Das Navi kennt Dietfurt etwa 50 Kilometer südöstlich von Nürnberg im Altmühltal, dort aber nicht die Klostergasse 5. Der mächtige Bau neben der Stadtkirche stand viele Jahre lang leer. Die Stadt als Eigentümerin des maroden Baudenkmals von 1715 erwog sogar schon den Abbruch. Doch dann kam Michael Kühnlein junior, frisch diplomierter Architekt aus dem benachbarten Berching, und suchte ein Objekt für seine Masterarbeit in historischer Bauforschung. Das war 2010.
An der Hochschule Regensburg und im väterlichen Architekturbüro hatte er den Umgang mit solch altehrwürdigen Abbruchkandidaten gelernt. Sein Vater, Michael Kühnlein senior, kämpft seit über dreißig Jahren für den Erhalt alter Bausubstanz in der Region, und das mit sehr ansehnlichen Resultaten. „Man muss den Bestand verstehen, bevor man ihn als Architekt anfasst“, lautet ihre gemeinsame Devise.
Vom alten Jurahaus war nur wenig bekannt. Allein die verbauten Hölzer ließen sich auf 1715 datieren. Spätere Umbauten hatten die Bausubstanz offenbar immer wieder verändert; zuletzt war in den 1950er- Jahren die südöstliche Hausecke herausgebrochen worden, um einen neuen Zugang zu schaffen. Ein Schaufenster und weitere große Fenster kamen hinzu, und Steinmauern wie Fachwerkwände wurden im schlichten Duktus der Nachkriegszeit einheitlich verputzt. Alte Fotos vom vorherigen Zustand gab es nicht. So wusste am Ende niemand mehr, wie das Gebäude früher einmal ausgesehen hatte.
Michael Kühnlein junior und seine Studienkollegin Stephanie Bassen vertieften sich monatelang in die bröselnde Substanz. Das ist durchaus wörtlich zu nehmen, denn Kühnlein grub beispielsweise von Hand alte Schächte aus und förderte den Schutt früherer Abbrüche zutage. Schicht für Schicht erschloss sich so, in Abstimmung mit der Denkmalpflege, ein präziseres Bild. Unter dicker Tünche kamen Details zum Vorschein, etwa Fresken, die es in ganz Bayern sonst nicht gibt. Bald war Kühnlein und Bassen klar, dass sie es mit einem einmaligen Schmuckstück zu tun hatten.
An der Süd- und Ostfassade rekonstruierte Kühnlein anhand von Löchern im Putz ein Fries-Muster, das im Engadin als „Laufender Hund“ bekannt ist. Hatten hier Wanderhandwerker ihre Hand im Spiel, die zur Entstehungszeit im Bistum Eichstätt tätig waren? Die Kirche vis-à-vis wurde damals gerade barockisiert. „Vielleicht waren Künstler im Haus einquartiert und revanchierten sich so für Kost und Logis“, mutmaßt Michael Kühnlein. Belegen lässt sich davon nichts mehr. Auch der Bauherr bleibt bis heute unbekannt. Am Ende der Forschungsarbeit standen ein akribisches, verformungsgerechtes Aufmaß im Maßstab 1 : 20 und ein dickes denkmalpflegerisches Raumbuch.
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Der „moderne“ Bautyp Jurahaus
Zeit, etwas über das Jurahaus zu erzählen: Der Bautyp ist in der Region um das Altmühltal seit dem Mittelalter bekannt. Hauptkennzeichen ist das wegen der Steindeckung aus Kalkplatten oder Legschiefer flach geneigte Dach. Aus den hohen Dachlasten resultiert auch der eng gegliederte, durch die Konstruktion zumeist in neun Räume aufgeteilte Grundriss mit dem zentralen Tenner als multifunktionalem Erschließungsraum. Der gedrungene Baukörper ohne Vor- und Rücksprünge, der fehlende Dachüberstand, die kleinen quadratischen Fenster und der häufig glatte Putz machen das Jurahaus fast zu einer zeitgenössischen Erscheinung: Es entstand im rauen Klima der Region als frühes Niedrigenergiehaus. Man findet den kompakten Bautyp als einfaches Handwerker- ebenso wie als prächtiges Bauern- oder Bürgerhaus.
Reif für eine neue Nutzung
Das Gebäude in der Klostergasse 5 ist so kompakt, dass sein Grundriss im Maßstab 1 : 50 auf ein DIN-A3-Blatt passt. Die Stadt beschloss den Umbau zum kleinen Kulturhaus: Im Erdgeschoss sollte die Stadtbücherei einziehen. Das Obergeschoss mit der „guten Stube“ sollte für Tagungen dienen und einen Mehrzwecksaal beherbergen.
Nach der Instandsetzung der vielfach durchfeuchteten und morschen Konstruktion war die Rekonstruktion des barocken Ursprungszustandes „nach Befund“ zumindest äußerlich das Ziel der amtlichen Denkmalpflege.
Michael Kühnlein junior hätte sich mit dem Schaufenster aus den Fünfziger Jahren anfreunden können, doch wurde zur friesgeschmückten Bandfassade aus kontrastierendem Stupf- und Glattputz die einheitliche Struktur aus etwa quadratischen Kastenfenstern bevorzugt. Diese bestehen aus mit Blei verfugtem Einfachglas sowie einer Brandschutz-Doppelverglasung, beides aus Eichenholz.
Innen konnte der Architekt unkonventioneller vorgehen: Der Tenner ist über einen wieder freigelegten, nun verglasten Torbogen erschlossen, der auch Licht in die Tiefe des Gebäudes bringt, wo die Stadtbücherei mehrere Kammern belegt. Ein Raum wurde extra für Kinder eingerichtet. Die horizontale Teilung des Tenners durch eine Zwischendecke wurde wieder aufgehoben. Die einläufige Treppe aus Eichenbohlen erklimmt nun seitlich frei das Obergeschoss, wo sie unterm zusätzlich verstärkten mächtigen Gebälk im offenen Veranstaltungsraum mündet, zu dem mehrere Kammern zusammengelegt wurden. Die Stube samt selbst gestalteter Küche liegt zur Rechten der Treppe. Das Fachwerk und die barocke Bemalung wurden hier restauriert. Kein modernes Design lenkt hier von der Aura des Alten ab.
Einfacher, solider Ausbau
Das mächtige Balkenwerk wurde vielfach sichtbar angestückt, erhaltene Teile, die zuvor getüncht waren, wurden nur abgebürstet. Der nicht öffentlich zugängliche Dachstuhl wurde so rekonstruiert, dass anstelle der hellen Keramikdeckung später auch eine Steindeckung möglich wäre. Die abgängige Westwand wurde auf altem Sockel neu hochgemauert und ein Aufzug im kleinen Lese-Hof hinterm Haus angefügt. Das gesamte Gebäude ist damit barrierefrei.
Der Ausbau gelang dank fähiger lokaler Handwerker und fast ständiger Bauaufsicht solide und angemessen: Die Eichendielen wurden beispielsweise so präzise in die krummen Grundrisse eingefügt, dass keine Bodenleisten nötig waren. Die in alter Technik neu eingebrachten Lehmschlagdecken waren im Rohzustand so ansehnlich, dass der Architekt beschloss, sie so zu belassen: „Das ist fertig so.“ Die Herstellung sollte nachvollziehbar bleiben. Etliche solche Details zeugen vom profunden Verständnis der historisch gewachsenen Substanz.
Doch auch die gänzlich neuen Zutaten sind stimmig: Die Toiletten wurden in einen tonnengewölbten Lagerraum eingefügt, die Regale der Bibliothek ebenso wie die schlichten Lichtschalter eigens entworfen – der Architekt wollte keine teuren Retro-Modelle. Einzige Extravaganz bilden die Lampen, die er aus seiner Lehrzeit bei Dominique Perrault mitgebracht hat: große, raffinierte gläserne Kolben und Kugeln, die ein warmes Licht verstrahlen.
Ausstrahlen soll das im Mai diesen Jahres eröffnete, mit 1,4 Millionen Bruttobaukosten keineswegs teure Kulturhaus auch nach außen, in den Stadtraum. Hier herrscht im unmittelbaren Umfeld bislang Leerstand und Ödnis. Dabei wären bei etwas Engagement der Eigentümer gewiss ähnlich spektakuläre Funde zu erwarten. Vom Nachbargebäude weiß man bislang nur, dass es aus der Gotik stammt.
Christoph Gunßer ist freier Fachautor in Bartenstein (Baden-Württemberg).
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