Dieser Beitrag ist in gekürzter Fassung (ohne die zwei letzten Beispiele) unter dem Titel „Verstorbene bringen neues Leben“ im Deutschen Architektenblatt 12.2022 erschienen.
- Heilige Familie in Osnabrück: Rundkirche mit Ringen
- St. Josef in Belm: Urnenhöfe und Feierraum
- St. Elisabeth von Thüringen in Krefeld: Sarkopharge im Kirchenschiff
- Karmeliterkirche in Boppard: unter der Empore
- Mariendom in Hamburg: vom Kohlenkeller zum Goldschatz
- St. Marien in Papenburg: Wasserläufe als Trennlinie
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Heilige Familie in Osnabrück: Rundkirche mit Ringen
Die Betonrundkirche Heilige Familie in Osnabrück wurde 1960 erbaut. Rund 40 Jahre später blieben viele der rund 340 Sitzplätze sonntags leer. Doch die Gemeinde wollte ihre Kirche erhalten, trotz rückläufiger Mitgliederzahlen und Mittel. Eine Teilumnutzung als Kolumbarium bot sich aus wirtschaftlichen Überlegungen, aber auch im Blick auf die sich verändernde Bestattungskultur an. Im Jahr 2020 betrug der Anteil der Feuerbestattungen immerhin 74 Prozent (1980: 18 Prozent), so der Verein Aeternitas. Zudem leben Familien heute verstreut über die Republik. Das erschwert die Grabpflege.
Pilotprojekt mit Breitenwirkung
Für das Bistum Osnabrück war der Umbau dieser Kirche im Jahr 2009 eine Premiere. Für den Münsteraner Architekten Tobias Klodwig auch. Er konzipierte zwei Nutzungsbereiche, die aufeinander Bezug nehmen und zugleich erkennbar gegeneinander abgegrenzt sind. Diese Herangehensweise war nicht nur eine Frage der Gestaltung. Die klare Trennung schreibt auch das katholische Kirchenrecht vor (alle hier vorgestellten Kolumbarien befinden sich in katholischen Kirchen).
Umlaufender Gang: Die „Heilige Familie“ in Osnabrück war ein Pilotprojekt: Sie wird seit 2009 auch als Kolumbarium genutzt. Mittlerweile hat Architekt Tobias Klodwig den Urnenbereich um zwei weitere Bauabschnitte erweitert.
Anfangs kritische Stimmen
„Anfangs gab es viele kritische Stimmen. Die Sorge, dass der Baukörper zu stark verändert würde, war groß“, erinnert sich Klodwig. Er griff nur minimal in die Substanz ein. Unter dem Lichtkegel im bisherigen Altarraum errichtete er eine halbhohe geschwungene Zwischenwand und führte sie parallel zur Außenwand mit zwei weiteren Wandscheiben aus Lehm-Streichputz fort. So entstand ein kreisförmiger Raum im Raum mit einem umlaufenden Wandelgang. Vor die Außenwände setzte Klodwig ebenfalls runde Wandelemente. In diese und in die Zwischenwände sind rund 1.200 Urnenfächer eingelassen. Hinter messingfarbenen Abdeckungen verbergen sich Einzel- und Doppelurnenkammern. Das Raster ist unregelmäßig, ein Symbol für die Einzigartigkeit jedes Menschen, so der Architekt.
Getrennt und doch verbunden
Gottesdienstraum und Kolumbarium sind vielschichtig verbunden – durch das Licht des Dachfensters, durch zwei Durchgänge in der Zwischenwand, durch einen kreuzförmigen Durchbruch in der Wand hinter dem Altar, durch den gemeinsamen Eingangsbereich mit dem Taufbecken und durch die verwendeten Materialien. Die Sitzbänke im inneren Raum sind genau wie die hockerartigen Möbel im Kolumbarium aus hellem Eschenholz gefertigt; die Verschlussplatten der Urnennischen, aber auch das in den Altar eingelassene Kreuz bestehen aus Messing.
Nicht jede individuelle Trauerform ist möglich
Im Planungsprozess wurden vor allem Details zu kleinen Hürden. Beispielsweise sind die Öffnungen der Urnenfächer zum Leidwesen der Bestattungsunternehmen zu klein für standardmäßig erhältliche Schmuckurnen. Die Aschekapseln können nur in kleinen Holzkisten beigesetzt werden. Auch über den Grabschmuck wurde viel diskutiert. „Die Trauernden haben das Bedürfnis, Zeichen zu setzen, Blumen oder auch Erinnerungsstücke an der Bestattungsstelle abzulegen. Damit der Raum seine Ästhetik und Würde behält, muss man dies regulieren“, so Klodwig. In ein Kiesbett vor der Urnenwand dürfen nun in einheitlich großen Vasen Blumen gestellt werden.
Kolumbarium schon zweimal vergrößert
Inzwischen wurde die Kolumbariumskirche gut angenommen. „Sie ist zu einem Ort des Lebens geworden. Viele Angehörige kommen in die Gottesdienste. Sie werden jetzt so voll, dass die Orgelempore wieder geöffnet werden musste, um mehr Sitzplätze anbieten zu können“, berichtet der Architekt. Zugleich wirke die Kirche als Pilotprojekt über die Gemeinde hinaus. Bis heute finden immer noch Führungen statt. In der Woche danach werden dann oftmals Urnenfächer reserviert.
Inzwischen wurde das Kolumbarium in damaliger Büropartnerschaft mit Anne Uta Elshof erweitert – durch ein Zwischenrund im Wandelgang (2018) und durch einen Neubau (2022). Alle drei Bauabschnitte waren von vornherein vorgesehen. Für Architekt Tobias Klodwig wiederum sind Kolumbarien ein fester Bestandteil seines Portfolios geworden – wie er dafür einen Kohlenkeller vergoldete und das Kirchenrecht kreativ interpretierte, lesen Sie weiter unten.
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Die Abdeckplatten sind so tief eingesetzt, dass ein Sims zur Ablage von Blumen und Kerzen bleibt.
St. Josef in Belm: Urnenhöfe und Feierraum
Im Bistum Osnabrück gibt es mittlerweile in vier weiteren Kirchen Urnenbegräbnisstätten. Der jüngste Umbau ist 2021/22 das Kolumbarium St. Josef in Belm. In dem fünfeckigen Gebäude aus dem Baujahr 1965 schufen Stephanie Löning und Jürgen Schwegmann vom Architekturbüro B-Werk aus Spelle ebenfalls eine Raum-in-Raum-Lösung. Die Gestaltung orientierte sich am Namenspatron der Kirche, so Architektin Löning: „Der heilige Josef war Zimmermann. Daraus haben wir die Materialität, vor allem die intensive Nutzung von Holz, sowie die einfache, handwerkliche Konstruktion der Urnenfächer abgeleitet.“
Trauer und Hoffnung im Blick
Der Feierraum mit knapp 150 statt der bislang 600 Sitzplätze bildet als Verlängerung des Eingangsbereichs mit dem Taufbecken ein gleichschenkliges Trapez. Helle Holzstelen grenzen ihn halbtransparent zu sechs Höfen mit regalartig anmutenden Urnenwänden aus eingefärbten Betonfertigteilen ab.
In die 1.440 Urnenfächer werden die Abdeckplatten so tief eingesetzt, dass jeweils ein Sims zur Ablage von Blumen und Kerzen entsteht. Die helle, warme Atmosphäre des Feierraums bildet einen deutlichen Kontrast zu den zurückgenommenen Nischen des Kolumbariums. „Ziel unseres Konzepts war, einen Raum zu schaffen, in dem Menschen Trauer leben und Hoffnung sehen können“, erläutert Löning.
Ein Kolumbarium braucht auch Nebenräume
Unter der Orgelempore gibt es nun einen kleinen Gesprächsraum, ein Besucher-WC und einen Stauraum für Kerzen und Vasen. „Wir haben uns in anderen Kolumbarien vor allem über Funktionalitäten und Abläufe informiert und dort unter anderem gesehen, wie wichtig Spülen mit Wasserzapfstellen sowie Abfallbehälter sind“, erklärt Jürgen Schwegmann. Er hat dieses Projekt als sehr arbeitsintensiv erlebt. „Es kam auf jedes Detail an. Zwischendurch gab es Workshops und Werkstattbesuche bis hin zu einer Sitzprobe für die Bänke und anschließender Anpassung der Abmessungen.“
Die Gemeindemitglieder identifizieren sich trotz der Veränderungen nach wie vor mit ihrer Kirche, so die beiden Architekten: „Für uns ist überraschend, dass es nach Abschluss des Umbaus nicht die sonst üblichen kritischen Fragen gegeben hat. Das Projekt wird einfach ganz positiv angenommen.“
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St. Elisabeth von Thüringen in Krefeld: Sarkopharge im Kirchenschiff
In älteren Kirchen bieten sich Raum-in-Raum-Umbauten weniger an. Dort greifen Architekten gerne die vorhandenen Gliederungen auf, um ein Kolumbarium zu integrieren. Zum Beispiel in „St. Elisabeth von Thüringen“ in Krefeld. Die Kirche wurde 1894 als Teil eines Kapuzinerklosters konstruiert und nach dem Zweiten Weltkrieg als funktionale Nachkriegskirche wiederaufgebaut. Nach dem Verkauf der angrenzenden Klostergebäude wurden die Innenarchitekten Willi Theelen aus Mönchengladbach und Monika Aulbur aus Königswinter 2015 mit der Umgestaltung zur Grabeskirche beauftragt.
Eingriffe in den Bestand der Kirche
Sie mussten auch Eingriffe in die Substanz vornehmen, etwa um den bislang zur Kirche geschlossenen Kreuzgang anzubinden. „Bei unseren Abriss- und Umbauarbeiten sind wir überraschend auf architektonische Details gestoßen, die wir dann in unsere Planung integriert haben“, erklärt Willi Theelen. „Beispielsweise waren die Kirchenfenster in der Wand zum Kreuzgang zugemauert. Die Fensteröffnungen wurden wieder freigelegt und offen gelassen.“ Darüber hinaus wurde der ganze Kirchenboden herausgenommen, neu betoniert und ein Design-Estrich mit Terrazzooptik aufgebracht. Neu ist auch ein Seiteneingang als Zugang zum Klosterfriedhof.
Kolumbarium im Hauptraum der Kirche
Der größte Teil des Raumes wird jetzt für die Urnenbeisetzungen genutzt. In der Mitte des Kirchenschiffs haben die Innenarchitekten vier frei stehende Sarkophag-artige Blöcke mit Grabstätten gestellt, die acht Pfeiler mit Urnenwänden ummantelt und in einem zweiten Bauabschnitt 2022 im Kreuzgang Urnenwände ergänzt. Dank der geringen Höhe der Einbauten blieb die Größe des Raumes erhalten. „Und für die Trauernden ist wichtig, dass sie den Namen auf der Grabplatte gut lesen können. Damit haben sie auch ein Gefühl von Nähe“, erklärt Willi Theelen.
Schließfachwirkung vermeiden
Die Einbauten aus Holzwerkstoff sind am Sockel und an der oberen Blende mit Glasfaser-bewehrten Betonsteinelementen verkleidet, die Grabplatten bestehen aus unterschiedlichen Natursteinen aus gleicher oder ähnlicher Farbfamilie. Die Flächen der Grabwände haben die Innenarchitekten vorgegeben, um einen homogenen, monolithischen Gesamteindruck zu erzielen und eine Schließfachwirkung zu vermeiden.
Für Blumenvasen sind Stellplätze am Boden vor den Grabstätten vorgesehen, Kerzen können auf den Sarkophagen abgestellt werden. „Unsere Beobachtung ist, dass es den Trauernden zwar am Herzen liegt, eine Kerze anzuzünden. Aber sie muss nicht direkt neben der Grabstätte stehen.“
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Karmeliterkirche in Boppard: unter der Empore
Anders als in Krefeld war die Festlegung der unterschiedlichen Nutzungsbereiche in der um 1300 errichteten Karmeliterkirche in Boppard zunächst umstritten. Laut Wettbewerbsausschreibung sollte das Kolumbarium im linken der beiden baulich nahezu gleichwertigen Schiffe der Hallenkirche entstehen. Über diese Vorgabe setzte sich die auf Sakralbauten spezialisierte Architektengruppe Wandel Lorch Götze Wach hinweg – und überzeugte letztendlich mit der Idee, den Raum unter der Orgelempore durch Holzgitterwände abzutrennen. Ihre Perforation macht Anleihen bei den verlorenen Bopparder Fenstern, orientiert sich also am ikonologischen Bestand. Das spiele eine erhebliche Rolle für die Kontinuitätserfahrungen der Besucher, aber auch für die Integrität des Bauwerks, so Thomas Wach.
Kontinuität durch ikonologischen Bestand
Hinter den halbtransparenten Gitterelementen platzierte er statisch selbsttragende und selbststehende Urnenregale. Vorgabe der Gemeinde war, rund 1.000 Urnenplätze einzurichten. „Im vorhandenen Raum war das nur mit Fächern möglich, in die große Schmuckurnen nicht hineinpassen.
Der Pfarrer hat die sehr schöne Lösung entwickelt, dass die Kapseln in Schmucktücher gewickelt werden“, erzählt Thomas Wach. Den Mittelpunkt des Kolumbariums bildet eine Pieta aus dem 15. Jahrhundert. Die versteckt auf den Urnenregalen angeordnete Beleuchtung sorgt für eine gedimmte Atmosphäre und strahlt das Gewölbe an.
Neue Verbundenheit zur Kirche
Auch Thomas Wach hat viele positive Reaktionen von Gläubigen erhalten. „Darunter waren zum einen Menschen, die es als sehr beruhigend erfahren haben, irgendwann einmal in ‚ihrer‘ Kirche bestattet werden zu können. Es gab aber auch Konfessionslose, die sich das für sich gut vorstellen können, aus ästhetischen Gründen, aber auch wegen der ruhigen, würdevollen Ausstrahlung des Ortes.“ Solche Rückmeldungen, aber auch die Erweiterungen von Kolumbarien, zeigen: Wo sich Gemeinden an eine solche Teilumnutzung wagen, kann dies ein erfolgreiches Konzept sein, um Gebäude wirtschaftlich zu erhalten, städtebaulich zu sichern und sogar neu zu beleben.
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Das Kolumbarium als Arbeitsfeld für Architekten
Für den Münsteraner Architekten Tobias Klodwig war der Umbau der Betonrundkirche Heilige Familie in Osnabrück so etwas wie der Beginn eines weiteren Kapitels seiner beruflichen Tätigkeit. Seither hat er bei zahlreichen Wettbewerben Entwürfe für Kolumbarien eingereicht. 2012 wurde er mit der Einrichtung einer Begräbnisstätte in der ehemaligen Krypta des St. Marien-Doms in Hamburg und 2021 zusammen mit der damaligen Büropartnerin Anne Uta Elshof mit der Gestaltung der Kolumbariumskirche St. Marien in Papenburg beauftragt.
„Die Herangehensweise ist bei allen Kolumbarien, die wir geplant haben, ähnlich: In einem ersten Schritt untersuchen wir, was das vorhandene Gebäude, seine Umgebung und seine Nutzer ausmacht. In einem zweiten Schritt suchen wir nach Bezugspunkten in aktuellen Glaubensinhalten und in der Heiligen Schrift“, beschreibt er.
Mariendom in Hamburg: Vom Kohlenkeller zum Goldschatz
Im Hamburger Mariendom waren die räumlichen Gegebenheiten eine enorme Herausforderung: In einem knapp 90 Quadratmeter großen und nur 2,40 Meter hohen ehemaliger Kohlenkeller, der zuletzt für Ausstellungen genutzt wurde, sollte eine Begräbnisstätte entstehen. „Angesichts dieser schwierigen Startbedingungen haben wir erstmal tief durchgeatmet“, erinnert sich Tobias Klodwig. „Wichtig war uns auch hier: Wir wollten einen Raum der Hoffnung und der Zuversicht installieren.
Den konzeptionellen Durchbruch – wenn man so will: die Inspiration – hat der Blick in die Apsis der Hauptkirche über der Krypta gebracht. Dort findet sich ein goldenes Mosaik, eine Replik der Aufnahme Mariens in den Himmel aus Santa Maria Maggiore in Rom. Das hat uns auf die Idee gebracht, die gesamte Decke der Krypta mit Blattgold zu versehen.“ In der christlichen Ikonographie steht Gold für die strahlende Leuchtkraft Gottes und das Himmlische. Zugleich hat dieses reine Material die schöne Eigenschaft, das Licht ganz gleichmäßig im Raum zu verteilen.
Urnenfächer mit Messingplatten
Im Halbrund der Apsis und entlang der vorhandenen Wandnischen hat der Architekt die mehr als 1.500 Urnenstellplätze untergebracht. Die Fächer sind alle gleich groß und in einem regelmäßigen Raster angeordnet. „Dennoch wurde der Gedanke, dass jeder Mensch einzigartig ist, gestalterisch umgesetzt: Die Messingabdeckungen sind manuell behandelt, sodass unterschiedliche Farbschattierungen entstanden. Außerdem sind die Platten in unterschiedliche Richtungen gekippt.“ Auf diesen Gedächtnisplatten werden die Namen in goldenen Buchstaben aufgebracht. Sie korrespondieren mit den goldenen Lettern an der Wand im Zugangsbereich zur Krypta: „Freut euch darüber, dass eure Namen im Himmel verzeichnet sind. Lk 10,20.“
Geschickte Lichtplanung für niedrigen Raum
Das harmonische Miteinander aus goldener Decke und großflächigem Messingraster funktioniert in dem engen, vergleichsweise niedrigen Raum vor allem dank des ausgeklügelten Lichtkonzeptes des Hamburger Lichtplanungsbüros Andres + Partner. „Wir haben in den Kiesbetten vor den Grabstätten LEDs eingebaut und im hinteren Bereich auf der Urnenwand Linienleuchten mit Streuplatten positioniert. Die Decke haben wir jedoch unberührt gelassen. Die gesamte Beleuchtung wurde im Vorfeld im Studio aufwändig getestet und ausgemessen“, sagt Architekt Klodwig. „Durch die Reflexionen von der Decke und von den in unterschiedliche Richtungen gekippten Messingplatten entsteht eine lebendige, warme Atmosphäre.“
Bezüge zum Kirchenraum
Neben dem verbindenden Material Gold gibt es an vielen Stellen Bezüge zum Gottesdienstraum des Domes, die für Besucher nicht auf den ersten Blick erkennbar, aber dennoch spürbar sind: Der halbrunde Kolumbariumsraum ist direkt unter dem Chorraum an der Stirnseite des Domes gelegen. Mittig im Kolumbarium steht eine runde Stele, auf der die Urnen bei der Beisetzungsfeier positioniert werden. Direkt darüber, auf der gleichen Zentralachse im Kirchenschiff, steht das Taufbecken. Auf der Verlängerung dieser Zentralachse im Kolumbarium trägt eine ebenfalls runde, mit Bronze verkleidete Stahlstütze den Hauptaltar im darüber liegenden Gottesdienstraum. Und schließlich gibt es eine offene akustische Verbindung zwischen den beiden Räumen. Die beiden Sitzbänke aus Ziegeln und Eichenblöcken sowie der geschliffene Terrazzo-Boden wiederum verbinden die Begräbnisstätte gestalterisch mit der Bischofsgrabanlage.
Dass die Umgestaltung der Krypta sehr umstritten und die Auffassungen von Beisetzung und Bestattungskultur auch innerhalb des Klerus weit auseinander lagen, hat Tobias Klodwig erst im Nachhinein erfahren. „Am Ende hat jedoch wohl nicht zuletzt die intensive inhaltliche Auseinandersetzung mit den Themen Tod, Abschied, Trauer und Hoffnung dazu geführt, dass sich auch neue Türen geöffnet haben“, meint er. Immerhin wurde das Kolumbarium im Dom St. Marien mittlerweile mit der Ansgar-Medaille des Erzbistums ausgezeichnet. Für viele Menschen ist die Urnenbeisetzungsstätte zum „Goldschatz des Domes“ geworden, hieß es in der Laudatio.
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St. Marien in Papenburg: Wasserläufe als Trennlinie
Im niedersächsischen Papenburg, wo Kanäle das Stadtbild prägen und der Schiffbau eine jahrhundertelange Tradition hat, drängte sich der Gedanke auf, bei der Integration eines Kolumbariums in die St. Marienkirche den Jordan als wichtigsten Fluss in der Bibel aufzugreifen. „Die Redewendung „jemand geht über den Jordan“ ist heute sehr negativ konnotiert. In der Bibel jedoch sind die Israeliten über den Jordan in eine andere Welt, in das gelobte Land gezogen“, erklärt Tobias Klodwig. Seine damalige Büropartnerin Anne Uta Elshof und er haben deshalb zwei Wasserläufe als zentrale neue Gestaltungselemente in den Kirchenraum integriert. Sie symbolisieren den Übergang vom Leben zum Tod. In der Planungs- und Vorbereitungsphase sorgte dieses Konzept durchaus für Diskussionen.
„Natürlich kann die Idee, in einem Innenraum Wasserläufe zu integrieren, zahlreiche Bedenkenträger auf den Plan rufen, die mit Sicherheitsüberlegungen oder auch der Frage der Barrierefreiheit kommen und dann vorschlagen, lieber zum Beispiel eine symbolische blaue Glasplatte einzubauen“, erzählt der Architekt. „Aber wenn eine Idee stark genug ist, wenn das Konzept so gut ist, dass es den Raum prägt, dann wird sie auch von der Gemeinde, dem Bischof und dem Bistum getragen. Hilfreich ist dabei, dass für Kirchen eine Sonderbauverordnung gilt, die den Bauherren etwas Spielraum lässt.“ Die technische Umsetzung gestaltete sich allerdings komplex: Das Wasser wird im hinteren Teil des Raumes eingespeist und fließt vorne durch eine Filteranlage ab, so dass ein leichtes Plätschern die Atmosphäre bestimmt.
Kirchenrecht: Gottesdienst und Beisetzung räumlich getrennt
Neben der Anbindung der Kirche an des Lebensumfeld der Besucher und der christlichen Symbolik erfüllen die Wasserläufe noch eine dritte wichtige Funktion: Die beiden Rinnen verlaufen parallel zu den Längsseiten der einfachen Hallenkirche und trennen die beiden Nutzungsbereiche – Kolumbarium und Gottesdienstraum – voneinander.. „Das Kirchenrecht sieht vor, dass Gottesdienste und Beisetzungen in zwei getrennten Raumeinheiten stattfinden sollen“, so Tobias Klodwig. „Wie genau diese Trennung ausgeführt sein soll, ist natürlich interpretationsfähig. In Papenburg hat das Bistum eine sehr großzügige Auslegung vorgenommen.“ Auch das Lichtkonzept bildet die Raumgliederung ab: Für Trauergottesdienste werden die Randzonen heller erleuchtet, für Sonntagsgottesdienste der zentrale Feierraum.
Die Urnenwände mit insgesamt 1.200 Fächern sind entlang der Außenwände angeordnet und umfassen auch die Pfeiler. Die aus Jura-Kalkstein gefertigten Grabplatten sind individuell gestaltet: Ihre Oberflächen sind unterschiedlich bearbeitet – geschliffen, gestockt oder auch sägerau – und in unregelmäßigem Muster mehr oder weniger weit vorspringend gesetzt. Auch der Bodenbelag, der Chorraum und die Stufenanlage bestehen aus Jura-Kalkstein. Diese Einheitlichkeit der Materialien und der hellen Farben sorgt für eine schlichte lichte und zeitlose Anmutung.
Gemeinde ist zusammengerückt
Um Raum für die Kolumbariumswände und die breiten Gänge davor zu schaffen, ist die Gemeinde für die Gottesdienstfeier in der zentralen Achse des Kirchenschiffs zusammengerückt. Die ursprünglich durch einen Mittelgang getrennten Bankreihen wurden direkt nebeneinandergestellt, der Altar aus dem Chorraum herausgenommen und direkt vor den Bankreihen platziert. Altar, Ambo und Priestersitz sind nun auf der Ebene der Gemeinde verortet. „Durch dieses Zusammenrücken haben wir den Gemeinschaftsgedanken deutlich gestärkt“, erläutert der Architekt. Der Taufbrunnen steht gegenüber von Altar und Chorraum mittig im Eingangsbereich des Gesamtraumes. Dieser Bereich lässt sich durch Einzelbestuhlung flexibel nutzen.
Bei allen Gedanken über Raumgliederung und -trennung – in St. Marien in Papenburg bilden Kolumbarium und Gottesdienstraum heute eine harmonische Einheit. Das liegt sowohl an der Wahl der Materialien, aber auch daran, dass der Blick von einem Nutzungsbereich völlig frei zum anderen schweifen kann und sich auch Geräusche ungehindert ausbreiten können. Aus Sicht von Architekt Tobias Klodwig ist dieses enge Miteinander auch ein wichtiger Beitrag zur Nutzung des Gebäudes: „Wenn eine Kirche komplett als Kolumbarium umgenutzt wird, gibt es dort wenig Leben, und nach unseren Erfahrungen eine geringere Nachfrage als in einer Kirche, die auch noch als Gemeindekirche genutzt wird.“
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