Dieses Interview ist unter dem Titel „Man soll einfach spüren, dass dieser Ort gut ist“ im Deutschen Architektenblatt 04.2022 erschienen.
Frau Gebhard, was ist für Sie gute Landschaftsarchitektur?
Gute Landschaftsarchitektur arbeitet die Besonderheit eines Ortes heraus. Günther Grzimek hat bezüglich des Münchner Olympiageländes mal so schön gesagt: „Es soll ein Ort sein, an dem man sich sauwohl fühlt.“ Für mich ist es so, dass man gar nicht merken muss, dass ich gearbeitet habe, sondern man soll einfach spüren, dass dieser Ort gut ist.
Wie schafft man es, dass sich alle wohlfühlen?
Das fängt mit verschiedenen Nutzungen an. Wenn zum Beispiel nachverdichtet werden soll, muss ich vorher fragen: Kann ich das überhaupt verantworten, dass so etwas passiert? Oder ist genau diese Freifläche wichtig als klimatischer Ausgleich oder für die Erholung in der Stadt? Die Naherholung hat ja auch eine ganz wichtige CO2-Funktion. Wenn ich die Möglichkeit habe, mich zu Fuß zu erholen, nicht immer wohin fahren muss, um eine schöne Fläche zu finden, vermeidet das viel Verkehr – was wiederum zum Wohlbefinden aller beiträgt.
Ist der Bedarf an Naherholungsräumen in der Pandemie gestiegen?
Viele Bedürfnisse werden in der Pandemie wie durch ein Brennglas sichtbar, aber vorhanden waren sie schon vorher. In meiner Zeit als Abteilungsleiterin in München habe ich schon sehr stark eingefordert, dass soundso viel Quadratmeter pro Einwohner öffentlich zugängliche Freifläche geschaffen werden muss, wenn ein neues Quartier entwickelt oder nachverdichtet wird. Damit man sich auch als alter Mensch oder Kleinkind von daheim weg erholen kann! 250 Meter von jeder Wohnung muss ein Westentaschenpark oder Ähnliches sein. Wenn Sie weiter gehen müssen, merken Sie, wie anstrengend das ist.
Ich habe zwei Kleinkinder zu Hause, aus eigener Erfahrung stimme ich da zu. Aber wie kann das gelingen?
Indem man einsieht, wie wichtig es ist, die öffentlichen Räume zu gestalten und sie nicht als reine Verkehrsflächen zu betrachten. Man muss sie im Gegenteil teilweise aus der Verkehrsfunktion rausnehmen und so verändern, dass sie Erholungsmöglichkeiten bieten. Das gilt nicht nur im städtischen Kontext: Es gibt auch ländliche Siedlungen, wo eigentlich keine öffentlichen Grünflächen da sind.
Landschaftsarchitektinnen und -architekten sind ja mengenmäßig viel weniger als die Hochbauarchitekten. Wie ist denn das Selbstverständnis Ihrer Disziplin?
(Lacht) Minderwertigkeitskomplexe habe ich keine, weil das Metier so riesig ist. Man muss so viele verschiedene Dinge zusammenbringen: Ökologie, Erholung, Bewegung, nicht zuletzt Schönheit. Natürlich entfällt bei einem Wohnungs- oder Gewerbebau das geringste Budget auf die Außenanlagen. Das sind ein oder zwei Prozent, manchmal weniger. Aber wir sind von Anfang an mit dabei. Und am Ende des Tages, nach einigen Jahren, ist die Prächtigkeit der Außenanlagen extrem wichtig. Vielleicht haben wir eine gewisse Bescheidenheit, weil wir, wenn ein Gebäude eingeweiht wird, nicht vorn stehen. Die Plattenbeläge sind schon schön, aber alles andere ist noch etwas mickrig, die Bäume sind noch angeleint, die Gehölze klein. Aber wenn man fünf, zehn, zwanzig Jahre später zu einer Baustelle kommt, für die man verantwortlich war, ist das meist eine sehr zufriedenstellende Situation, wenn dann die Bäume groß sind und stark im Vordergrund stehen. Der ehemalige Präsident des Mieterbunds, Franz-Georg Rips, hat immer gesagt: „Sie sind extrem wichtig. Wenn die Freianlagen gut, gepflegt und schön sind, ist der Eindruck eines Gebäudes ein völlig anderer, als wenn ich durch eine verwahrloste Freifläche durchgehen muss.“
Hat man als Landschaftsarchitektin einen Einfluss darauf, ob und wie das eigene Werk gepflegt wird?
Auf der einen Seite ist es wichtig, dass man nicht etwas plant, das hinterher nicht gepflegt werden kann. Das hat keinen Sinn, denn in zwei, drei Jahren ist es kaputt. Auf der anderen Seite gibt man die Verantwortung an die Bauherrenschaft ab. Wir schlagen Bauherren gerne einen Pflegeplan für 25 Jahre vor. Diese Pflege bringt die Freianlage erst richtig zur Geltung und verbessert die ökologische Funktionsfähigkeit stark. Sonst werden die Pflanzen schnell mal im „Hausmeisterschnitt“ gestutzt, und die geplante Wirkung ist dahin. Das Gärtnerische, das in der Landschaftsarchitektur mit drin ist, ist ja das Pflegende. Das ist besonders bei den Flächen im öffentlichen Raum sehr wichtig. Hier sollte man immer wieder schauen, dass er nicht vollgestellt, nicht kaputt gemacht wird. Es braucht eine gewisse Intendanz, die Überlegung: Was kann auf diesen Flächen eigentlich passieren? Das ist bereits in der Planung enthalten, aber man sollte es auch festhalten und beschreiben.
Wie ist das rechtlich?
Es wäre unbedingt notwendig, dass ein Freiflächengestaltungsplan in jeder Stadt und Gemeinde eingeführt wird. In dem steht, dass der Freiraum so zu erhalten ist, wie er geplant wurde. Damit wäre es verpflichtend, dass die öffentliche Hand sich kümmert. Wenn das nicht festgelegt ist, kann sie keiner verpflichten. Sie dürfen die Bäume nicht fällen. Aber wenn sie sie verkommen lassen, gibt es keine Handhabung. Ich bin der Meinung, dass der Gestaltungsplan unbedingt ins Baugesetzbuch hineinmuss. Denn unsere Welt ist immer mehr darauf angewiesen, dass wir uns kümmern. Das wird in Zukunft ein viel größeres Maß annehmen, als wir uns jetzt vorstellen können. Da kommen wir auch zum Thema Umbaukultur: Das Vorhandene zu pflegen und weiterzuentwickeln, wird immer wichtiger.
Was ist Umbaukultur für Landschaftsarchitektinnen?
Für uns ist der Bestand die Natur, die da ist: vorhandene Strukturen, Bäume, Gehölze. Diese kann man integrieren. So wird man auch viel schneller wirkungsvoll, als wenn man auf dem platten Acker anfängt, zu planen und zu bauen. Da braucht es viel länger, bis alles eine gewisse Stattlichkeit hat, eine gewisse Raumwirkung. Im Münchner Quartier Baumkirchen Mitte kann man das sehr schön sehen: Dort haben wir versucht, mit möglichst wenig Eingriffen in eine vorhandene Vegetationsstruktur eine Erholungslandschaft zu implementieren, wo man spazieren geht, sich aufhält oder Tieren wie Zauneidechsen, Schmetterlingen oder Ödlandschrecken zuschauen kann, die sich dort bewegen und entwickeln.
Da sind wir beim Thema Nachhaltigkeit und Resilienz. Wie kann die Landschaftsarchitektur da helfen?
Jeder Freiraum, der geplant und gebaut wird, wo auch Vegetation ist, ist eine Klimasenke. Jeder Baum, der gepflanzt wird, nimmt CO2 aus der Atmosphäre und reduziert den Hitzestress für alle. Deshalb wird die Arbeit der Landschaftsarchitektinnen und -architekten immer gefragter, weil wir uns mit diesen Umweltfragen immer mehr auseinandersetzen müssen. Und die Antwort darauf oft der Freiraum ist, genauso wie Hausbegrünung.
Ist Hausbegrünung noch Landschaftsarchitektur?
Dachbegrünung und Fassadenbegrünung sind absolut Landschaftsarchitektur. Sie müssen ja die richtigen Pflanzen am richtigen Ort haben. Wie werden die bewässert usw.? Das sind alles Aufgaben, die in der Landschaftsarchitektur liegen. Tatsächlich kämpfen die Landschaftsarchitektinnen und -architekten seit Jahrzehnten für mehr Gebäudebegrünung. Am Anfang wurden wir dafür belächelt. Jetzt wird aus allen Ecken mehr Fassadenbegrünung gefordert.
Hat man da einen anderen Werkzeugkoffer als früher?
Bei der Fassadenbegrünung gibt es große Fortschritte. Man kann heute ganz anders mit Moosen und Flechten arbeiten als früher. Auch die Dachbegrünung ist vielschichtiger geworden. Ansonsten ist es eine ganz alte Wissenschaft. Man muss wissen, welche Pflanzen gut miteinander können, welche Gesellschaften bilden, welche sich gegenseitig unterstützen oder sich Konkurrenz machen. Das wird im Studium recht intensiv behandelt.
Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit der Hochbauarchitektur?
Es gibt richtig gute Architekten und Architektinnen, mit denen man Gebäude und Umgebung miteinander entwickelt. Die schlechten machen was vor und sagen: „Das Grün ist außen rum“. Aber das sehen wir nicht als Aufgabe unserer Disziplin, dass alles quasi schon fertig ist und wir ein bisschen Grün dazumachen. Das passiert mal im Einzelfall, wenn zum Beispiel hoher Zeitdruck herrscht, sodass man nur noch das Beste daraus machen kann. Aber eigentlich zeugt gute Planung von einem Miteinander von Anfang an.
Wie kann das gefördert werden?
Jeder Bebauungsplan muss zuerst die Grundlagen der städtebaulichen Struktur und damit der öffentlichen Räume, beziehungsweise der Freiraumstrukturen, entwickeln – und erst dann die einzelnen Gebäude. Natürlich muss die Schönheit der Gebäude unbedingt eingefordert werden. Aber wenn die Gesamtstruktur stimmt, sind Einzelheiten manchmal nicht ausschlaggebend. Für das Gebäude selbst schon, aber in den Gesamteindruck spielt eben auch anderes mit ein.
Müssen wir uns bei den Klimaveränderungen an andere Pflanzen gewöhnen?
Teilweise werden andere Pflanzen notwendig, die zum einen die Hitze vertragen und zum anderen die Staunässe. Denn zur Klimaanpassungsstrategie gehört die Regenwasserrückhaltung. Dadurch wird sich das Bild des Städtischen teilweise ändern, weil manche Pflanzen einfach nicht mehr gut zurechtkommen.
Passt sich die Natur da auch selbst an?
Jein. Da entstehen neue Artenzusammensetzungen, bei denen man genau aufpassen muss, was das eigentlich bedeutet. Manche Arten können sich aufgrund der neuen Zusammensetzung der Wärme- und Kälteperioden plötzlich ganz gut ausbreiten, verdrängen aber andere Pflanzen, die man für die Artenvielfalt braucht. Daher muss man immer wieder schauen, was wie zusammengehört und was man wie fördern will im Freiflächenplan. Auch im Wald wird es große Umbrüche geben. Wir müssen das ökologisch kuratieren.
Wie ist es denn in der Landschaftsarchitektur mit Budgets? Kann man da mit wenig viel machen?
Man kann durchaus mit wenig viel machen, aber man braucht schon ein gewisses Budget, man braucht eine gewisse Fläche. Damit Kinder spielen können, muss die Fläche eine bestimmte Größe haben, damit man rennen, sich bewegen kann. Das sind ganz wichtige Grundvoraussetzungen, die auch in den Städten berücksichtigt werden müssen. Auch weil der Aufenthalt in einem Freiraum, der eine gewisse Großzügigkeit hat, jedem Menschen guttut. Das wissen wir aus sämtlichen medizinischen Forschungen: Der Blick muss immer wieder in die Weite gehen.
Weitere Beiträge finden Sie in unserem Schwerpunkt Draußen.
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Wirklich „für alle“?
Das Thema Barrierefreiheit scheint mir leider noch nicht im Selbstverständnis der Landschaftsplaner*innen angekommen zu sein.
Die demografische Entwicklung drückt sich lediglich in der Anordnung von Outdoor-Sportgeräten für Senioren oder (immerhin) der Berücksichtigung von Rampen aus – die dann aber häufig noch nicht mal normgerecht ausgestattet sind.
Der Zeitgeist fordert Ton-in-Ton, warum das also mit Stufenkantenmarkierungen für Menschen mit Sehbehinderung zerstören? Langgezogene Stufenanlagen, die von jungen, fitten Parkbenutzern einfach überjoggt werden, sind für Menschen mit Geheinschränkungen problematisch, Handläufe offenbar ein Fremdwort. Sitzstufenanlagen lassen die Benutzung für blinde Personen zu einem Spießrutenlaufen werden.
Und gemeinsame Geh- und Radwege verhindern die Erholung aller Zu-Fuß-Gehenden und können für blinde und sehbehinderte Menschen gutgemeinte (und ästhetisch zugegeben schöne) Parkanlagen zu No-Go-Areas machen.
Liebe Landschaftsplaner*innen, bitte nehmt das Thema endlich so ernst, wie es die Architekten mittlerweile (überwiegend) tun!
Peter Woltersdorf
Allgemeiner Blinden- und Sehbehindertenverein Berlin ABSV