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Inklusiv bauen

Mit den Regionalkonferenzen zum Thema steht das inklusive Gestalten derzeit im Fokus der Architektenkammern. Zwei ganz unterschiedliche Beispiele zeigen, wie das Bauen für alle gelingen kann

30.03.20196 Min. Kommentar schreiben

Von Christoph Gunßer

Der Name „Nachbarschaftshaus“ ist Programm. Das zentral im Scharnhauser Park in Ostfildern nahe Stuttgart errichtete Gebäude war von Anfang an auf Vernetzung programmiert: Menschen mit Demenz leben hier nicht isoliert irgendwo weit draußen, sondern mittendrin in einem komplexen Mix aus Bürgertreff, Behinderten-WG, Tagespflege, Beratungsstelle, einem für alle offenen Atelier und dem Pflegestützpunkt fürs Quartier. Vorn liegt die zentrale „Landschaftstreppe“ des Stadtteils, hinten ein ruhiger Gartenhof, darüber noch ein geschützter Dachgarten.

Integration verschiedener Gruppen

Weil die Demenz es den Betroffenen unmöglich macht, einfach mal auszugehen und Leute zu treffen, haben Volpp Amann Heeg Architekten von der Gesellschaft für soziales Planen in Stuttgart den ein- bis fünfstöckigen Block so gegliedert, dass Nachbarn und Bewohner sich schrittweise begegnen können, zum Beispiel in dem Atelier im Erdgeschoss: Es ist von außen und von innen zugänglich. Und den wichtigen Blickkontakt gibt es an vielen Stellen.

Der Grundriss des Hauses entspricht dem neuesten Stand der therapeutischen Forschung: Die 74 Pflege-plätze sind auf sechs überschaubare Wohngruppen verteilt; ein Rundweg, der dem Sich-Verlaufen vorbeugt und dem Bedürfnis Demenzkranker nach Bewegung und Dabeisein entspricht, führt in Form einer offenen Wandelhalle um den zentral angeordneten „Sinnesgarten“.

Jede der Wohngemeinschaften ist räumlich autark, verfügt also über eine eigene Haustür, eine geräumige Wohnküche und einen Therapieraum; im ersten Stock kann sogar auf dem Dach gegärtnert werden, was Demenzkranke nachweislich beruhigt. Die Zimmer und die Flure sind individuell möbliert, um das Wiedererkennen zu fördern. Für die Böden wählte man einen Belag in wohnlicher Holzoptik. Kräftige Farben und ein Leitsystem machen das Umfeld zusätzlich unverwechselbar. Weitere Irrwege verhindert eine selektive Türsteuerung.

Raffinierter Umgang mit Licht

Eine ausgeklügelte Lichtsteuerung dient dazu, die Tageszeiten auch im Inneren erlebbar zu machen und den Tag-Nacht-Rhythmus zu unterstützen, der bei Demenzkranken häufig gestört ist. So verändern die Deckenstrahler im Laufe des Tages ihre Farbtemperatur. Wandelhalle und Tagesräume sind großzügig verglast, und um Tageslicht auch in die tieferen Wohnräume zu lenken, wurden fest stehende Segel-Elemente vor die Fenster montiert, die den Lichteinfall je nach Sonnenstand unter-schiedlich reflektieren – nebenbei ein markantes Gestaltungsmotiv in der ansonsten unauffälligen Lochfassade.

Das bereits 2012 eröffnete, von einer Stiftung als Modellprojekt mit Förderung von Stadt und Land geplante Haus ist inzwischen ein wichtiger Anlaufpunkt im neuen Stadtteil. Sein subtiles räumlich-soziales Konzept der Integration hat sich bewährt.

Wohnpark 1 Landau: Für das Baugruppenkonzept haben sich neun Bauherren zusammengeschlossen, um innerhalb des Wohnparks am Ebenberg ihren Wunsch vom „Wohnen am Park“ in Geschosswohnungen zu verwirklichen.

Baugruppenprojekt 50+

Eine gute Nachbarschaft stand auch bei der Planung eines Baugruppenhauses in Landau in der Pfalz im Vordergrund: Die Architekten Peter Fern und Esther Karcher aus Karlsruhe bewarben sich mit neun Bauherren um ein Grundstück im Wohnpark am Ebenberg, einem ehemaligen Kasernengebiet, das im Rahmen der Landesgartenschau 2015 umgestaltet wurde.

Das Wohnen am beziehungsweise im Park wurde denn auch zum Leitmotiv für das Projekt. Die vom Bebauungsplan vorgesehenen zwei kubischen vierstöckigen Baukörper verbanden die Architekten über einen gemeinsamen Turm für die Erschließung.

Zwischenraum ist jedoch viel mehr: Ohne Zaun und Mauer erweitert er die Parkfläche bis vor die Wohnungstür. Jede der zehn Wohnungen hat so Zugang zum Gartenhof und zu einem „Energiegarten“, wo sich die Nachbarschaft trifft. Daneben gibt es noch einen gemeinsamen Raum im Untergeschoss. Die Mitglieder der als GbR organisierten Bau-gruppe suchten und wollten Gemeinsamkeit und Begegnung, aber ebenso ihren privaten Bereich. Das schloss auch Veränderbarkeit ein, indem sich die Wohnungen perspektivisch umbauen lassen.

Viele, die sich hier engagierten, wollten stadtnah in einem Einfamilienhaus leben, dessen Bau aber gemeinsam mit anderen stemmen. Und noch ein weiterer Grund sprach für die Baugruppe: Im Rentenalter wollten sie auf diese Weise nicht allein die Verantwortung für ein ganzes Haus tragen. „Bauen in der Gemeinschaft ist eine echte Alternative zu den üblichen Bauträgerangeboten. Es ist persönlicher und individueller“, meint eine zufriedene Bewohnerin.

Die barrierefreie Erschließung erfolgt von außen.

Vorsorgen mit Flexibilität

Die Bewohnerschaft, aktiv, doch allesamt jenseits der fünfzig, sorgte mit barrierefreier Planung fürs Alter vor. Eine Wohnung ist sogar behindertengerecht. Die Skelettbauweise (mit Fassaden in Holzrahmenbauweise) macht viele Wände im Inneren veränderbar, sodass auch hier jede Etage einmal ganz anders aussehen könnte. Auch eine Teilung ist denkbar.

Achtzig Treffen waren nötig, damit die Architekten alles passend planen konnten. „Identifikation ist ein Prozess“, sagt Peter Fern. Ein Aufwand, der sich gelohnt hat: Die Hausgemeinschaft ist intakt und lebendig. Das kleine Landau hat inzwischen eine rege Szene gemeinschaftlicher Wohnprojekte, auch dank tatkräftiger Unterstützung seitens der Kommune. Immer mehr Städte erkennen den Nutzen solcher Selbstbauprojekte, denn Baugruppenmitglieder sind häufig überdurchschnittlich engagiert, und das Umfeld profitiert davon. Als es darum ging, das lange brachliegende Kasernengelände in ein neues Wohngebiet zu verwandeln, reservierte man darum einige der Baufelder für Baugemeinschaften – mit Erfolg. Es wächst eine lebendige Nachbarschaft auch auf Quartiersebene.

Damit diese Nachbarschaften auch auf künftige Bedürfnisse der Bewohner eingerichtet sind und etwa beim Auftreten einer Behinderung kein Umzug notwendig wird, ist es sinnvoll (und überdies im öffentlichen Raum vorgeschrieben), von vornherein auf eine barrierefreie, inklusive Gestaltung auch des Wohnumfeldes zu achten. Es bleibt zu hoffen, dass die Integration vormaliger „Randgruppen“ auch andernorts für Bauherren, Behörden und Architekten immer mehr zur Selbstverständlichkeit wird.

Freiräume zum Nutzen aller

Generell bieten Elemente, die für Barrierefreiheit und Inklusion sorgen, gerade auch im öffentlichen Raum reizvolle Gestaltungsmöglichkeiten. Rampen können beispielsweise architektonische Akzente setzen: Wo es die Situation erlaubt, lassen sich anstelle von Treppen abwechslungsreiche Wegeführungen im Sinne einer „promenade architecturale“ anlegen. Selbst Stege, geschickt durch einen Platz oder Park gelegt, können als selbstbewusste Setzungen von Eigenwert wahrgenommen werden, die diese Bereiche zugleich allen erschließen. Wichtig ist hierbei, dass die Ränder und Übergänge gut erkennbar sind. Weitere praktische Hinweise für barrierefreie Ausführungsdetails in öffentlichen Räumen und denkmalgeschützten Ensembles finden Sie hier.

 

Barrierefreiheit regional am 28. Mai in Bad Homburg

Die Regionalkonferenzen „Inklusiv gestalten – Ideen und gute Beispiele aus Architektur und Stadtplanung“ sollen die Kompetenzen von Architekten und Stadtplanern beim Thema „Inklusive Gesellschaft“ stärker verdeutlichen. Die Veranstaltungsreihe wird vom Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, Jürgen Dusel, gemeinsam mit der Bundesarchitektenkammer und den Architektenkammern der Bundesländer organisiert. Die nächste Regionalkonferenz in Zusammenarbeit mit der Architekten- und Stadtplanerkammer Hessen findet am 28. Mai in Bad Homburg statt. Auch hier wird über den Mehrwert, aber auch die Hindernisse einer umfassenden barrierefreien und inklusiven Gestaltung für die gesamte Gesellschaft diskutiert und beispielhafte Gebäude- und Quartiersprojekte vorgestellt. Anmeldung hier

 

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