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Land-Energie

Neue Perspektiven für verödende Dörfer – wie das aussehen kann, zeigt ein Modellprojekt im Taubertal.

02.05.20175 Min. Kommentar schreiben
Dörfliches Großprojekt: Ein alter Bauernhof wurde saniert und umgenutzt. Links das umgebaute Wohnhaus, rechts der ehemalige Kuhstall.

 

Von Christoph Gunßer

Es war der vorletzte Bauernhof im Dorf. Das Elternhaus von Rolf und Martina Klärle und ihren sechs Geschwistern stand direkt vis-à-vis, in Schäftersheim, einem 700-Seelen-Ort im Taubertal südlich von Würzburg. Als nach langem Leerstand des Hofes der Abbruch des „alten Gelumpes“ bevorstand, um auf dem Grund drei Einfamilienhäuser hoch- zuziehen, schritt Martina Klärle ein und kaufte den Hof für wenig Geld. Ihr Bruder Rolf, Architekt in Bad Mergentheim, sorgte für den räumlich innovativen Umbau. Ins Haupthaus sollte Martina Klärles Büro für Landmanagement und Umwelttechnik einziehen, Kuhstall und Scheune boten Platz für die Hebammenpraxis „Lebenshaus“ sowie zwei alten-gerechte Wohnungen. Geboren werden, arbeiten, alt werden: Das bot eine vitale Perspektive für den Ort, der wie viele Dörfer der Region Gefahr lief, abgehängt zu werden.

Gemeinsam gingen die Geschwister an die Umsetzung der Ideen. Die Nachbarn wurden konsultiert, ein Fest wurde gefeiert, Fördermittel wurden aufgetrieben. Der „Hof 8“, benannt nach der Adresse Bachgasse 8, aber auch nach der Achtsamkeit im Umgang mit örtlichen Ressourcen, wurde ein Modellprojekt. 1,8 Millionen Euro kostete der ambitionierte Umbau am Ende – bei rund 750 Quadratmetern Nutzfläche fast Neubau-Niveau. Die Ansprüche der Planer waren hoch. Die Verträge mit zwei Energie-Experten wurden wieder gelöst, weil sie die ehrgeizigen Ziele der Bauherrin im Bestand nicht für machbar hielten.

550 Quadratmeter Photovoltaik-Dächer, Grundwasserwärmepumpe im wieder freigelegten Brunnen, Wärmerückgewinnung aus der Abluft, 26 Zentimeter Zellulose-Dämmung und Dreifachverglasung – die Kombination baulicher und technischer Mittel machte den Plusenergiestandard schließlich locker möglich: 200 Prozent betrug der Energie-Überschuss im ersten Betriebsjahr 2015, 160 Prozent im Folgejahr. Eine kleine Flotte Elektroautos wird am Hof „betankt“, eine Erweiterung der Nahwärme-Insel ist angedacht. Sogar der Computer-Server heizt mit. „Wenn nur jedes dritte Haus im Land so ausgestattet würde, bräuchten wir keine fossilen Ressourcen mehr für den Gebäude-bestand“, rechnet Martina Klärle vor. Zur Ergänzung wird demnächst eine neuartige Klein-windkraftanlage am Scheunenfirst angebracht, ihr neuestes Faible. Stolz pendelt die Bauherrin mit selbst erzeugter Energie zum Zug nach Frankfurt, wo sie seit zehn Jahren Professorin ist.

Gestalterisch bewahrt das Ensemble weitgehend die ländliche Silhouette, versteckt indes das Neue nicht. Nach anfänglichen Überlegungen, das tauberfränkische Fachwerk außen sichtbar zu lassen und innen zu dämmen, entschied sich Rolf Klärle für den umgekehrten, im Ortsbild erst einmal fremdartigeren Weg: „Wie ein geschliffener Diamant“ steht für ihn das Bauernhaus heute da. Außen umhüllt ein minimalistischer Lattenrost aus regionalen, unbehandelten Douglasien das hoch gedämmte Haus – sogar das Dach ist, wo nicht mit Solarzellen belegt, mit gleichartigen Latten über dunkler Unterspannbahn gestaltet. Innen dagegen finden sich rundum sorgsam restaurierte, grau geschlämmte Fachwerkwände, aufgearbeitete Türen und teilweise sogar die alten Gewände. Ein scharfer Gegensatz von Alt und Neu, der aber „ehrlich“ zeigt, welcher Aufwand getrieben wurde. Wie die Neben-gebäude soll das Haus auf diese Weise natürlich vergrauen. „Archaisch“ nennt Architekt Klärle diese etwas kühle Reduktion der Form, seine Schwester bekennt sich dazu, dass ihr Haus schmucklos „wie eine Scheune“ aussieht. Ausgeführt wurde alles präzise von örtlichen Handwerkern.

Auch das Kraftwerk auf dem Dach wurde vorbildlich integriert, der Freiraum mithilfe vorhandener Kalksteine gestaltet, auch um „graue Energie“ einzusparen. Entsprechend der guten sozialen Vernetzung der Bauherren – Martina Klärle spielt und schreibt für das örtliche Laientheater und engagiert sich in der Kirchengemeinde – integriert sich das Neue am Ende und ist kein Fremdkörper. Die Neugier der Leute war trotzdem groß: 3.000 kamen zum Tag der offenen Tür. Selbst am Sonntag führt sie immer noch Gruppen durch die Räume, propagiert und diskutiert Wege zu mehr Nachhaltigkeit auf dem Land. Anerkennungen und Preise blieben dann auch nicht aus. Auch wenn Martina Klärle für die Kommunen in ihrer – demografisch eigentlich schrumpfenden – Region immer nochmals neue Baugebiete ausweisen muss, hängt ihr Herz an der Innenentwicklung.

Neues im Alten: Im ehemaligen Dachboden des Bauernhauses sitzt die Agentur für Landmanagement der Bauherrin. Die Kinder der Mitarbeiterinnen können dort auch spielen.

Im Landmanagement – eigentlich ein arg technokratischer Begriff – sollte sie Vorrang vor Neuplanungen auf der grünen Wiese haben, auch wenn die Arbeit im Bestand mühsam sein kann. Sie mobilisiert die Menschen und ihre Potenziale, bringt die Gemeinden nachhaltig weiter, davon ist die Planerin überzeugt. Klärle glaubt, dass auch die kleinen Orte so eine Zukunft haben können, nicht nur als Schlaforte, sondern auch zum Arbeiten. Ihre 17 Mitarbeiterinnen, tatsächlich sind es fast ausschließlich Frauen, wissen es zu schätzen, dass sie wohnortnah tätig sein können und sogar ihre Kinder mitbringen dürfen. Auch die vier Hebammen im „Lebenshaus“, das aus einem Neubaugebiet in den licht umgebauten Kuhstall zog, profitieren von der neuen Lage im Ort.

Wieder Leben im Dorf: In den früheren Kuhstall zog auch eine Hebammenpraxis. Für die schönen Räume und die zentrale Lage im Ortskern verließ sie ein Neubaugebiet.

Das Umfeld ist hier ruhig und beschaulich, genau richtig für werdende Mütter, so heißt es. Und die zwei ebenerdigen Wohnungen wurden ebenfalls gut angenommen. Ein Teil der Scheune steht für Veranstaltungen zur Verfügung, die Dachböden sind noch ausbaubar.

Christoph Gunßer ist freier Fachautor. Er lebt in Bartenstein (Baden-Württemberg).

 

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