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Junge Entwerfer für alte Steine

Wenn 40-jährige Architekten sich mit 400 Jahre alten Häusern beschäftigen, gewinnen beide

28.10.20107 Min. Kommentar schreiben

Von Fred Wagner

„Das Spannendste an meiner Arbeit ist, dass ich Werte schaffe“, sagt Michael Leonhardt. „An meine Pläne, Dokumentationen und Berichte wird man sich vermutlich auch noch in 100 oder 200 Jahren erinnern.“ Etwas zu viel Optimismus für einen jungen Architekten? Eher nicht. „Ich habe schon während des Studiums gewusst, dass ich in diesem Bereich tätig sein will“, erklärt der Inhaber des Büros Leonhardt, Architektur und Denkmalpflege in Trier. Nach einer Schreinerausbildung und dem Studium hat er sich neben dem Entwurf auch zu handwerklichen Dingen und zur Bauleitung hingezogen gefühlt.

Heute kommen rund 90 Prozent seiner Aufträge aus der Denkmalpflege. Leonhardt: „Mich reizt der Kompromiss zwischen Neu und Alt.“ Außerdem sei die Arbeit kaum mit der eines herkömmlichen Architekten zu vergleichen und gleiche eher einer wissenschaftlichen Tätigkeit. Beispiel: das Dreikönigenhaus von 1230, eines der fünf wichtigsten Denkmale in Trier. Es wurde von Leonhardt monatelang akribisch untersucht und dokumentiert – in enger Zusammenarbeit mit Archäologen, Kunsthistorikern und Restauratoren. Oder das St.-Nikolaus-Hospital in Bernkastel-Kues. Leonhardt: „Seit über sechs Jahren plant und betreut mein Büro die Reparatur- und Instandsetzungsmaßnahmen. Außerdem waren eine ganze Reihe von Bauforschungsaufgaben zu lösen und es gab umfangreiche Baualtersbestimmungen.“

Angenagt vom Zahn der Zeit: Schadhafte Balken und Dachsparren vor der Sanierung

Trotz der langen Fertigstellungsprozesse kommt bei ihm keine Langeweile auf: „Die Objekte haben alle eine Vergangenheit und es ist spannend, herauszufinden, wie ein Ge­bäude gearbeitet ist.“ Dazu brauche man fundiertes Fachwissen und müsse intensive Bauforschung betreiben. Als Sanierungsgrundlage dienen digitale Bestandspläne bis hin zu ver­formungsgerechten Digitalaufmaßen, Schadenskartierungen oder auch Messbilder, die mithilfe modernster Lasertechnologie von Leonhardt angefertigt werden.

Er empfiehlt Kollegen, die in die Denkmalpflege wollen, die Arbeit in einem Büro mit Erfahrungen in diesem Bereich oder bei einem guten Restaurator. Es sei wichtig, zuerst in die Praxis zu gehen, um zu sehen, wie man mit Denkmalen umgeht. Wo kommen die Schäden her und wie kann ich etwas sanieren, sodass es auch nachhaltig Bestand hat?

Ohne Fortbildung geht es nicht

Auch wirtschaftlich kann der Architekt aus Trier nicht klagen. An gut bezahlten Aufträgen im Bereich der Denkmalpflege herrscht kein Mangel. Trotzdem finden nur wenige junge Architekten den Weg zur Sanierung alter Gemäuer

Das hält wieder: Das instand gesetzte Gebälk des alten Hospitals

Für Heinz Wionski, selbst studierter Architekt und Konservator beim Landesamt für Denkmalpflege Hessen, ist das vor allem ein Thema der fehlenden Fortbildung: „Sobald junge Absolventen ihren ersten Job in einem Büro haben, werden sie beruflich so stark gefordert, dass die Fortbildung in den Hintergrund rückt.“

Das Haus „Markt 19“ in Bernkastel-Kues vor der umfassenden Reparatur des  Holzständerwerks

Neben seiner Tätigkeit als Gebietsreferent leitet Wionski seit sechs Jahren die Fortbildung „Architekt in der Denkmalpflege“ in der Propstei Johannesberg/Fulda. Die Ausbildung dauert insgesamt zwölf Wochen und ist über drei Jahre verteilt. Wionski: „Haben die jungen Leute dann ein paar Jahre Berufspraxis hinter sich und kommen aus dem einen oder anderen Grund mit der Denkmalpflege in Berührung, merken sie schnell, dass sie ohne Fortbildung nicht weiterkommen.“

Und so sieht das Haus heute von Außen…

Diese Erfahrung machte auch Nicole Lieber aus Diez an der Lahn. Aus diesem Grund nimmt die 35-jährige Architektin seit März dieses Jahres an der Fortbildung in Johannesberg teil. „Inzwischen habe ich den dritten Wochenblock beendet und sehr viel Wissen für die Praxis mitbekommen.“ Lieber hat sich schon vor ihrem Hochbaustudium für das ökologische Bauen interessiert. „Im Vorpraktikum habe ich deshalb in einem darauf spezialisierten Büro gearbeitet. So bekam ich den ersten Kontakt zur Altbausanierung. Für das Hauptstudium habe ich dann eine Hochschule gewählt, an der ich das Thema ,Planen und Bauen im Bestand‘ vertiefen konnte. Das war die Fachhochschule in Oldenburg.“

…und von Innen aus.

Nach dem Studium hat sich Lieber wieder vorrangig mit dem ökologischen Bauen beschäftigt und zur Baubiologin qualifiziert. „Bisher habe ich zwar noch kein reines Denkmalpflege-Projekt betreut, arbeite aber zu 80 Prozent im Bestand.“ Nach ihrer Weiterbildung möchte die junge Architektin stärker im Bereich der Erhaltung von Kulturdenkmalen arbeiten. „Wenn man die Sache rein wirtschaftlich betrachtet, liegt für uns Architekten die Zukunft in der Arbeit im Bestand allgemein und in der Denkmalpflege im Speziellen. Hier muss man jedoch mit viel Sachkenntnis herangehen und kann die Dinge weder als Planer noch als Handwerker so geradlinig durchziehen, wie es im Neubau üblich ist.“

Warum sich so wenige junge Architekten dafür begeistern können, erklärt Nicole Lieber mit einem Vorurteil: „Die meisten haben den Eindruck, dass man im Altbau die Kreativität unseres Berufsstands nicht einbringen kann. Das stimmt aber nicht. Jedes neue Objekt ist eine neue Herausforderung, weil die Arbeit immer wieder zum Teil extrem anders ist. Hier geht es nicht um den eigenen Kopf oder moderne Trends, sondern darum, mit viel Fingerspitzengefühl, aber auch Kreativität auf das alte Gebäude einzugehen.“

Interdisziplinäres planen und bauen

Der 40-jährige Markus Schäfer ist Stadtplaner und durch Zufall zum Denkmalschutz gekommen. Er hatte zuvor in ­Holland gearbeitet und ging dann wegen seiner Frau nach Bamberg. „Ich habe mich dann umgesehen, welche Möglichkeiten es hier gibt, und bin relativ schnell darauf gekommen.“ Er absolvierte in Bamberg ein Denkmalpflege-Aufbaustudium, bei dem er die Kunsthistorikerin Alexandra Baier und die Hochbauarchitektin Yvonne Slanz kennenlernte. 2002 gründete er mit beiden das Büro „Arbeitsgemeinschaft transform“. „Wir hatten uns nach der Gründung unter anderem für Denkmalprojekte in Bamberg beworben und den Zuschlag erhalten. Danach hat es nicht lange gedauert, bis man uns ein Händchen für Projekte im historischen Kontext nachsagte.“ Zu dieser erfolgreichen Spezialisierung hat sicher auch die Zusammensetzung des Büros aus Architektin, Stadtplaner und Kunsthistorikerin beigetragen.

Zu ihren Aufgaben gehören unter anderem städtebauliche und denkmalpflegerische Bewertungen und Untersuchungen, die insbesondere bei Dorf- oder Stadtteilerneuerungen eine große Rolle spielen, Modellprojekte für den urbanen Gartenbau, die im Rahmen des Konjunkturpakets I für die UNESCO-Welterbestädte gefördert werden, sowie Nutzungskonzepte für leer stehende Denkmale. Schäfer: „Was wir hier machen, hat mit einer klassischen Architekturaufgabe nicht mehr viel zu tun. Wir haben eine Nische in der Steuerung und Koordination von denkmalpflegerischen Sonderprojekten gefunden und sind damit sehr zufrieden.“

Für Kerstin Beer war es der Umgang mit den alten Handwerkstechniken, der sie zur Denkmalpflege geführt hat. Nach einer Tischlerlehre wollte sie direkt zur Fortbildung in die Propstei Johannesberg, um im Bereich der Restauration zu arbeiten. Ohne Berufserfahrung hatte sie jedoch keine Chance. Sie entschied sich dann für ein Architekturstudium in Aachen und die Arbeit in einem Planungsbüro. „Irgendwann dachte ich dann, ich müsse etwas für mich tun und habe die Propstei Johannesberg wiederentdeckt“, berichtet die 40-Jährige. Von 2006 bis 2007 ließ sie sich zur „Architektin in der Denkmalpflege“ fortbilden. Gleichzeitig arbeitete sie im „Büro für Architektur und Stadtplanung“ in Kassel an der Restaurierung und Sanierung von alten Fachwerkhäusern. Zurzeit arbeitet Beer an der Sanierung einer Schule aus den 1940er-Jahren, die Teil einer denkmalgeschützten Anlage ist. Beer: „Kein Projekt ist wie das andere. In Zukunft wird es neue Aufgaben geben, wie die Betonsanierung aus den 1960er-Jahren, die heute noch wenig beackert sind. Auch hier muss man sich sehr viel Wissen aneignen, um fachgerecht zu sanieren und zu erhalten. Es geht also nicht nur um die mittelalterlichen Gebäude. Ich bin mir sicher: Wer sich als junger Architekt für Denkmalpflege interessiert, hat auf jeden Fall eine Zukunft.“

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