicklungspotenzial und der Entwicklungsdruck in zwanzig Jahren sein werden. Wie wollen Sie sicherstellen, dass der heute geschneiderte Mantel weder zu weit noch zu eng ist?
Durch die Entwicklung von den Rändern zur Mitte hin.
Das heißt: Bei stärkerem Druck kann die Mitte auch zuwachsen?
Nein, das Verhältnis von offenen zu bebauten Flächen steht weitgehend fest. Die besondere Qualität des Gebietes wird der zentrale Freiraum sein, und wer dort agiert und investiert, muss sicher sein, dass diese Qualität erhalten bleibt. Auf dem Gelände entsteht in keinem Fall ein riesiges, gesamthaftes Stadtquartier.
220 Hektar zentrale Parklandschaft, weit über die Hälfte des Gesamtareals – verschenkt das nicht riesige urbane Potenziale, steht es nicht einer wünschenswerten stärkeren Konzentration von Stadt entgegen?
Das ist vergleichbar mit dem Tiergarten oder dem Central Park oder dem neuen Park in München-Riem, und die gehören ja auch zur Stadt. Das Verlangen nach Landschafts- und Erholungsräumen wird immer größer, immer mehr Menschen wollen immer mehr Zeit darin verbringen. Hier haben wir eine fantastische Chance, dieses Verlangen in der Stadt zu befriedigen und nicht irgendwo draußen. Es hilft schon viel, sich den Zaun wegzudenken. Heute ist das Gebiet quasi exterritorial; in Zukunft wird es ein integrativer Teil der Stadt sein.
Aber falls der Nutzungsdruck eines Tages doch überhand nimmt, droht dann nicht ein willkürliches Anknabbern des zentralen Freiraums?
Dann werden die Areale zwischen den einzelnen Quartieren entwickelt, die ja bis auf Weiteres auch frei bleiben. Da gibt es reichlich Verdichtungspotenzial.
Wenn in vier Monaten der Flughafen geschlossen wird, haben Sie dann ein Versöhnungsangebot für die vielen, die ihn am liebsten erhalten hätten?
Das Gebäude bleibt erhalten und wird öffentlicher denn je; auch das Flugfeld wird geöffnet. Das Areal bleibt im Stadtgrundriss und damit im kollektiven Gedächtnis. Und ein Teil der Nutzungen wird an die Geschichte anknüpfen.
Denken Sie an das Luftfahrtmuseum, das zum Beispiel Volkwin Marg lebhaft propagiert?
Ja, Flieger, die waren ja immer Pioniere. Das erklärt auch einen Teil der Anhänglichkeit, die viele noch an die zu Ende gehende Nutzung des Areals haben. Aber heute gibt es ein anderes Pionierthema: die Entwicklung von Mobilität in der Zukunft. Da hat sich die alte Funktion Tempelhofs überlebt. Auch darum ist er ein hervorragender Ort, über künftige Mobilitätsformen durch Ansiedlung zukunftsweisender Forschung und Technologie auf diesem Gelände nachzudenken, aber auch eine klimagerechte und ressourcenschonende Gesamtkonzeption. Das steht symbolisch für die Entwicklung des gesamten Geländes: Es wird aus der funktionellen Rückständigkeit eines veralteten Flughafens am falschen Ort in Zukunftstüchtigkeit überführt.