Text: Wojciech Czaja
Es beginnt schon mit den ersten Schritten in Richtung Architekturbüro. Der Firmensitz von the next ENTERprise ist nämlich keine futuristische Kommandokapsel, wie der Name fälschlicherweise vermuten lässt, sondern ein privilegiertes Stück Erdgeschoss-Grün mit Vogelgezwitscher und Bienengebrumm. Am Rande des Praters verläuft eine der wenigen Straßen Wiens, deren Häuser mit mal romantischen, mal hübschen, mal verwahrlosten Vorgärten gesäumt sind. Es ist ein Fleckchen Suburbia mitten in der Stadt.
Der Frühling ist heiß, die Gartentür steht weit offen. Ernst J. Fuchs, der gemeinsam mit seiner Partnerin Marie-Therese Harnoncourt und sechs Mitarbeitern in der nach der US-amerikanischen Raumschiff-Serie von 1966 benannten Kreativschmiede tätig ist, tritt hinaus an die frische Luft, die Zigarette in der einen, ein kleines Styropormodell in der anderen Hand; er hält es in die Sonne hoch, blickt von unten durch die Kanten und Löcher. Eine Massenstudie für ein altes Winzerhaus in Niederösterreich, das demnächst saniert und umgebaut werden soll.
„Das ist ein schönes Projekt mit einem ganz charakteristischen Fernraum“, sagt Fuchs paffend. Das Wort kommt so selbstverständlich über seine Lippen, als könnte man es jederzeit im Duden nachschlagen. Fernraum? „Ein Fernraum ist weder Innen- noch Außenraum, sondern eine Art klar definierter Raum mit deutlichen, aber nicht unbedingt thermisch isolierenden Grenzen, ohne direkte Programmierung, ohne vorgeschriebene Nutzung.“ Und dann, nach einer Weile: „Ein Fernraum ist nichts anderes als ein zeitgenössisches Lusthaus, eine mentale Erweiterung der Architektur.“
Genau dieser Fernraum zeichnet die Tätigkeit von the next ENTERprise, abgekürzt tnE, aus. Als wäre das Material der Architektur nicht nur Fassade, nicht nur Untersicht, nicht nur Dach, sondern eine präzise angeordnete Schicht zwischen dem Raum auf der einen und dem Raum auf der anderen Seite, beschäftigen sich Fuchs und Harnoncourt mit Aufgaben, die über das Errichten von Bauwerken weit hinausgehen. Ihr Thema ist die räumliche Verzahnung aus Bauwerk und Topos.
Am prägnantesten zeigt sich diese Verschränkung am sogenannten „Wolkenturm“ in Grafenegg, Niederösterreich. Mitten im historischen Schlosspark baute tnE in Zusammenarbeit mit dem Landschaftsplanungsbüro „Land in Sicht“ für die Familie Metternich-Sándor eine spektakuläre Freilichtbühne, die aber auf selbstverständliche Art und Weise in die Topografie eingebettet ist. Wie ein Kristall aus Stahl und Beton schraubt sich die offene, expressive Bühnenskulptur in den Himmel hoch und eröffnet unterschiedliche Perspektiven aus nah und fern. Schon lange vor Baubeginn fiel das Projekt in der von Zaha Hadid und Patrik Schumacher kuratierten Grazer Ausstellung „Latente Utopien“ (2003) auf.
„Man kann auf diesem Turm die unterschiedlichsten Wolken erklimmen“, meint Ernst J. Fuchs. „Die Regenwolken, die Sonnenwolken, die Klangwolken. Ein Wolkenturm kann alles Mögliche enthalten. Wir wollten von Anfang an dem Besucher seine eigenen Interpretationen lassen. In jedem Fall ist der Wolkenturm ein einzigartiges Gebilde, eine Bühne an der frischen Luft.“
Nicht nur das Auge wird verwöhnt, auch das Ohr. Die Akustik auf der Bühne und im gesamten Zuschauerraum ist perfekt. Selbst aus 50 Metern Entfernung hört man ein Klackern mit dem Stiletto-Absatz, als stünde die Violinistin direkt in den Rängen. Epidauros wäre neidisch. Zu verdanken ist dies dem bayerischen Akustik-Unternehmen Müller-BBM, das für tnE die gesamte Berechnung mitsamt Simulationen erstellte. An lauen Sommerabenden sitzen auf den Stufen der Betonarena bis zu 1.650 Zuschauer und lauschen den Klängen der Musik. Die öffentlich zugänglichen Konzerte unterm Sternenhimmel sind meist ausverkauft.
Fasziniert hört man, wie sich selbst ältere Damen und Herren in der Pause angeregt über das futuristische Open-Air-Bauwerk unterhalten. Worte der Begeisterung fallen. Nur über „Fernräume“ spricht hier niemand.
„Die Gegensätzlichkeit von Alt und Neu hat in diesem Park bereits Tradition“, erklärt Fuchs. „Der Schlosspark ist etwa 250 Jahre alt und ist heute ein Sammelsurium unterschiedlicher Epochen. Es ist historisch belegt, dass sich der Schlosspark im Abstand von 80 Jahren immer wieder verändert hat. In diesem Sinne ist der Wolkenturm die zeitgenössische Weiterführung eines kontinuierlichen Bauprozesses.“ Das Projekt wurde 2007 mit dem Österreichischen Bauherrenpreis ausgezeichnet.
Der „Wolkenturm“ ist Ergebnis einer Entwicklung, die im Jahr 2000 mit dem „Blindgänger“ begonnen hatte, einem Kunstprojekt in Hof am Leithagebirge, Burgenland. Es ist eine Art betretbare Mauer. Handelsübliche Brunnenringe aus Stahlbeton-Fertigteilen wurden dabei so aufgestellt, dass man aus dem begehbaren Innenraum zwischen den einzelnen Segmenten zwar auf das dahinter gelegene Firmenareal blicken, nicht aber zwischen den Ringen hindurchschlüpfen kann. Der aufgebaute Raum ist spannend – und fast ein wenig nervtötend ob des schelmisch konstruierten Verbots.
2001 folgte ein unterirdisches Hallenbad für einen privaten Bauherrn in Wien (in Kooperation mit Florian Haydn). Die aus dem Erdboden lugenden dekonstruktivistischen Glasaufbauten fangen Bilder des üppig begrünten Gartens ein. Man wähnt sich zwischen den Baumkronen – und sieht zugleich die Baumstämme von unten. Ein räumliches Erlebnis zwischen grüner Natur und blauem Nass.
2003 bauten Fuchs und Harnoncourt einen „Trinkbrunnen“ für das Höfe-Fest in St. Pölten. Die Auftraggeber bekamen nicht gerade das, was sie erwartet hatten: tnE produzierte eine lange schwarze Gummiwurst, in die zur Kühlung bis zu 2.000 Liter Wasser gefüllt werden mussten – eine Art Planschbecken für Bierdosen. Das amorphe Ding aus Kautschuk tourte inzwischen durch Dorf und Stadt. „Der Trinkbrunnen ist ein Objekt, das nicht nur als Bartresen, sondern auch als Kühlschrank, Sitzbank und Tauchbecken genutzt werden kann“, sagt Fuchs. Praktisch. Und erinnert sich: „Gegen Ende des Höfe-Festes motivierte der Durst zu sportlichen Aktivitäten. Die letzten Getränkedosen mussten tauchend aus dem Bauch geholt werden. Die Leute hatten Spaß.“
Vor sechs Jahren folgte schließlich der Durchbruch zu den großen öffentlichen Bauten. Das Seebad Kaltern in Südtirol ist nicht nur eine völlige Neuinterpretation der Typologie Freibad, sondern auch eine ingenieursmäßige Spitzenleistung. Das gesamte Freibecken steht in der Luft. Die skulptural geformten Betonstützen und die beiden kreisrunden Panzerglasscheiben im Beckenboden verwandeln den Raum darunter zu einem sakral anmutenden Gebilde zwischen Architektur und Mutter Natur. Lichtspiegelungen zeichnen sich auf der einst eingeschalten Oberfläche ab. Die Wände dieses zauberhaften Raumes bestehen aus kinderreichen Panoramabildern; an der Decke sieht man die ambitionierten Tauchversuche von bleichen Menschensilhouetten mit Schwimmbrille und winkender Hand.
Selbstverständlich kann man ein Freibad auch mit weniger Aufwand planen. Natürlich muss man zur Erstellung des Statikkonzepts nicht ein renommiertes Ingenieurbüro wie Bollinger und Grohmann heranziehen. Und klar ist es beim Schwimmen egal, ob die Beine nun im Kellergeschoss oder im ersten Stock, fünf Meter über dem Erdboden, zappeln. Wie geht es weiter? Wie lautet the next enterprise? Ernst J. Fuchs berichtet: „Beim letztjährigen Wettbewerb um das Archäologische Zentrum in Mainz haben wir zwar den ersten Platz belegt, aber leider kommt unser Projekt nicht zur Ausführung.“ Zigarette, starker Zug im Grünen. „Aber dafür haben wir jetzt an einem schönen Wettbewerb für die Justizanstalt in Eisenstadt teilgenommen. Wie gestaltet man einen Freiraum, wenn die Menschen pro Tag nur eine Stunde Ausgang an der frischen Luft haben? Eine sehr schwierige und herausfordernde, aber wahnsinnig spannende Aufgabe.“ Atmet den Zigarettenrauch aus und verschwindet im Haus, hinter der klimatischen Schicht.
Wojciech Czaja ist freier Architekturjournalist in Wien.