Text: Simone Hübener
Als feste Burg nahmen die Gemeindemitglieder ihre Neue Pauluskirche in Essen, die der Architekt Denis Boniver entworfen hat, nach ihrer Eröffnung im Jahr 1959 wahr. Seitdem hat sich viel verändert, und doch ist sie bis heute fest geblieben. Im September 2007 wurde das Gebäude wegen seiner besonderen Bedeutung als Baudenkmal in die Liste der Stadt Essen aufgenommen. Genützt hat das allerdings nur der Kirche als Bauwerk und nicht als Versammlungsort für Gottesdienste. Die Besucher blieben aus, weshalb Ende 2007 der Kirchenbau profanisiert wurde und fortan leer stand. Allein um die bereits vorhandenen Wasserschäden und die Schäden am Sichtbeton sowie am Bruchsteinmauerwerk zu beseitigen, hätte es einer Investition von rund einer Viertelmillion Euro bedurft.
Es musste eine dauerhafte Lösung her, wollte man die Kirche vor dem Verfall und vor jahrelangem Leerstand retten. Glücklicherweise trat 2011 die Adolphi-Stiftung auf den Plan und erwarb das großzügige Grundstück mit Kirche, Gemeindezentrum, Pfarrhaus und einem Zweifamilienhaus. Die erste Idee, in die Kirche ein Seminarzentrum zu integrieren, wurde aus wirtschaftlichen Gründen verworfen, die eines Seniorenzentrums dann gemeinsam mit zwo+ architekten aus Bochum umgesetzt. Sie hatten schon Erfahrung im Umgang mit alten Kirchenbauten und zeigten dabei eine feinfühlige Handschrift, was auch der Neuen Pauluskirche zugute kommen sollte. Geplant wurde ein Haus mit acht Wohngruppen für insgesamt 99 Bewohner, inklusive der nötigen Nebenräume wie Küchen, Wohnecken, Café, Frisör und Personalzimmer.
Die Neue Pauluskirche im Stadtteil Huttrop wurde als einfacher, kubischer Bau mit einem Turm – oder besser gesagt einem Würfel – für die Glocken geplant. Nach außen prägen die Fassaden aus regionalem Bruchsandstein und Sichtbetonelementen das Erscheinungsbild, rotbrauner, sehr exakt gemauerter Ziegel schafft im Innern eine warme, angenehme Atmosphäre. Die Süd- und die Westfassade zu stark befahrenen Straße waren nur von kleinen Buntglasfenstern in Kreuzform durchbrochen. Die Nordfassade zeigte und zeigt sich dagegen völlig anders: Sie besteht aus einem Skelett aus Sichtbeton, das hier ebenfalls kleine, kreuzförmige Fenster formt und diese mit runden Öffnungen kombiniert. Sie waren mal mit Buntglas, mal mit Milchglas geschlossen, so dass das einfallende Tageslicht viel Farbe und damit eine positive Stimmung ins Kircheninnere brachte.
Umbau in strengem Raster
Boniver griff dieses Gestaltungselement auch für den Glockenturm auf, der dadurch sehr filigran erscheint. Außerdem lässt er das Konstruktionsprinzip der Kirche erkennen: ein Stahlbetonskelett mit einem strengen Raster von 4,45 Metern, das nach und nach ausbetoniert wurde. Diese „Vorgaben“ des denkmalgeschützten Altbaus wollte und musste das Team von zwo+ architekten möglichst weitgehend erhalten oder im Sinne der Gestaltungsvorgaben des Ursprungsbaus weiterschreiben. Das ist bei einem geplanten Seniorenzentrum mit seiner kleinteiligen Grundrissstruktur natürlich alles andere als einfach, doch es ist geglückt: außen ganz besonders, im Innern überlagert dagegen die neue Nutzung oftmals den Charakter des Altbaus.
Zwei sehr schöne Orte gibt es allerdings auch hier: Den Architekten war es wichtig, alle kleinen Kreuzfenster in der Süd- und der Westfassade zu erhalten, weshalb sie sehr viel Energie investierten, den neuen Grundriss entsprechend zu planen. Dass ihnen dies gelungen ist, zeugt von der „wertschätzenden Integration der Kirche in das Seniorenzentrum“, die sie – so ein Vertreter des Bauherrn zur Eröffnung – „gemeistert“ hätten. Fast alle Kreuzfenster sind heute Teil der Bewohnerzimmer im Kirchentrakt und werden ergänzt durch hochformatige Öffnungsflügel, die das Innere hell und freundlich machen. Die Architekten haben sie für jeweils zwei nebeneinanderliegende Zimmer über alle vier Etagen hinweg gebündelt und dafür einen 12,5 Meter hohen und 1,45 Meter breiten Schlitz in die Fassade gefräst. Damit diese vielen kleinen Öffnungen am Ende nicht wie ein Puzzle wirken, griffen die Architekten das Motiv der Sichtbetonrahmen auf und legten sie einmal um jede Gruppe herum sowie als horizontale Gliederung zusätzlich auf Höhe der Geschossdecken. Ein kleiner Wermutstropfen ist die Eingangstür zum Café im Erdgeschoss, die aufgrund der geforderten Barrierefreiheit breiter sein musste als das darüber liegende Fenster.
Ein Glaskunstfenster wandert
Für die Sichtbeton-Schmuckfassade im Norden fanden die Architekten eine ausgefallene Lösung: Da sie aus bauphysikalischen Gründen nicht als Gebäudeabschluss hätte dienen können, ließen sie die neue, dämmende Außenhaut um einige Meter nach hinten versetzt errichten. Dadurch entstand im Zwischenraum über alle Etagen hinweg ein großzügiger Außenbereich, den das Personal und die Bewohner sehr gerne nutzen. Damit die Luft zirkulieren kann und nicht der Eindruck entsteht, hinter einer geschlossenen Wand zu sitzen, finden sich heute in den Betonrahmen nur noch die Buntglasfenster. Alle Milchgläser wurden entfernt.
Diese Fassade war für den ehemaligen Kirchenbau zugleich die Hauptlichtquelle, weshalb es nun aufgrund der neu eingezogenen Wände für die südöstlichen Bereiche des Seniorenzentrums mit Foyer und Café einer anderen bedurfte. Für sie blieb nur die Ostfassade übrig, in die ein wunderschönes, großes Glaskunstfenster eingebaut war, gestaltet von Gottfried von Stockhausen. Es wurde kurzerhand ausgebaut und belichtet nun zwei Etagen höher einen großen Versammlungsraum, in dem unter anderem auch Gottesdienste gefeiert werden. Die untere Öffnung ließen die Architekten mit großflächigen Fenstern schließen, die heute einerseits viel Tageslicht ins Innere hereinlassen und andererseits einen Bezug zur Umgebung herstellen.
Im Innenraum ist von der Kirche leider nur noch wenig zu erkennen. Hier überdeckten die Zwänge der Anforderungen an ein Seniorenzentrum und an die Wirtschaftlichkeit teilweise das architektonisch Wünschenswerte. Die neue Innendämmung und auch alle anderen Innenwände sind einfach verputzt, die Böden mit einem Kautschukbelag versehen und die Möbel Standard, wenngleich ein durchaus ansehnlicher.
Das sollte man dem Betreiber allerdings nicht ankreiden. Ganz im Gegenteil: Das Engagement für den bemerkenswerten Kirchenbau war groß. Ein wenig vom einstigen Flair strahlt das Café im Erdgeschoss aus, in das die ehemalige Taufkapelle mit ihrer kleinen Apsis integriert wurde. Boniver hat sie mit einem sehr eleganten Flugdach gekennzeichnet, welches ebenfalls erhalten ist und etwas Sakrales ausstrahlt. Der eleganteste Raum des ganzen Hauses und gleichzeitig der am meisten an die alte Kirche erinnernde ist der Gottfried-von-Stockhausen-Saal mit dem erwähnten Glaskunstfenster des Künstlers, einem Teil der noch relativ neuen Kirchenleuchten und Parkett als Bodenbelag.
Da selbstverständlich nicht alle Bewohnerzimmer in der alten Kirche untergebracht werden konnten, ergänzen zwei Neubauten den Bestand, wofür das Gemeindezentrum und das Zweifamilienhaus abgerissen wurden. Die neuen Gebäude sind am westlichen und östlichen Rand der Nordfassade angefügt, so dass aufgrund der U-Form der drei Gebäudeteile ein geschützter Eingangsbereich entstanden ist. Die Zimmer sind analog zu denen gestaltet, die im Bestandsbau untergebracht sind, die Fassaden erhielten ein einfaches Wärmedämm-Verbundsystem. Die Bauherrin plädierte zunächst für einen roten, orangefarbenen oder gelben Anstrich, doch die Architekten konnten das mit einer guten Idee verhindern: Sie entnahmen aus dem Bruchsandstein der Kirchenfassade zahlreiche Proben und entwickelten daraus verschiedene Farbkonzepte. Das Amt für Denkmalschutz war begeistert, die Bauherrin am Ende auch, und so findet man heute einen Sandsteinton und ein Hellgrau. Die Neue Pauluskirche bleibt der Blickfang. Ins ehemalige Pfarrhaus bringen nun zwei Erzieherinnen und zehn Kinder Leben, die dort gemeinsam den Tag verbringen.
Der Umbau zeigt, dass ein Seniorenzentrum gut in eine alte Kirche integriert werden kann. Die Architektur muss dafür zwar stärker verändert werden als bei großflächigeren Nutzungen; inhaltlich passt es aber sehr gut in einen sakralen Raum. Denn die alten Menschen schätzen ihr neues Zuhause ebenfalls als „feste Burg“.
Simone Hübener ist Fachjournalistin für Architektur und Bauen sowie Planredakteurin in Stuttgart.
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