Von Johanna Lentzkow
Seit neun Monaten lebe ich nun schon in Lissabon und verbringe dort mein universitäres Auslandsjahr. Man mag meinen, dass man die Stadt in dieser Zeit schon gut kennengelernt hat, nutzt man doch gefühlt jede freie Minute, um neue Ecken zu erkunden. Doch am Wochenende habe ich mich mit Open House Lisboa auf Stadttour einer anderen Art begeben und bin maßlos begeistert: Eine Auswahl aus knapp 70 beispielhaften Architekturen, deren Zugang der Öffentlichkeit normalerweise verwehrt bleibt, bot die Möglichkeit für einen Perspektivenwechsel: die Stadt von innen kennenlernen.
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Den Wert einer gut gestalteten Stadt vermitteln
Aufwendig verzierte „Azulejos“ zieren die bunten Häuserfassaden, breite Steinrahmen betonen Fenster und Ecken, den Abschluss bildet ein Ziegeldach: Diese Beschreibung lässt auf Lissabons Architektur schließen. Wird das Äußere von Gebäuden oft durch städtische Normen reglementiert, um die kollektive Identität zu bewahren, gehören die Innenräume zu einer Art unsichtbarem Erbe, das sich freier entfalten kann.
Die Aktion Open House Lisboa ist Teil des übergeordneten Netzwerks Open House Worldwide, das 1992 ins Leben gerufen wurde und heute 48 Städte auf der ganzen Welt umfasst. Der Schwerpunkt der Auswahl liegt auf zeitgenössischen Projekten, die in ihrer Typologie eine große Bandbreite aufweisen. Die Mission besteht darin, einem möglichst breiten Publikum ein Verständnis für den Wert einer gut gestalteten Stadt zu vermitteln und die entscheidende Rolle der Architektur im Leben der Menschen zu demonstrieren.
Versteckte architektonische Schätze
Meine Tour habe ich direkt mit einem Highlight begonnen: dem Atelier Cecílio de Sousa, Sitz des portugiesischen Architekturbüros Aires Mateus. Die bescheidene Vorderfassade lässt den historischen Wert nicht erahnen, der sich im Inneren in Form von Freskengemälden aus dem späten 18. Jahrhundert zeigt. Im Kontrast dazu stehen pragmatisch angelegte Arbeitsplätze, auf denen man unzählige Modelle, Skizzen und Materialproben bestaunen konnte. Abgerundet wird das feinfühlig ausgeführte Sanierungsprojekt von einer grünen Oase im Hinterhof.
Ebenso versteckt ist das Mono, ein Ausstellungsraum und Atelier für Künstler:innen aus der ganzen Welt. Über ein Garagentor erschließt sich mir der ehemals als Tiefgarage genutzte Raum auf 600 Quadratmetern. Hugo Cantegrel, selbst Künstler und Initiator des Umbaus, erläutert seine Intention, das Licht Protagonist sein zu lassen. Leichte Vorhänge und die geschaffenen Kunstwerke rhythmisieren den lichtdurchfluteten Raum.
Open House öffnet den Architekturdiskurs
Was leider oft meine Portugiesischkenntnisse überstieg, aber dennoch spannend zu sehen war: dass es nach jeder Führung, die teilweise auch von dem oder der verantwortlichen Architekt:in persönlich durchgeführt wurde, zu einem Austausch zwischen ebendiesen Expert:innen und den Besucher:innen kam. Es herrschte Interesse, das Gebäude konzeptionell zu verstehen und Perspektiven auf räumliche Situationen zu diskutieren.
Denn hinter dem Open House Konzept verbirgt sich mehr als bloß die Möglichkeit, hinter die Fassade zu blicken. Die Veranstaltungen bilden eine Plattform, um ins Gespräch zu kommen, einen Raum für Austausch unabhängig von Alter, Geschlecht oder architektonischem Fachwissen. Sie sind Chancen, die den Architekturdiskurs öffnen und die Architektur in den alltäglichen Dialog bringen, sie zugänglich, partizipativ und inklusiv machen.
Sicherlich wird eine Stadt durch ihre architektonischen Ikonen definiert. Jedoch sorgfältig ausgewählten Architekturempfehlungen nachzugehen, die die Kapazität des Reiseführers übersteigen, und somit wieder zum oder zur Tourist:in in der eigenen Stadt zu werden, ist spannend und inwendig zugleich.
In Deutschland: Tag der Architektur
In Deutschland hat der Tag der Architektur ein ähnliches Konzept. Besucher:innen können kostenlos Neu- und Umbauten besuchen und mit den Architekt:innen ins Gespräch kommen. Auch Architekturbüros öffnen ihre Türen. Der Tag der Architektur findet immer Ende Juni statt, in den meisten Bundesländern am 25. und 26. Juni 2022. Hier geht’s zum Programm.
Johanna Lentzkow absolvierte ihren Bachelor an der Hochschule Darmstadt und setzt nun ihr Architekturstudium an der Technischen Universität in München fort.
Die Nachwuchs-Kolumnen des DAB schreibt ein junges Team, weitere Autor:innen sind Fabian P. Dahinten, Johanna Ziebart und Lorenz Hahnheiser.
Wie sind Eure Erfahrungen als Architektur-Studierende oder Berufseinsteiger? Hinterlasst uns einen Kommentar auf dieser Seite oder schreibt uns unterDAB-leserforum@handelsblattgroup.com
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