Text: Nils Hille
Als dieser Hamburger Architekt sich 1957 selbstständig machte, hatte er noch eine ganz andere Vorstellung, wohin die berufliche Reise gehen sollte. Die Gestaltung von Möbeln, vor allem die von Stühlen, hatte es Wilfried Köhnemann angetan. Nach dem Studium konnte er für die Zeitschrift „Schöner Wohnen“ Einrichtungen zeichnen. Dann bekam er in der ARD zwei eigene TV-Formate, wie er erzählt: „In der ersten deutschen Do-it-yourself-Sendung und in der Beratungssendung ‚Unser Heim‘ hab ich den Zuschauern Tipps zum Selberbauen gegeben.“ Die Resonanz war riesig. Zu jeder der zehn Ausstrahlungen pro Jahr bekam Köhnemann unzählige Zuschriften. So hielt sich „Unser Heim“ zehn Jahre, bis 1969, auf dem Bildschirm. Nebenher entwarf Köhnemann, ganz wie erträumt, Möbel. Und er konnte unter anderem Mitte der 1970er-Jahre große Räume, wie einen Konferenzsaal für den Beiersdorf-Konzern in Hamburg, gestalten und ausstatten.
Das war schon viel mehr als erhofft – aber dann suchte Hapag-Lloyd einen freiberuflichen Architekten, der sich mit anderen Planern um die Innengestaltung ihrer Schiffsräume kümmern sollte. „Ich war erst einmal der Neuling im Team und keiner nahm mich so richtig für voll. Erst als sie meine Entwürfe für das Restaurant und das Theater sahen, wurden meine Fähigkeiten anerkannt“, erinnert sich Köhnemann. Er hatte sich die Bereiche aussuchen dürfen, für die er die Gestaltung übernahm. „Da habe ich natürlich die Räume genommen, in denen es die meisten Stühle geben sollte – und in denen ich eigens entworfene Sitzmöbel platzieren konnte.“ Doch zugleich bekam er das Treppenhaus, das über elf Decks führte. Von den rund laufenden Handläufen war er gestalterisch gar nicht begeistert. Dass diese aber zur Sicherheit an Bord „mehr als nötig sind“, erlebte er bei der Jungfernfahrt des Schiffes, das in einen heftigen Sturm vor Casablanca kam. „Da schossen im Restaurant die Teller aus den Wärmeboxen und die Fernseher durch den Raum.“ Köhnemann nahm es mit Humor: „Anschließend wussten wir genau, was wir richtig geplant hatten und an welchen Stellen wir dringend nachbessern mussten.“
Die Belastbarkeit auf hoher See ist eine der entscheidenden Komponenten für die Innenraumgestaltung von Kreuzfahrtschiffen. „Nichts darf entflammbar sein, leicht zu Bruch gehen können oder schnell Abnutzungserscheinungen bei der dauerhaften Belastung aufweisen“, erklärt Köhnemann. Über die Jahre konnte er spezielles Wissen für jede typische Raumsituation auf einem Kreuzfahrtschiff sammeln – und wurde damit zu einem der wichtigsten Ratgeber und Dienstleister für die Reederei, die jedes ihrer schwimmenden Hotels alle zwei Jahre generalüberholt. „Dabei wird auch immer etwas gestalterisch verändert, selbst wenn das noch gar nicht erforderlich ist. Der wohlsituierte Gast erwartet, dass er immer wieder etwas Neues entdecken kann.“
Durch zähe Überzeugungsarbeit gelang dem Architekten meistens die detailgetreue Umsetzung seiner Ideen – trotz hohen Kostendrucks. Etwa beim vier Meter breiten Teppich, den damals nur eine englische Firma produzieren konnte und der anstelle der 90 Zentimeter breiten Standardware aus Neuseeland kam. Auch die Fliesen für die Säulen im Schwimmbad sollten ihre ganz spezielle Form haben, durften aber nicht schwerer sein als gewöhnliche, da sich das Gesamtgewicht des Schiffs nicht ändern darf – jedes Kilogramm kostet Sprit. Bei aller Liebe zum gestalterischen Detail sieht sich der Hamburger immer als einer von mehreren Dienstleistern: „Es geht bei erfolgreichen Kreuzfahrtschiffen ganz klar auch um die Architektur. Aber der perfekte Service und sehr gutes Essen sind ebenso wichtige Erfolgsfaktoren. Hier muss einfach das Zusammenspiel funktionieren, damit die Gäste zu Stammgästen werden.“
35 Jahre lang hat Köhnemann für die Innenarchitektur von Schiffen der Hapag-Lloyd-Flotte gesorgt – immer als freier Planer mit eigenem Büro, denn anstellen lassen wollte er sich nie. Zu seinen Blütezeiten hatte er 30 Mitarbeiter; heute agiert der mittlerweile 81-Jährige allein. Die Verantwortung für andere sei ihm im hohen Alter zu groß, sagt er. Für die neuesten großen Bau- und Umbauaufträge hat er der Reederei andere Büros empfohlen. Doch als Einzelkämpfer, frei beschäftigt versteht sich, bleibt er weiter an Bord und genießt jeden Auftrag, mal als Berater für die Schifffahrts-Unternehmen, mal auch in ganz anderer Funktion bei einem Anbau an ein Hotel. „Ich bekomme immer wieder Aufträge. Was wäre auch die Alternative? Im Garten sitzen? Nein, das allein kann ich nicht. Da würde ich dann auch wieder etwas planen und anbauen.“
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