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Innenleben

Innenarchitekten werden oft auf die Oberfläche reduziert. Doch den Beruf macht viel mehr aus. Auf den Spuren einer Berufsgruppe im Verborgenen.

Von: Rosa Grewe
Rosa Grewe begeistert sich besonders für Ideen, die in dichten...

01.10.20189 Min. 1 Kommentar schreiben

Wenn die Innenarchitektinnen Wiebke Brendel und Katrin Lübs zur Baustelle kommen, dann gibt es schon mal fachliche Testfragen von Hochbaukollegen. Manche zweifeln an der Fachkompetenz der beiden Planerinnen. Wiebke Brendel sagt: „Einen Statiker oder Fachplaner scheinen viele leichter zu akzeptieren.“ Den Planerkollegen erklären sie, dass Innenarchitektur nicht nebenbei geht, und Laien verweisen sie in Sachen Wohntextilien und Wandfarbe geduldig an Raumausstatter. Immer wieder. „Das ist kein böser Wille, sie wissen einfach wenig über unseren Beruf.“ Die Innenarchitektur hat ein Imageproblem.

Erfrischend: Aus einem alten Verwaltungsbau wurde in Kiel ein freundliches Open-Space-Büro …

Arbeitsorte im Wandel

Die Unternehmen aber wertschätzen Innenarchitektur längst. Sie werden digitaler, mobiler und konkurrieren um Fachkräfte. Für dazu passende Arbeitsorte brauchen sie Innenarchitekten. Brendel erklärt: „Wir schauen sehr genau auf den Nutzer, bevor wir in die Planung einsteigen.“ So wie beim Büroumbau für das Unternehmen Dataport in Kiel (Fotos: links und Seite 14–17). Die Innenarchitektinnen sprachen mit den Mitarbeitern über Aufgaben und Arbeitsabläufe und mit den Chefs über Funktionen, Hierarchien und Corporate Design. Alles, bevor sie mit ersten Skizzen begannen. Der Nutzer war Ursprung und Zentrum der Planung, erst dann kamen äußere Faktoren. Daraus entwickelten Lübs und Brendel Funktionsbereiche, Grundrisse und ein Gestaltungsthema samt Moodboards und Materialcollagen.

… mit maritimen Themen.

So arbeiten die meisten Innenarchitekten, aber ihre Entwürfe sind dabei so unterschiedlich in Haltung und Stil wie bei den Hochbaukollegen. Lübs und Brendel entkernten den alten Verwaltungsbau und schufen ein großzügiges, helles Open-Space-Office mit assoziativen Elementen. Ideengebend waren die Nähe zur Ostsee und die Selbstdarstellung von Dataport. Mehr als die Hochbauarchitekten entwickeln Innenarchitekten individuelle Erfahrungs- und Sinnesräume. Ihr Ruf in der Privatwirtschaft ist sehr gut und das wichtigste Akquisetool, nicht nur bei Lübs und Brendel. Der Wettbewerb für Dataport, ein öffentliches Unternehmen, war ein seltener Glücksfall, denn Innenarchitekten werden kaum zu öffentlichen Wettbewerben eingeladen, wie Brendel sagt: „Bei Schulen oder Kindergärten gibt es viele Wettbewerbe, aber die Gestaltung des wichtigen Innenraumes wird bei der Ausschreibung kaum beachtet. Öffentliche Bauherren sollten stärker differenzieren, wo der Innenarchitekt, der Hochbauarchitekt oder ein Team aus beiden richtig wäre.“

Barrierefrei: Die Modellwohnung in Berlin schafft anspruchsvoll gestaltete Räume für alle Nutzergruppen.

Gestalten für die Gesellschaft

Dass Innenarchitektur zukünftige Wohnfragen beantworten und eine öffentliche Bauaufgabe sein sollte, zeigt ein anderes Projekt. Das Innenarchitekturbüro Raumdeuter baute eine barrierefreie Modellwohnung für das genossenschaftliche Wohnprojekt Selbstbau e. G. in Berlin. In einem ehemals verwinkelten Altbauerdgeschoss entstanden helle und großzügige Räume mit Platz für Nachbarschafts- und Familientreffen, für Ausstellungen sowie für eine Gästewohnung. Die Innenarchitekten setzten eine zentrale Küchen-Sanitär-Funktionseinheit in die Grundrissmitte. Die Bewegungsflächen daneben belegten sie mit Aufenthaltsqualitäten und doppeltem Nutzen. Inga Ganzer von Raumdeuter sagt: „Wir Innenarchitekten denken schon in der Grundrissplanung detaillierter bis hin zur Nutzbarkeit der Möbel.“

Das Projekt sollte nicht nur für Nutzer mit sensorischen oder motorischen Beeinträchtigungen barrierefrei sein, sondern auch für alle anderen. „Es brauchte ein Design für alle, das gut aussehen sollte“, sagt Ganzer. So beachteten die Raumdeuter die Kontraststärke der Farben, mögliche Lichtblendungen, die Akustik, die Wenderadien für Rollstühle, die Oberflächenhaptik, die Erreichbarkeit und Nutzbarkeit der Möbel sowie die subtile und ästhetische Integration von Hilfsmitteln, wie die als Handlauf dienenden Möbelgriffe oder die in der Dusche eingebaute Fliesenbank. Ganzer meint: „Bei den in Zukunft gefragten Lern-, Arbeits- und Lebensräumen muss viel bis ins Detail bedacht werden. Hochbauarchitekten können diese Komplexität im Innenraum nicht zusätzlich bewältigen, denn schon der Hochbau ist technisch und gestalterisch sehr umfangreich und hat oft nur fiktive Nutzer. Wir planen für den konkreten Nutzer und können die Innenräume für seine Bedürfnisse zuschneiden.“

Grundriss der Berliner Modellwohnung

Sie wünscht sich, dass Innenarchitekten nicht nur auf die Oberfläche reduziert werden, sondern früh Einfluss auf Architektur und Grundrisse nehmen können. Das bestätigt Wiebke Brendel: „Wir werden meist zu spät dazugeholt. Dabei decken Innenarchitekten die gesamten Leistungen des Bauens im Bestand ab.“ Viele wissen nicht, dass das Innenarchitekturstudium auch Tragwerkslehre, Baukonstruktion, Bauphysik und Brandschutz vermittelt, dass eine Eignungsprüfung und viele Monate Praktika erforderlich sind. Wiebke Brendel benennt ein weiteres Problem: „Die Hochschulen gehen fachlich stark auseinander. Einige Einrichtungen bieten das Fach Innenarchitektur ohne Kammerfähigkeit an. Diese unterschiedlich ausgebildeten Absolventen kommen alle auf den gleichen Markt und nennen sich teils missbräuchlich Innenarchitekt.“

Beständig: Die Erweiterung der Christuskirche in Arnsberg durch ein Gemeindehaus entwickelte sich aus dem Raumkonzept des denkmalgeschützten Bestands, der zudem saniert wurde. Sie verdeutlicht die Bandbreite innenarchitektonischen Schaffens.

Rein in den Wettbewerb

Genau deshalb engagiert sich die Innen- und Hochbauarchitektin Sabine Keggenhoff in der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen für mehr Wettbewerbe für Innenarchitekten. Für sie sind die Wettbewerbe die beste Möglichkeit, das eigene Aufgabenfeld gezielt auszuwählen, Reputationen aufzubauen, Fachkompetenz zu beweisen und bei Erfolg in die Selbstständigkeit zu starten. Sie sagt: „Es ist diskriminierend, dass qualifizierte Innenarchitekten am Wettbewerbswesen nicht teilhaben dürfen. Da sind das Bauministerium und die Architektenkammern gefordert, die kleinen Stellschrauben zu drehen.“ Denn fachlich, da schließt sie sich Brendel und Ganzer an, sind die in der Kammer gelisteten Innenarchitekten für viele, auch größere Bauaufgaben gut ausgebildet: „Umbau im Bestand ist eine Kernkompetenz der Innenarchitekten. Wir sind da hervorragende Spezialisten.“

Keggenhoff sucht sich ihre Aufgaben bewusst an der „Naht zwischen Architektur und Innenarchitektur“. Sie sagt: „Wir denken architektonisch und verknüpfen damit die Innenarchitektur.“ So wie bei der Christuskirche in Arnsberg-Neheim, einer Sanierung des Kirchenaltbaus samt anschließendem Gemeindehaus-Neubau. Die Bauaufgabe war sowohl unter städtebaulichen als auch unter funktionalen Aspekten beim Neubau und bei historischen Aspekten beim Kirchendenkmal sehr anspruchsvoll. Zusammen mit dem Architekten Fabian Dieterle entwickelte sie den Wettbewerbsentwurf, der wegen seiner innenräumlichen Logistik und Veränderbarkeit und seiner aus dem Raumkonzept generierten Verbindung zum Bestand überzeugte. Nach dem Wettbewerb übernahm Keggenhoff das Projekt ganz, weil ihre Bürogröße zum Projekt gut passte. Die Zusammenarbeit mit Hochbauarchitekten empfindet Keggenhoff als sehr bereichernd, „wenn die Planungen, wie bei der Christuskirche, gleichberechtigt ineinandergreifen. Eine stärkere Verzahnung der Disziplinen würde die Bauqualität sehr steigern. Wir brauchen ein respektvolles Miteinander!“

Wettbewerbe sind für sie ein Weg zu mehr Transparenz und Wertschätzung. Aber sie sagt auch: „Die Innenarchitekten müssen auch selbst am Mehrwert arbeiten und sich stärker profilieren.“ Das schließt die Ausbildung mit ein. Sabine Keggenhoff ist Professorin an der PBSA in Düsseldorf. Sie schlägt vor, den Masterabsolventen den Erhalt der uneingeschränkten Bauvorlageberechtigung zu ermöglichen. Als Voraussetzung dafür nennt sie ein fünfjähriges Innenarchitekturstudium, vier Jahre Berufserfahrung in Hochbau und Innenarchitektur plus eine weitere Fachprüfung. Das würde den Handlungsspielraum und die Wertschätzung des Berufs erweitern.

Interdisziplinär: Beim Umbau der Bankfilialen in Augsburg saßen Bauherr, Hochbau- und Innenarchitekten, Fachplaner und Grafiker von Anfang an an einem Tisch.

Gegen Grenzen im Kopf

Auch die Innenarchitektin Margarete Kolb setzt auf mehr Interdisziplinarität. Wie gut das geht, zeigt sie mit dem Umbau der Sparkassenfilialen in Augsburg. Sie entwarf ein Innenraumkonzept als Ausdruck eines veränderten Verständnisses von Bankgeschäften hin zu mehr Transparenz, Digitalisierung und Individualisierung. Der Entwurf sollte flexibel auf weitere Filialen und Gebäude übertragbar sein. Kolb sagt: „Das Ziel war, die digitale Zukunft mit einem Wohlfühl-Ambiente für die Kunden zu vereinen.“ Vier Sparkassen wurden schon umgebaut, die Filiale in der Maximilianstraße aber war besonders: Zu den umfangreichen Funktions-, Sicherheits- und Corporate-Design-Vorgaben kamen bauliche Zwänge: ein enges, tiefes Baufeld mit wenig Licht, die prominente Altstadtlage mit hohen Auflagen an den Denkmal- und Brandschutz und höhere Baustandards für den Private-Banking- Sektor. Kolb entwickelte einen fließenden Grundriss mit subtilen Übergängen aus Licht und Material, von öffentlich zu privat, von Selbstbedienung zu individueller Beratung, von laut nach leise. Dass der Umbau mit so verschiedenen Ansprüchen gelang, war für Kolb vor allem eine Frage der Kommunikation. Alle Beteiligten – Bauherr, Hochbau- und Innenarchitekten, Fachplaner, sogar die Grafiker – saßen von Anfang an mit am Tisch. Sie sagt: „Fast jeder Fehler beim Bauen wird gemacht, weil er nicht beizeiten kommuniziert und kontrolliert wird. Die interdisziplinäre Herangehensweise verhindert Fehler.“

Sowohl Kolbs Gestaltung als auch ihre Arbeitsweise verbinden Architektur und Innenarchitektur. In ihrem Büro arbeiten Hochbauarchitekten, Landschaftsplaner und Innenarchitekten zusammen. Sie sagt: „Die Gemeinsamkeiten der Planer überwiegen doch: ein Leistungsbild, eine Berufsordnung, eine Kammer, eine HOAI.“ Genau hier sieht Juliane Moldrzyk, ebenfalls von Raumdeuter, einen gravierenden Unterschied. Sie sagt: „Die HOAI bildet die innenarchitektonischen Feinheiten nicht ab. Sie ist für Hochbauarchitekten geschrieben. Wir müssen schauen, wie wir unsere Leistungen und Arbeitsweisen da hineinbasteln.“ Beide Frauen, Kolb und Moldrzyk, engagieren sich im Bund Deutscher Innenarchitekten (BDIA), und beide sehen Schwierigkeiten bei der eigenen Lobbyarbeit. Moldrzyk sagt: „Der BDIA ist ja erst seit ein paar Jahren wieder so richtig aktiv in der Öffentlichkeitsarbeit. Aber Innenarchitekten mit kleinen Büros und mit Familie können die berufspolitische Arbeit ehrenamtlich kaum leisten.“ Selbst wenn sie es tun – ihre Stimme bleibt oft leise, wie Sabine Keggenhoff ergänzt: „Wir sind ja insgesamt nur wenige Innenarchitekten.“ Aber sie ist, wie übrigens alle befragten Innenarchitektinnen, optimistisch, was die Zukunft betrifft: „Raum wird immer intensiver mit den gesellschaftlichen Prozessen verknüpft. Wenn ein Beruf zukunftsfähig ist, dann die Innenarchitektur. Da werden wir doch die berufspolitischen Hürden überwinden können.“

Grundriss einer der Bankfilialen

FAKTEN

In den Länderkammern gelistete Innenarchitekten, 2018: 6.048

Anteil der Innenarchitekten an allen Kammermitgliedern (also Archi­tekten, Innenarchitekten, Landschafts- und Stadtplaner): 4 %
Frauenanteil bei den Innenarchitekten: 62,2 %
Anteil der Freischaffenden unter den Innenarchitekten: 42 %

Gehaltsvergleich angestellter Innen- und Hochbau­architekten nach BAK-Studie für das Jahr 2014:

Hochbauarchitekten verdienen in Planungsbüros etwa 10 % mehr und in der freien Wirtschaft etwa 20 % mehr als Innenarchitekten (angestellt, mit gleicher Qualifikation und Vollzeit­tätigkeit).
Innenarchitekten verdienen rund 40 % mehr als Innen­architektinnen (angestellt, mit gleicher Qualifikation und Vollzeittätigkeit).

Worum geht es bei den Forderungen zur Bauvorlageberechtigung?

Nach der Musterbauordnung ist gemäß § 65 Abs. 2 Nr. 3 eingeschränkt bauvorlageberechtigt, wer die Berufsbezeichnung „Innenarchitekt“ beziehungweise „Innenarchitektin“ führen darf. Das bezieht sich in den Länderbauordnungen auf „die Planung von Innen­räumen und die damit verbundenen (baulichen) Änderungen von Gebäuden.“

Der BDIA stellt infrage, ob erstens eine Einschränkung der Bauvorlage fachlich berechtigt ist, und fordert zweitens die bundesweit einheitliche Konkretisierung der Bauaufgaben, die eine eingeschränkte Bauvorlage umfasst.

 

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1 Gedanke zu „Innenleben

  1. Sehr geehrte Redaktion,

    mit großem Erstaunen lese ich von „Kissen knicken und Vorgänge aussuchen“ und einer Redakteurin, die von „einer Berufsgruppe im Verborgenen“ schreibt.
    Ich, Diplom ´82 und Glosse „Meine Frau kann das auch.“ im AB, ca. 1986, schließe daraus, dass sich bis heute, also 36 bzw. 32 Jahre später, die Binnen- und Außenwahrnehmung von Innenarchitekt*innen nicht geändert hat.

    Wie kann das sein?
    Ich meine, dass man mit der Veröffentlichung solcher Artikel im eigenen Binnenraum direkt am Verborgensein dieser Berufsgruppe mitwirkt. Wer die Wahrnehmung von Innenarchitekt*innen und ihren Kompetenzen nachhaltig ändern möchte, darf hingegen nicht „drinnen“ bleiben, muß nach „draußen“ in die Öffentlichkeit, in Tages- und Wochenzeitungen, in Journale und Beilagen. Der Prophet gilt bekanntlich nichts im eigenen Dorf.

    Das das nicht getan wird, der Artikel erscheint, wo er erscheint, lässt mich fragen, was die Gründe für diese Art Selbstbegrenzung sind? Welche Annahmen stecken dahinter? Welche Glaubenssätze? Welche Konflikte werden so vermieden? Welche Hoffnungen werden da seit Jahrzehnten beatmet, dürfen noch immer nicht sterben?

    Die Reflexion der im eigenen Inneren wirksamen Kräfte unterstützt die Weitung des Raumes und die Wirksamkeit draußen, so meine Erfahrung.

    Ich wünsche viel Erfolg beim Erreichen der angestrebten Anerkennung.

    Mit freundlichen Grüßen,
    Luitgard Gasser

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