Claas Gefroi
Das Projekt Hafencity wurde, wie so vieles in Hamburg, aus dem Kaufmannsgeist der hiesigen Politik geboren. Mitte der Neunzigerjahre planten die Stadt und ihre Hafengesellschaft HHLA ein modernes Containerterminal in Altenwerder, fünf Kilometer westlich des Zentrums. Finanziert werden sollte es durch den gewinnbringenden Verkauf nicht mehr benötigter Hafenflächen nahe der Innenstadt.
Das führte folgerichtig zu der Vision eines neuen Stadtteils für hochwertige Wohn-, Büro- und Einzelhandelsnutzung nahe der City in bester Elblage – sie ließ eine maximale Wertsteigerung der Grundstücke erwarten und kam dem wachsenden Bedürfnis nach Wohnen und Arbeiten in attraktiver Stadtlage entgegen. In aller Stille hat Volkwin Marg (GMP) erste Pläne gezeichnet. Parallel wurden Grundstücke aufgekauft – ganz unauffällig, um nicht eine vorzeitige Spekulationswelle zu erzeugen.
Masterplan und Quartierstypen
1997, gut getimt im Bürgerschaftswahlkampf, stellte Voscherau die weit gediehenen Pläne der Öffentlichkeit vor. Noch im selben Jahr beschloss die Bürgerschaft die Realisierung des Großprojekts und Anfang 1998 wurde die GHS (später: HafenCity GmbH) ins Leben gerufen, die alle Planungs- und Bauvorhaben und den Grundstücksverkauf steuert. Mit der Masterplankonzeption wurde Ende 1998 ein erster Entwicklungsrahmen geschaffen – Grundlage für den städtebaulichen Wettbewerb, den Hamburgplan und Kees Christiaanse/ASTOC gewannen.
Deren Konzept wurde zu einem Masterplan verfeinert, der Aussagen trifft zu Typologien und Nutzungsstrukturen des Stadtteils, zu Erschließungsmaßnahmen und zu Realisierungsstufen. In 20 Jahren soll die Hafencity von West nach Ost und von Nord nach Süd entwickelt werden. Das Gebiet wird in Quartiere gegliedert, die nach Größe, Höhe, Nutzungen, städtebaulichen Systemen und Bautypologien differenziert werden. Die Gestaltung der öffentlichen Räume spielt, für Hamburg ungewohnt, eine herausragende Rolle. Sie sollen nicht nur attraktive Freiflächen bieten, sondern die Quartiere gliedern und verbinden.
Die Bauten der ersten Quartiere am Sandtorkai und dem Dalmannkai wurden unterschiedlich aufgenommen: Die Lokalpresse monierte die „kalte“ Stahl- und Glasarchitektur, doch alle Wohnungen sind vermietet oder verkauft und die Touristen strömen in Scharen. Nachvollziehbar ist die typologische Unterscheidung zwischen Bürohäusern (Quader) und Wohnhäusern (U-Form).
Die Architekten hatten erstaunliche Freiheit bei der Gestaltung der Fassaden. Diese Tendenz zum Soloauftritt ist am Dalmannkai noch ausgeprägter. Dort reihen sich rechteckige Baukörper und u-förmige, zum Wasser geöffnete Blöcke aneinander. Letztere sind in bis zu fünf Baufelder mit unterschiedlichen Bauherren und Architekten aufgeteilt.
So wurde eine kleinteilige Mischung von Wohnkonzepten (Genossenschaftswohnungen, Baugemeinschaften, frei finanzierter Wohnungsbau) und gestalterischen Ansätzen erreicht. Indes: Die unterschiedlichsten Fassadenformen und –materialien auf engstem Raum führten zu einem recht disparaten und heterogenen Erscheinungsbild des Quartiers.
Vernachlässigte Familien
Einen Maßstabssprung wird das nebenan entstehende Überseequartier bedeuten. Das acht Hektar große Herzstück der Hafencity mit 275 000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche für Einzelhandel, Büros und Wohnungen ging an nur einen Investor, wird aber von acht unterschiedlichen Architekten gestaltet und bis Ende 2011 fertiggestellt. Auch für die im Osten anschließenden Bereiche wird bereits geplant. Der Grundstücksverkauf läuft besser als angenommen, die Planungs- und Realisierungszeiträume verkürzen sich. Die Geschwindigkeit könnte zum Problem werden, wenn keine Zeit bleibt, um über das Erreichte zu reflektieren und Schlüsse für Künftiges zu ziehen.
Die Hafencity ist vor allem deshalb ein wirtschaftlich erfolgreiches Stadtentwicklungsprojekt, weil sie konsequent die Lagegunst zum bestimmenden Thema macht. In den westlichen Bereichen hat man aus fast allen Gebäuden einen Blick aufs Wasser und die historische Speicherstadt. Die Wege in die nahe Alt- und Neustadt sind, wenngleich nicht immer schön, recht kurz. Die Nutzungsmischung wird für Leben in den Gebäuden und den Straßenräumen sorgen. Wohnen, Arbeiten und Einkaufen könnten allerdings noch näher beieinander liegen. Und auch das Wohnungsangebot muss breiter werden. Viel zu selten sind Preise und Grundrisse auf die Bedürfnisse von Mittelschichtfamilien ausgelegt.
Leuchttürme fürs Festland
Ganz richtig hat man auch erkannt, wie wichtig Einrichtungen für Kultur, Bildung und Tourismus zur Steigerung der Attraktivität sind. Großprojekte wie die im Bau befindliche Elbphilharmonie von Herzog & de Meuron auf und im Kai-speicher A oder ein Sciencecenter nach den Plänen von Rem Koolhaas sollen als Leuchttürme weit in die Welt strahlen, ergänzt durch private Einrichtungen wie das Maritime Museum. Hinzu kommen die HCU (Hafencity-Universität) für Architektur, Stadtplanung, Bauingenieurswesen und Geomatik sowie ein großes Kreuzfahrtterminal.
Soweit wird das Standardprogramm heutigen Stadtmarketings erfüllt. Aber es zeigen sich auch Ansätze eines neuen Denkens: das von Enthusiasten betriebene Oldtimermuseum in einem alten Fabrikgebäude, das integrative Hotel, in dem einmal 40 behinderte Menschen arbeiten werden, das House of Design, in dem individuelle Büros, Wohnungen und Lofts sowie eine Ausstellungsfläche entstehen. Neues schaffen, vielfältig nutzbare Strukturen planen, Menschen locken, die sich mit dem Ort identifizieren werden: Diesen Weg gilt es, weiter zu beschreiten. So entstehen jene Milieus, die dem neuen Stadtteil Authentizität verleihen, Leben einhauchen und Stabilität verleihen. Gelingt das, wird die Hafencity nicht nur eine ökonomische, sondern auch eine stadtplanerische Erfolgsgeschichte.
Claas Gefroi ist Presse- und Öffentlichkeitsreferent der Architektenkammer Hamburg und freier Autor.