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Kohlenwäsche und Designstadt

Die Zeche Zollverein in Essen feiert sich als zentraler Ort der Kulturhauptstadt Ruhr. Hier fokussieren sich aber auch die Probleme der Neuerfindung eines Ortes

01.04.20105 Min. Kommentar schreiben

Von Heike Oevermann

Zum Auftakt des Kulturjahres wurde in der ehemaligen Kohlenwäsche das alte Ruhrlandmuseum als Ruhr Museum eröffnet. Das Gebäude fungiert schon seit 2006 als Ort der Information im weitläufigen Zechengelände und ist nun ­Ankerpunkt in der unübersichtlichen, kaum erfahrbaren „Hauptstadt“ Ruhr. Radikal modernisiert und räumlich umfassend umgebaut wurde es in mehreren Bauabschnitten durch die Büros OMA, Rotterdam und Böll/Krabbel, Essen. Die Innengestaltung schuf hg merz aus Berlin und Stuttgart. Wer eintritt, gelangt auf eine feuerorange Rolltreppe, die in die oben gelegene Eingangsebene fährt. Als entfernbares Element wird sie dem Denkmalschutz gerecht, atmosphärisch spricht sie von der Zukunft.

Geschichte auf drei Maschinenebenen

Auf der 24-Meter-Ebene empfängt den Besucher der raue Charme alter Maschinenanlagen. Weit hinten lockt das Feuerorange einer weiteren, der zentralen Treppe. Wie früher die Lichtstreifen der Schlote der Stahlfabriken am Nachthimmel leuchtet die Treppe in die Ausstellungsräume. Hier darf der Besucher nun endlich im Museum dem alten Weg der Kohle folgen – Maschinenebene für Maschinen­ebene. In der Bewegung nach unten und in dem dunkel gehaltenen Licht der wie Schätze ausgestellten Objekte zeigt sich die Kohlenwäsche als ein faszinierendes und atmosphärisch aufgeladenes Heimatmuseum.

Glühendes Museum: Auf der Rolltreppe des Ruhr Museums fühlt man sich in die Bandbrücken der Kohlenförderbänder versetzt. Auch „Gangway“ genannt, soll die neue Erschließung des Baus mehr als nur funktionalen Erfordernissen genügen. Unten: Das Kunstprojekt „Werkschwimmbad“ in der Kokerei Zollverein von Dirk Paschke und Daniel Milhonic.

Im Museum wird auf drei Ausstellungsebenen eine Geschichte des Ruhrgebietes vermittelt, die in den Urzeiten der Steinkohleentstehung beginnt und mehr Facetten aufweist als die bekannte Industrialisierung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts samt Niedergang und notwendigem Strukturwandel.

Von römischen Okkupationen, Kriegen zwischen Franken und Sachsen, Verlagswesen und Buchdruck und ihren prägenden Einflüssen werden Zeugnisse präsentiert – und schaffen eine neue Sicht auf bekanntere Objekte und Bilder aus der Gegenwart. Die gliedernden Kategorien der Ausstellung heißen „Gegenwart“, „Gedächtnis“ und „Geschichte“ – sie finden sich auch in der Architektur wieder. Natur- und Kulturgeschichte, Wirtschafts-, Technik-, Politik- und Sozialgeschichte werden zusammengeführt. Kultur wird hier als Organisationsform und Produkt des gesellschaftlichen Lebens und Arbeitens verstanden.

Auch Architektur ist hier, unabhängig von ihrer ästhetischen Qualität, Ausdruck der jeweiligen Kultur. Bezieht man die Industriekultur ein, ist das Ruhrgebiet mit seinen Siedlungen, Industriebauten und technischen Anlagen eine kulturell bedeutende Region. Davon erzählen Bau und Inhalt des Ruhr Museums.

Und doch schleichen sich auch Zweifel an der Selbstbeschreibung des Ruhrgebiets als „kreativ“ und „kulturell“ ein. Die mantraartige Wiederholung vom gelungenen Strukturwandel, das Wissen um die leeren Haushaltskassen in Essen und ringsum und nicht zuletzt die architektonische und programmatische Neuerfindung des Ortes werfen auch Fragen und Sorgen auf. Der Strukturwandel ist bisher nicht gelungen – das macht das Museum teils unfreiwillig deutlich, das Fußball, Taubenzüchtervereine, Schimanski, Bergbausiedlungen und weiteres Bekanntes als Gegenwart der Region ausweist und auszeichnet.

Doch auch bei den architektonischen Eingriffen gibt es zwei kritische Punkte: Zum einen wird die überlieferte Substanz durch die Umnutzungen massiv verändert. Von der ehemals überdachten Maschine „Kohlenwäsche“ ist wenig geblieben. In der Fassade findet sich kaum mehr ein alter Stein oder ein altes Stahlteil. Neue Decken wurden eingezogen, Teilabrisse vorgenommen – so am Rohkohlebunker – und viele Maschinen wurden entfernt. Aber kann eine Maschinenanlage ein Museum beherbergen und kann ein Museum wie eine Kohlenwäsche aussehen? Oder anders gefragt: Können Architekten einen Ort neu erfinden und dennoch seine authentische Substanz umfassend erhalten? „Erhaltung durch Umnutzung“ erfordert gerade bei den Industriedenkmalen schwierige Kompromisse.

Auf der Zeche entsteht eine eigene Welt

Der zweite kritische Punkt: Zeche und Stadtteil drohen sich voneinander abzulösen. Die umliegenden Quartiere haben sich in enger Abhängigkeit von der Zeche und der Kokerei entwickelt. Mit deren Stilllegung in den 1980er- und 1990er-Jahren wurde diese Verbindung abgeschnitten. Seit etwa zehn Jahren wird verstärkt auf Akteure, Programme und Architekturen gesetzt, die wenig mit dem vergangenen Alltag verbindet. Das zeigt auch die „Zollverein School“ des japanischen Architekturbüros Sanaa von 2006. Außerdem werden einige temporäre Bauten als Raumangebote für Gründer am Schacht 1/2/8 realisiert.

2007 hatte es dafür einen Wettbewerb für „mobile working spaces“ gegeben, aus dem jetzt fünf Entwürfe realisiert werden. Die Stiftung Zollverein verspricht durch die neuen Nutzer Belebung der umliegenden Stadtteile. Studenten, Besucher und Lehrende sollen hier wohnen, ausgehen und einkaufen. Gleichzeitig wird aber auf Zollverein eine eigene Welt geschaffen, die in der Vision der „Designstadt“ am einstigen Schacht 1/2/8 einen ehrgeizigen Namen erhalten hat.

Essen und das Ruhrgebiet vertrauen seit mehr als einem Jahrzehnt auf Kultur und Kreative. Doch an Zollverein 2010 wird sichtbar, wie schwierig an solchen Standorten die Neuerfindung eines städtischen Kerns ist. Zudem stehen zeitgenössische Bau- und Nutzungsformen in der Kritik, weil sie sich vom Überkommenen entfernt haben. Mit beidem zeigt sich das chronische Dilemma der Region: Das Alte taugt nicht mehr – und das Neue tut sich bislang schwer, hier Fuß zu fassen. Beispielsweise scheint das Ruhr Museum mit seinem Bezug zur regionalen Vergangenheit auch architektonisch beim breiteren Publikum deutlich besser anzukommen als der exotisch anmutende Bau von Sanaa. Der Besucherandrang ist ein Zeichen dafür, dass Bau wie Programm für die Menschen vor Ort ebenso wie für die neuen Akteure attraktiv ist.

Heike Oevermann lehrt und forscht über Stadtentwicklung und Kulturerbe.

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