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Lebt das Bauhaus noch?

Bestimmt es heute noch Ihre Arbeit? Können wir gar von ihm lernen? Persönliche Erfahrungsberichte, Tipps und überraschende Interpretationen aus unserer Leserschaft.

29.11.20189 Min. Kommentar schreiben
… Dessau eröffnen 2019.
Drei neue Bauhäuser: Die Museen in Weimar und …

Nur wer loslässt, kann Neues schaffen

In Deutschland werden gleich drei neue Bauhaus-Museen eröffnet (Weimar, Berlin, Dessau) beziehungsweise noch gebaut. Spätestens damit wird das Bauhaus Teil der Architekturgeschichte. Und das ist gut so, denn nur wer loslässt, kann Neues schaffen.

Die Errungenschaften des Bauhauses gehen dennoch nicht verloren. Wie damals müssen Architekten auch heute ihre Rolle in der Gesellschaft hinterfragen. Geht es um Design oder um mehr? Le Corbusier, Gropius und andere, sie wollten nur eins: Licht, Sonne und gute soziale, hygienische Lebens- und Arbeitswelten für alle. Ausgehend von den teilweise mittelalterlichen Verhältnissen in den Industriestädten Anfang des 20. Jahrhunderts vereinfachten sie das Bauen. Diese Stilkrönung, die bis Ende der 1960er-Jahre die Gesellschaft in allen Teilen erreichte, zog später mit Serienprodukten leider auch den Anfang von Design als beliebiger Massenware nach sich. Design, Architektur, Bauen wurden mit der Moderne und der Postmoderne aber auch liberalisiert, sodass heute Restaurierungen oder Rekonstruktionen ebenso entstehen wie Siedlungsentwicklungen durch Bauträger oder industriell hergestellte Fertighäuser.

Die Erweiterung des Bauhaus-Archivs in Berlin wurde noch nicht einmal begonnen.

Die Überlieferungen des Bauhauses können uns im 21. Jahrhundert lehren, kreativ zu denken, Neues zu erschaffen, Risiken einzugehen und ohne Grenzen zu experimentieren. Das alles muss für die nachfolgenden Generationen sichtbar bleiben, damit gesellschaftliche Veränderungen möglich sind.

Architekten sollten sich nicht einfach der Gesellschaft ergeben. Wir müssen ihr Motor sein, aber nicht als Stararchitekten, sondern mit visionären Impulsen für die Gesellschaft, wie sie für mich etwa Frei Otto verkörperte. Wir sind nun aufgefordert, die Leitlinien für Architektur und Städtebau zu definieren, die den Herausforderungen dieses Jahrhunderts gerecht werden. 2019 wäre ein gutes Jahr, um damit ernsthaft anzufangen.

Ines Miersch-Süß, Architektin, Dresden


Fest mit der Kunst verwachsen

Es gibt Ereignisse, die den gesamten Lebensweg prägen. Bei mir war das in den Jahren 1958 bis 1959. Als neunzehnjähriger Architekturpraktikant kam ich per Zufall in die „Bauhütte“ von Werner Ruhnau am Neubau des Stadttheaters Gelsenkirchen, um die Arbeits­modelle zum Einsetzen der Wettbewerbsbeiträge für die Innen- und Außenräume des Theaters anzufertigen.

Alle am Bau beteiligten Architekten und Künstler wohnten und arbeiteten seinerzeit in der alten, legendären „Feuerwache“ vor dem Theaterneubau, wo sie ganz eng zusammen- wirkten. Das waren neben Werner Ruhnau als Architekt die Künstler Norbert Kricke, Paul Dierkes, Robert Adams, Jean Tinguely und Yves Klein, der später mit seinen blauen Schwammreliefs Weltruhm erlangte. Wenn es der Modellbau erlaubte, wurde ich ihm als Assistent zugeteilt und half beim Aufbau der Reliefs im Foyer. Das waren vier Flächen, die jeweils etwa 65 Quadratmeter groß sind (Foto).

Wir alle lebten in einer Lebens- und Künstlergemeinschaft zusammen, in der ich von der verloren gegangenen Tradition des Bauhauses gelernt habe, was diese unzertrennbare Einheit von Kunst und Architektur bedeutet. Nicht nach Fertigstellung des Baus kommt die Kunst hinein, sondern sie wird mit dem Bau zusammen entwickelt. Sie soll so fest mit dem Bau verwachsen, dass ein willkürliches Austauschen nach dem wechselnden Zeitgeist nicht möglich ist. Dieses integrative Denken und Handeln aller Künste – eben Architektur, Malerei Skulptur, Licht, Tanz, Theater – habe ich vor 60 Jahren kennenlernen dürfen.

Ich habe später an der Technischen Universität München Architektur studiert und auf Anraten aus dem Theater auch studienbegleitend in der Plastikfachklasse bei Fritz Koenig gearbeitet. So konnte ich quasi das Versprechen einlösen, das, was ich seinerzeit in Gelsenkirchen gelernt hatte, nie zu vergessen. Diesen nicht immer einfachen Weg bin ich stets gegangen, und er hat mich unendlich bereichert und beschenkt.

Fero Freymark, Maler, Bildhauer und Architekt, Weissach


Bauhaus ist interdisziplinär

Im Sinne des Bauhauses als interdisziplinärem Ort haben Studierende an der Bauhaus-Universität Weimar eine Erinnerungsarchitektur für die im Meer versunkene Gellenkirche auf Hiddensee entworfen. Der Pavillon macht temporär auf die heute vor der Landzunge Gellen liegenden Fundamentreste aufmerksam. Die kleine architektonische Intervention überwindet dabei den latenten Natur-Kultur-Konflikt und setzt ein Zeichen für die Kraft künstlerischer Impulse im respektvollen Umgang mit der Natur. Die Kunst hilft, den Blick für die Natur zu schärfen, und umgekehrt bietet die Natur eine Projektionsfolie für künstlerische Interpretationen.

Im Sommer 2018 wurde der Pavillon unserer Bachelor-Studierenden an drei Orten auf Hiddensee aufgebaut, was dank der modularen Konstruktion nur drei Stunden benötigte. Die Standorte unterstreichen die geschichtliche Entwicklung der Kirche auf Hiddensee: Erste Station war der Pfarrgarten an der Kirche im Kloster, gefolgt vom Strand nahe der ehemaligen Gellenkirche und der Kirche in Neuendorf. Zu den Höhepunkten zählten zwei Tanzauftritte von Studierenden der Palucca Hochschule für Tanz in Dresden (Foto).

Dr. Luise Nerlich, Prof. Bernd Rudolf, Professur Bauformenlehre, Bauhaus-Universität Weimar


Die wachsende Wohnung: Büromöbel von Bruno Paul für die Deutschen Werkstätten Hellerau aus deren Katalog 1953/54

DDR und Bauhaus? Eine schwierige Beziehung

Die DDR hatte viele Jahre ein gespaltenes Verhältnis zum Kulturerbe Bauhaus. Dessen Formensprache beteiligte sich mit neuen ästhetischen Anschauungen und Methoden an der komplexen Gestaltung der Umwelt. Mit formgestalterischen und architektonischen Aufgaben reagierte das Bauhaus auf lndustrialisierung und Massenproduktion. Diese Ansprüche wären durchaus geeignet gewesen, den Wiederaufbau nach dem Krieg zu unterstützen. Staatliche Institute der DDR aber führten in den 1950er-Jahren eine regelrechte Kampagne gegen den „kulturzerstörenden“ Formalismus und damit auch gegen die Formensprache des Bauhauses.

Die Deutschen Werkstätten Hellerau waren in dieser Zeit führend im Möbel- und Innenausbau. Unter anderem wurden in Dresden Anbaumöbel unter dem Aspekt „Die wachsende Wohnung“ produziert, die der Bauhäusler Professor Bruno Paul entworfen hatte. Die Deutsche Bauakademie schrieb 1953 dazu: „In der Möbelindustrie bilden die Deutschen Werkstätten insofern eine Ausnahme, als sie bis heute nicht verstehen wollen, dass der Zweck nicht das allein bestimmende Element in der Möbelgestaltung sein kann. Sie bauen nach wie vor einfache, glatte, kastenartige Möbel sowie Anbaumöbel und vertreten immer noch den Grundsatz ihres Gründungsprogramms von 1898, der die Aufgabe des Mobiliars als Kunstwerk ausschaltet.“ Auch wird formuliert: „Die gezeigten Möbel eines Arbeitszimmers unterscheiden sich von Kisten nur dadurch, dass dafür edles Holz verwendet wurde.“ An anderer Stelle wird von Kosmopolitik, Klinikmöbeln, Entartung und kulturzerstörendem, kunstfeindlichem Formalismus gesprochen. Ulbricht wollte Möbel mit reicher Profilierung und mit Löwenfüßen sehen. Die Deutschen Werkstätten haben die Anfeindungen überstanden weiter produziert.

Die Wertschätzung für das Kulturerbe Bauhaus wuchs nur langsam. Um 1960 konnte ich an der lngenieurschule für Bauwesen Berlin Vorlesungen im Fach Baugeschichte halten und auch auf die Rationalität der Bauhausbauten eingehen. Mithilfe von Studenten haben wir die Bauten der Bauhauszeit auf großen Schautafeln im Flur der lngenieurschule zusammengetragen. Es gab Einwände, aber die Ausstellung wurde geduldet.

In den Jahren 1975 und 1976 wurde das entstellte und zur Berufsschule degradierte Bauhausgebäude in Dessau wiederhergestellt, und mit den Bauhaus-Kolloquien 1976 und 1979 an der Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar wurde das Bauhaus in der DDR endgültig rehabilitiert. Der Bauminister Wolfgang Junker wird einen Teil dazu beigetragen haben.

Karl-Heinz Helm, Architekt, Rangsdorf


Ideenträger: Stilistisch zwischen Expressionismus und Moderne, doch für Leser Richard G. Hückel verkörpert St. Bonifaz in Erlangen die Bauhaus-DNA.

Das Bauhaus hat DNA erzeugt

Das Bauhaus ist die letzte international anerkannte und über­nommene Architekturepoche, die eine DNA erzeugte, die bis heute einzigartig und zeitlos erlebbar ist. Meiner Meinung nach liegt der Erfolg darin begründet, dass ein Gesamtkonzept über einzelne Objekte der Baukultur hinaus umgesetzt wurde. Die „Bewegung“ verband Design, Innenarchitektur, Architektur, Städtebau und Lehre. Sie reagierte aber auch auf Anforderungen aus veränderten Lebenssituationen. Ein Beispiel aus meiner Heimatstadt Erlangen, das die DNA der Bauhausarchitektur für mich klar verkörpert, ist die Kirche St. Bonifaz von Fritz Fuchsenberger aus dem Jahr 1928.

Gäbe es das Bauhaus heute noch, wären übrigens Themen wie Nachhaltigkeit und Energie­effizienz sicherlich zwei weitere tragende Säulen.

Richard G. Hückel, Architekt, Erlangen


Bauhaus ist 3D-Druck

Das Bauhaus prägt meine Arbeits­haltung, und zwar viel mehr als nur gestalterisch. Der Ansatz, gute Gestaltung durch industrielle Produktionsweisen für alle bezahlbar zu machen, ist leider viel zu sehr aus dem Blick geraten. Ob die neue Trendfarbe Apfelblütenorange oder Zitronenwurzelgrün ist, scheint heute wichtiger zu sein als die Frage, ob sich Menschen mit geringer Finanzkraft überhaupt gut gestaltete Produkte leisten können. Das ist nicht „Bauhaus“! Wenn „gut gestaltet“ nicht zwingend „premium“ und „teuer“ bedeutet – das ist Bauhaus! Dieser Denkansatz des Bauhauses wird heute durch 3D-Drucker und Industrie 4.0 weitergedacht. Das „Bauhaus“ ist also hochaktuell.

Ludger Schmidt, Architekt, Steinenbronn


Stil-Mumie Bauhaus

Bei der Suche nach dem „Bauhaus“ stößt man online auf allerlei Sonderbares. Da blickt man in die ganze Hölle deutscher Neubaugebiete, wo schlüsselfertiger Mumpitz so wirkt, als habe man ihn zu Karneval als Bauhaus verkleidet. Begründet wird das über einen angeblichen „Bauhausstil“ (siehe Fotos).

Auf dieser Fährte gelangt man schnell in schöner gewohnte Altbauzimmer, deren Tristesse zwar nett anzusehen ist, die mit dem Bauhaus aber so viel zu tun haben wie ein Proletarierhemd vom Maßschneider mit dem tatsächlichen Proletariat. Auch hier wird von Stil gesprochen, und man beginnt sich zu fragen, ob klare Linien, schlichte Formen und glänzende Stahlröhren schon alles sein sollen. Einen Klick weiter gelangt man zum Reliquienhandel echter oder neuechter Türklinken, Lichtschalter, Farbpaletten usw. Und warum nicht: Schöne Dinge sind das, zu Recht Ikonen von Design und Formgebung.

Das Bauhaus scheint aber irgendwann zur Stil-Mumie geworden zu sein, ein getrocknetes Objekt, das heute bestaunt werden kann, aber eigentlich keine Aktualität besitzt. Ein Rückgriff auf die Formen jener Blüte des Bauhauses wäre bestenfalls nostalgisch, sicher aber ein Auf-der-Stelle-Treten, das nicht dem Sinn des Bauhauses entspräche.

Diese Gefahr sah auch sein erster Direktor Walter Gropius, als er, bereits nach Ende der Institution, 1935 davor warnte: „Das Ziel des Bauhauses ist eben kein ,Stil‘, kein System oder Dogma .…“. Und weiter: „Ein Baustil wäre ein Rückschlag in Stagnation, in einen lebensfeindlichen Trägheitszustand, zu dessen Bekämpfung das Bauhaus einst von mir ins Leben gerufen worden ist.“

Gropius folgend, läge die Aktualität des Bauhauses 100 Jahre nach seiner Gründung nicht allein in seinen Formen, Mustern und Materialien, in seinen Lernenden und Lehrenden, sondern in seinem Ansatz als universeller Schule des gestaltenden Denkens und Handelns. Es läge in seinem interdisziplinären Kern, der alle Faktoren des gestalteten Objekts einbindet und das gebaute Gebilde nicht diesem oder jenem Einzelfaktor unterwirft. Für uns heute kann diese Idee eines generalistischen Denkens und Handelns der größte Schatz des Bauhauses sein. Es geht darum, unsere heutigen Fehlstellen, seien sie architektonischer, handwerklicher, technischer oder vor allem auch gesellschaftlicher Natur, aufzugreifen und diese mit einem positiven Blick auf das, was sein könnte, anzugehen, statt das, was war, zu wiederholen.

Levin Koch, Architekt, Stuttgart


Mehr Beiträge zum Bauhaus-Jubiläum finden Sie in unserem Schwerpunkt Bauhaus 100

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