Wolfsburg will ein „Bildungshaus“, in dem sich die Stadtbibliothek, ein Medienzentrum, die Volkshochschule und eine Sekundarschule gegenseitig befruchten. Stadtbaurätin Monika Thomas möchte gar „einen neuen Geist der Bildung initiieren“. Architektonisch liegt die Latte in der Stadt hoch, die mit Kulturbauten wie dem Theater von Hans Scharoun und dem Kulturhaus von Alvar Aalto aufwarten kann. „Für die neuartige Bauaufgabe brauchen wir ebenso neue Ideen“, sagt Thomas. Für den besonderen Bau leistet sich die Stadt ein Verfahren von besonderer Komplexität,in dem ein zweiphasiger offener Wettbewerb, eine Bürgerbeteiligung und ein VOF-Verfahren miteinander verknüpft werden.
Es begann mit einer laut Thomas „ausgesprochen intensiven Vorphase mit den Nutzern, um das Raumkonzept zu erstellen und Flächenbedarfe zu definieren. Gerade bei einer unkonventionellen Bauaufgabe brauchen die Wettbewerbsteilnehmer eine möglichst klare Orientierung an den Nutzervorstellungen.“ In Phase eins des offenen Wettbewerbs ging es vor allem um den Städtebau. An zwei Sitzungstagen (Thomas: „Ein Marathon bis tief in die Nacht“) teilte sich die Jury in vier Gruppen, die jeweils einen Teil der 112 eingereichten Entwürfe diskutierten; am Ende wählte das Jury-Plenum 22 aus.
„Es war extrem spannend, zu sehen, wie sich da bestimmte Typologien herausbildeten“, berichtet Thomas. Nebenbei widerlegte das Wolfsburger Verfahren ein Vorurteil: dass sich prominente Architekten an offenen Wettbewerben wegen der unwägbaren und statistisch geringen Chancen nur ungern beteiligen würden. „Es waren herausragende Architekturbüros dabei“, verrät Thomas – selbstverständlich auch internationale.
Vor der Wettbewerbsphase zwei gab es eine Bürgerbeteiligung der besonderen Art – bemerkenswert ihrer seiner Integration in ein Wettbewerbsverfahren und wegen des besonderen Aufwands, der dafür nötig war. Alle 22 Entwürfe wurden in der fensterlosen ehemaligen Kassenhalle im Inneren des Rathauses ausgehängt. Alle Besucher mussten sich namentlich registrieren, eine Verpflichtungserklärung unterschreiben, Kameras und Handys draußen lassen. Wettbewerbsteilnehmer waren für die Besichtigung nicht zugelassen. Trotz allem fanden in einer Woche 850 Menschen den Weg zu den Entwürfen – viele von der Stadt eingeladen und in Gruppen geführt, die zum Beispiel aus Nachbarschaftsvereinen, Schulen und einem islamischen Kulturzentrum kamen.
Negative wie positive Meinungsäußerungen von „Wird zu groß“ bis „Möchte ich gerne dran arbeiten“ konzentrierten sich auf die optisch besonders auffälligen Entwürfe. Monika Thomas: „Innovative andersartige Formen boten den größten Anreiz zur Diskussion. Die Bürger gucken schon sehr auf neue Formen, vor allem auf runde, ellipsoide, weiche. Sie achten stark aufs Atmosphärische. Sehr viele haben gesagt: Diese Entscheidung möchte ich nicht fällen müssen.“
Aus den Meinungsäußerungen der 850 Besucher wurde ein „Bürgerkommentar-Bericht“, den die Preisrichter der zweiten Phase erhielten. „Er wurde von der Jury sehr ernst genommen“, bilanziert Thomas. Allerdings ist nicht bekannt geworden, dass er prägenden Einfluss auf das Beratungsergebnis gehabt hätte. Dieses war ohnehin nur ein Zwischenstand: Es gab keinen 1.Preis, aber drei 2.Preise. „Bei jedem Entwurf gab es Details, die noch nicht so ausgereift waren wie gewünscht. Für die Nutzer wäre es eine vertane Chance gewesen, sich auf einen festzulegen, wenn noch nicht alle drei die Aufgabe vollkommen durchdrungen haben.“ Also ließ die Stadt dem zweiphasigen Wettbewerb gleich noch eine weitere Runde folgen: ein VOF-Verfahren, in dem die Träger der drei 2.Preise mit einer Überarbeitung beauftragt wurden. Wenn das geschehen ist, soll die Wettbewerbsjury erneut zusammentreten und final entscheiden. „Faktisch ist das jetzt Phase drei“, sagt Thomas. „Die Phase der endgültig substantiellen Entscheidungsfindung für alle.“
„Das Ganze ist schon ein immenser Aufwand“ gesteht Thomas zu. „Aber es rechnet sich. Im Verhältnis zu den Baukosten ist der Aufwand minimal. Jede Nachbesserung, die man später versucht, ist teurer. Und wer etwas Neuartiges haben will, der muss einfach ein Verfahren wählen, das Innovationen fördert und in dem Fachleute, Nutzer und Öffentlichkeit sie gründlich prüfen können.“
Wettbewerbs-Steckbrief
Bauaufgabe: Bildungscampus am Klieversberg, Wolfsburg
Ausloberin: Stadt Wolfsburg
Verfahrensform: zweiphasiger, offener Ideen- und Realisierungswettbewerb mit eingeschobener Bürgerbeteiligung und anschließendem VOF-Verfahren mit Überarbeitung durch die Preisträger
Wettbewerbsbetreuer: Büro Luchterhandt, Hamburg
Teilnehmer: 112
Drei 2. Preise:
- Schaltraum Architektur (Hamburg), Werner Sobek (Stuttgart) mit Hinnenthal Schaar Landschaftsarchitekten (München)
- prosa architekten (Darmstadt) mit Rehwaldt Landschaftsarchitekten (Dresden)
- Esa Ruskeepää Architects (Helsinki) mit Fugmann Janotta Landscape Architecture (Berlin)
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